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ATOM/344: Tschernobyl - Britische Schafe nach wie vor verstrahlt (SB)


Tschernobyl-GAU und die Folgen

In Großbritannien werden in mehreren hundert landwirtschaftlichen Betrieben erhöhte Radioaktivitätswerte gemessen


Am 26. April 1986 kam es im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl zu einer Kernschmelze und Explosion. Eine radioaktive Wolke breitete sich über Westeuropa aus. In Skandinavien, Deutschland, Großbritannien und vielen weiteren Staaten ging radioaktiver Fallout nieder, der den Verzehr von Pilzen, Beeren, Milch, Fleisch und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu einer akuten Gesundheitsgefahr machte. Nahrungsmittel wurden großmaßstäblich vernichtet, in bestimmten Gebieten untersagten die Behörden die Bewirtschaftung oder schränkten sie durch Auflagen ein.

Das alles ist nun über 23 Jahre her - aber es ist noch kein Gras über die Sache gewachsen. Nicht nur in den unmittelbar und mit Abstand am stärksten vom Fallout heimgesuchten Ländern Ukraine und Weißrußland gelten nach wie vor Nutzungsverbote, selbst im fernen Großbritannien gibt es landwirtschaftliche Betriebe, die wegen des Tschernobyl-Unglücks nur eingeschränkt produzieren dürfen. Insgesamt gilt dies für 369 Farmen, berichtete die britische Zeitung "The Guardian" am Dienstag. [1] Die britische Gesundheitsministerin Dawn Primarolo gab bekannt, daß außerdem 190.000 Schafe unter die Restriktionen fallen. Aber das sei vergleichsweise winzig, behauptete sie, 1986 wären 9700 Farmen und 4.225.000 Schafe in ganz Großbritannien betroffen gewesen. In Nordirland habe man sämtliche Restriktionen im Jahr 2000 aufgehoben. Somit wären die Einschränkungen um insgesamt 95 Prozent zurückgenommen worden.

Ein interessanter Vergleich - warum ihn nicht weiterführen? Ohne das Tschernobyl-Unglück wäre heute gar kein landwirtschaftlicher Bertrie nur unter Einschränkungen nutzbar! Und ohne Kernenergie wäre niemals eine radioaktive Wolke entstanden und unter anderem auf Großbritannien niedergegangen. Nach wie vor kann der einstige Fallout mit Caesium 137 in den Höhenlagen der Berge vom Boden ins Gras und von dort in die Schafe gelangen, wo sich die radioaktiven Substanzen ansammeln, teilte die britische Foods Standards Agency mit. Die EU-Kommission hat die maximalen Belastung mit Caesium in Schaffleisch auf 1000 Becquerel pro Kilogramm (bq/k) festgelegt. Alle Schafzüchter, die ihre Tiere aus den ausgewiesenen Verstrahlungsgebieten herausbringen wollen, müssen jedes einzelne Schaf mit einem Handgerät hinsichtlich der radioaktiven Belastung überprüfen. Wird der zulässige Grenzwert überschritten, muß das Schaf in der Region bleiben.

Es wird nur allzu leicht vergessen, daß Kernkraftwerke das Abfallprodukt des Wunsches von Militaristen sind, ultimative Zerstörungswaffen zu bauen, und daß mit der Bezeichnung "zivile Nutzung" der Kernenergie verschleiert wird, daß in Kernkraftwerken die gleiche Explosion wie bei Kernwaffen, nur zeitlich gedehnt und räumlich möglichst begrenzt stattfindet. Durch diese Maßnahmen wird in der Regel erreicht, daß der größte Teil der Radioaktivität nicht in die Umwelt gelangt. Aber die Regel kennt Ausnahmen, und ein kleiner Teil an Strahlenpartikeln entweicht auch bei der extrem verzögerten "zivilen Explosion", was höchstwahrscheinlich zu einer höheren Kindersterblichkeit in der Nähe von Kernkraftwerken führt. Jene sogenannten Ausnahmen in der kurzen Geschichte der Nuklearenergienutzung sind allerdings gar nicht so wenige, zusammengenommen könnte man ihnen ebenfalls Kontinuität attestieren: Tschernobyl, Windscale, Sellafield, Majak, Three Miles Island, (vermutlich GKSS Geesthacht in der Elbmarsch), La Hague, Tokaimura (Japan) ...

Wie die nächsten Unfallorte mit radioaktiven Substanzen, bei denen Menschen zu Schaden kommen oder sterben, heißen werden, wird die Zukunft zeigen. Geht es nach der britischen Regierung, werden in Zukunft weitere elf Reaktoren in England und Wales aufgestellt. Damit dürfte die Geschichte der Nuklearunfälle weitergeschrieben werden.


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Anmerkungen:

[1]"Britain's farmers still restricted by Chernobyl nuclear fallout", The Guardian, 12. Mai 2009
http://www.guardian.co.uk/environment/2009/may/12/farmers-restricted-chernobyl-disaster

13. Mai 2009