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ATOM/318: "Nachhaltige Nuklearenergie" - Doppelsprech der SNE-TP (SB)


Erstes Forum der "Sustainable Nuclear Energy Technology Platform"

Ein neues Standbein der Nuklearwirtschaft auf höchster
Entscheidungsebene der EU


In zynischer Verkehrung der unüberschaubaren, nicht einzugrenzenden und äonenlangen Strahlenbelastung, die die Nuklearwirtschaft den kommenden Generationen bescheren wird, hat die EU-Kommission am Montag das erste Forum zur "nachhaltigen Nuklearenergie", die Sustainable Nuclear Energy Technology Platform (SNE-TP), in Bratislava eröffnet. Nachhaltig (sustainable) und Nuklearenergie in einen Zusammenhang zu stellen ist so, als erklärte man die Atombombe zum Friedensbringer (was von manchen Militärs tatsächlich getan wird). Weder hinsichtlich der Treibhausgasemissionen noch des Uranabbaus noch der Strahlenfolgen für Mensch und Umwelt trifft die Bezeichnung "nachhaltig" für die Nuklearenergienutzung zu.

Bei "Nachhaltigkeit" handelt es sich um ein gesellschaftlich sehr positiv besetztes Modewort, dessen ursprüngliche Bedeutung längst untergegangen ist. Der Begriff stammt aus der Forstwirtschaft und meint eine bestimmte Art des Bewirtschaftens. Bei der nachhaltigen Forstwirtschaft bleibt die Waldfläche im Prinzip erhalten, es werden nicht mehr Bäume gefällt, als wieder aufgeforstet werden.

Die Idee, eine neue Interessenvertretung der Nuklearwirtschaft auf EU-Ebene als "nachhaltige" Nuklearenergie-Plattform zu bezeichnen, stammt aus der Wirtschaft selbst [Anm. 1]. Eine Verknüpfung mit dem, wie in der Forstwirtschaft der Begriff Nachhaltigkeit verwendet wird, findet nicht mehr statt, es zählt allein der Wohlklang.

Mit der Gründung der SNE-TP folgt die EU-Kommission einem Trend, bei dem die Kompetenzen für die Energiewirtschaft, insbesondere im nuklearen Sektor, nach und nach von den Nationalstaaten auf die Brüsseler Zentralregierung übertragen werden sollen. Beispielsweise kann nicht mehr ausgeschlossen werden, daß eines nicht allzu fernen Tages Brüssel bestimmen darf, daß in Gorleben ein radioaktives Endlager errichtet wird, und zwar nicht nur für den deutschen Nuklearabfall, sondern auch für den aus anderen EU-Mitgliedsländern. Entsprechende Bestrebungen hat es schon vor Jahren im zuständigen EU-Kommissariat gegeben.

Ein solches Ziel kann die nuklearenergiefreundliche EU-Kommission nicht direkt ansteuern, da wäre der Widerstand der Bundesregierung und auch der Länderregierungen zu groß. Aber indem auf europäischer Ebene ein Umfeld geschaffen wird, in welchem laufend Lobbyvertreter die vermeintlichen Vorzüge der Nuklearenergienutzung preisen und Initiativen starten, die auf das Ziel hinarbeiten, den Atomkraftwerken einen unantastbaren grünen Anstrich zu verpassen, werden entweder die nuklearen Befugnisse der Nationalregierungen schwinden oder aber die EU-Mitgliedsstaaten freiwillig auf den Brüsseler Kurs einschwenken.

Die neue europäische Technologieplattform für nachhaltige Kernenergie SNE-TP soll nach Ansicht ihrer Betreiber Forschung und Industrie zusammenbringen, eine strategische Forschungsagenda und Einführungsstrategie festlegen und diese umsetzen. Auf diese Weise soll der Weg für ein neues und vollständig integriertes europäisches Forschungskonzept zur Nuklearenergie geebnet werden [Anm. 2]. Auch in diesen Formulierungen zeigt sich die Tendenz zur Vereinheitlichung der Nuklearpolitik. Das wird auch die Entscheidungen der Bundesregierung mitbestimmen.

In einer Grußadresse an das am heutigen Dienstag zu Ende gegangene, zweitägige Forum in Bratislava erklärte EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso:

"Wir stehen nun an der Schwelle zur Dritten Industriellen Revolution: das Niedrig-Kohlenstoff-Zeitalter ... In diesem Zusammenhang bin ich davon überzeugt, daß Bedarf an einer umfassenden und offenen Debatte über Nuklearenergie besteht." [Anm. 3]

Die eingeforderte Debatte ist aus Sicht Barrosos allerdings längst abgeschlossen. Das Ob ist nicht mehr die Frage, sondern nur noch das Wie. Kernenergie wird weiterhin ein wichtiger Faktor in der europäischen Energieversorgung sein.

Der Nuklearwirtschaft und Vertretern in Politik und Verbänden ist es gelungen, den Eindruck zu erwecken, als seien Kernkraftwerke umweltfreundlich und unverzichtbar, wenn Deutschland und andere europäische Länder ihre Verpflichtungen aus dem Kyoto-Klimaschutzprotokoll zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen einhalten wollen. Mit Verweis auf die kommende AKW-Generation wie den Europäischen Druckwasserreaktor (EPR), an dem auch das deutsche Unternehmen Siemens beteiligt ist, wird behauptet, daß diese Technologie jetzt aber wirklich und wahrhaftig "sicher" sei. Das gleiche wurde zwar bereits vor gut 40 Jahren vom Bau des ersten deutschen Akws gesagt und seitdem für alle weiteren Akws aufgefrischt, aber man setzt offenbar auf das Vergessen der Bevölkerung.

An der angeblich positiven Klimabilanz der Akws bestehen erhebliche Zweifel. In manchen Berechnungen wird unterschlagen, wie weitreichend zusätzliche Technologien entwickelt und gebaut werden müssen, um Nuklearmaterial handzuhaben. Bei einer vergleichenden Analyse der Nutzung der Nuklearenergie mit anderen Energieformen muß - um an dieser Stelle nur ein Beispiel zu nennen, das die Gesamtproblematik verdeutlichen soll - bedacht werden, daß auch die Herstellung der Castorbehälter, in denen radioaktives Material transportiert wird, und die der Glaskokillen, in denen es eingeschmolzen werden soll, enorm energieaufwendig ist.

Selbst der Bau einer Fabrik, in der diese beiden unterschiedlichen Behältnisse hergestellt werden, müßte in einer seriösen Klimabilanz Eingang finden. Denn die Castoren und Glaskokillen haben keinen anderen Nutzen als den, Strahlenmaterial zu beherbergen. Ohne Kernenergie wäre ihre Herstellung, bei der beträchtliche Mengen an Treibhausgasen emittiert werden, nicht erforderlich. Außerdem müßte bedacht werden, daß die Fabrik nicht ohne Maschinen und Anlagen läuft, die womöglich ebenfalls nur einem einzigen Zweck dienen und für nichts anderes verwendet werden können als für den Umgang mit Nuklearmaterial. Summa summarum: Kernenergie ist klimaschädlich, vom Uranabbau über die Anreicherungsprozesse und die Herstellung von Brennelementen bis hin zur Endlagerung.

Andere Energienutzungsformen sind ebenfalls auf eine sehr spezielle Infrastruktur angewiesen. Auch das müßte bei vergleichenden Studien bedacht werden. Aber aufgrund der radioaktiven Strahlung, die ständig abgeschirmt bleiben und innerhalb der Kernkraftwerke auf komplizierte Weise geregelt werden muß, erfordert diese Energieform einen enormen infrastrukturellen Aufwand und steht hinsichtlich des Kohlendioxidausstoßes vergleichsweise schlecht dar.

Das weiß die Industrie und das weiß die EU-Kommission. Um so intensiver versuchen sie, durch unermüdliche Propaganda "in den Köpfen" der Öffentlichkeit den festen Eindruck entstehen zu lassen, daß Kernkraftwerke klimafreundlich sind. Deshalb wurden in das neue Gremium unter der Ägide der EU, das am 21. September dieses Jahres von Janez Potocnik, EU-Kommissar für Wissenschaft und Forschung, Andris Piebalgs, EU-Kommissar für Energie, und Alain Bugat, Generaldirektor der französischen Kernenergiebehörde (CEA) in Brüssel ins Leben gerufen wurde und jetzt sein erstes Forum in der slowakischen Hauptstadt abgehalten hat, keine kernkraftkritischen Personen aufgenommen. Man bleibt unter sich - ein typisches Merkmal zentralistischer Institutionen, die sich um so weiter von den Interessen der Bevölkerung entfernen, je weniger diese Einfluß auf die Wahl der Politiker und deren Beschlüsse haben.

15 der 27 EU-Mitgliedsstaaten verfügen heute über Kernkraftwerke. Rund ein Drittel der in der Union erzeugten elektrischen Energie wird in Kernreaktoren generiert. Seit Jahrzehnten steht die Nuklearwirtschaft nicht mehr so positiv da wie heute. Ihr politischer Einfluß mittels der europäischen Nuklearbehörde Euratom ist unstrittig. Mit der SNE-TP erhält die Industrie ein weiteres Standbein in der europäischen Nuklearwirtschaft und kann die künftige Energiepolitik der Union weitreichender bestimmen denn je.

Gegenüber dieser geballten Lobbymacht haben Atomkraftgegner nur geringe Chancen. Pathetisch gesagt: Die Abwehrfront droht trotz unermüdlicher Bemühungen einiger Vertreter zu zerbröckeln. Dem Widerstand auf der Straße fehlen anscheinend die Sprachrohre und Vertreter auf den Entscheidungsebenen. Mit Formen zivilen Ungehorsams können vielleicht noch einzelne Züge aufgehalten, aber nicht der gesamte Fahrplan ausgehebelt werden. Der sogenannte Atomausstieg (der sich sowieso als Bestandsgarantie für die deutscen Kernkraftwerke erwiesen hat) ist durchaus umkehrbar und könnte bereits von der nächsten Regierung zurückgenommen werden.

Darüber hinaus erscheint dem ein oder anderen Akw-Gegner die Behauptung plausibel, daß mit Kernkraftwerken das Klima geschützt werden kann. Einer der bekanntesten "Umkipper" ist der Brite James Lovelock, "Erfinder" der Gaia-Hypothese. Es wird interessant sein zu erfahren, ob auch die Partei der Grünen - etwa für den Kauf einer Regierungsbeteiligung - bereit sein wird, ihre ureigenste Bastion, den Kernenergieausstieg, schleifen zu lassen.

Die heutigen Akw-Gegner sehen sich zudem mit dem Argument konfrontiert, daß die EU bereits heute zu etwa 50 Prozent von Gas- und Ölimporten abhängig ist und daß dieser Wert auf 65 Prozent bis 2030 steigen wird (was wiederum die CO2-Emissionen erhöhen dürfte, falls sich an der Form der Energienutzung nichts Grundlegendes ändert). Mit der Kernenergie hingegen sei abgesehen vom Klimaschutz auch eine größere Versorgungssicherheit gewährleistet, fahren die Befürworter der Nuklearenergie ein weiteres argumentatives Geschütz auf. Die Europäische Union hat im Jahr 2000 die sogenannten Lissaboner Strategien verabschiedet. Sie sehen vor, Europa binnen zehn Jahren zum führenden Wirtschaftsstandort der Welt zu machen. Wer solche Ziele verfolgt, wird auf die Kernenergie nicht verzichten. Die SNE-TP ist ein Ausdruck dieses Bestrebens.


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Anmerkungen:

[1] Am 10. Januar 2007 hat die EU-Kommission das "Energy Package" im Umlauf gebracht. Innerhalb der hierunter zusammengefaßten Dokumente zur europäischen Energiewirtschaft befand sich auch das Schriftstück Communication COM(2006) 847 "Towards a Strategic Energy Technology Plan". Darin fordert der EU-Ministerrat die EU-Kommission auf, bis Ende des Jahres einen strategischen Energietechnologie-Plan aufzustellen. Dieser solle im Frühjahr 2008 auf dem EU-Gipfel besprochen werden. Der Anhang jener Dokumente enthält ein Schreiben von Vertretern der europäischen Nuklearwirtschaft, in dem die Bildung der Sustainable Nuclear Energy Technology Platform (SNE-TP) für das laufende Jahr angeregt wird. Die Nuklearenergie wird darin ausdrücklich als Option für einen "Low-carbon"-Energiemix angenommen. Die EU-Kommission hat den Vorschlag aus der Industrie aufgegriffen, noch bevor sie selbst einen eigenen Plan ausgearbeitet hat. (www.snetp.eu)

[2] Dokument IP/07/1370, http://europa.eu (rapid/pressReleasesAction)

[3] Schattenblick-Übersetzung nach http://EUobserver.com/9/25220, Zugriff am 27.11.2007

27. November 2007