Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → MEINUNGEN


STANDPUNKT/1026: Weltmeister des Nachhaltigkeitss(ch)eins (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2018

Nachhaltig und sozial?
Umwelt- und Entwicklungspolitik in Zeiten wachsender Ungleichheit

Weltmeister des Nachhaltigkeitss(ch)eins Wie die internationale Sicht auf Deutschland wenig mit der nationalen Realität zu tun hat

von Elisabeth Staudt


Am 14. Juni wird der Startpfiff für die diesjährige Fußballweltmeisterschaft in Moskau zu hören sein. Gastgeber Russland trifft im Eröffnungsspiel auf Saudi-Arabien. Bereits in dieser Eröffnungskonstellation sollte klar sein, wie viel oder besser gesagt wie wenig die Ausrichtung dieser internationalen Großveranstaltung mit Demokratie zu tun hat. Einer Vermittlung von Werten und Idealen muss die internationale Fußballmaschinerie schon lange nicht mehr gerecht werden. Während der in unzählige Korruptionsskandale verstrickte Ausrichter FIFA Einzeltickets zu Hunderten von Dollar verscherbelt, anerkannten DopingexpertInnen die Einreise nach Russland verweigert wird oder sich Spieler der Nationalmannschaft lächelnd mit menschenrechtsverachtenden RegierungschefInnen in der Öffentlichkeit präsentieren, ist das Ziel der diesjährigen WM-Teilnahme unmissverständlich: Titelverteidigung. Nach außen gilt es nicht nur im Fußball, den schönen Schein des Weltmeisters zu bewahren - das Sommermärchen muss weitergeschrieben werden.

Dass der schöne Schein des deutschen Weltmeisters auch in anderen Bereichen trügt, dürfte uns allen bekannt sein. Fragen wir nur Menschen am unteren Ende der Einkommensskala, wie viel der "boomenden Wirtschaft" des Exportweltmeisters Deutschland bei ihnen ankommt. Vor diesem Hintergrund lohnt sich ein Blick auf die internationalen Verpflichtungen und Zielvorgaben, die auch die deutsche Bundesregierung unter enormen Handlungsdruck setzen sollte.


"Träumerei, die die Welt verändert"

Äußerst treffend betitelte die ZEIT 2015 die bevorstehende Verabschiedung der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs). (1) Am 25. September 2015 unterzeichnen Staats- und RegierungschefInnen aus allen 193 Staaten der Welt die Agenda 2030 der Vereinten Nationen (UN) und ihr Kernstück, die SDGs. Diese 17 Ziele mit ihren 169 Unterzielen sind Ergebnis eines über dreijährigen intensiven Verhandlungsprozesses und repräsentieren eine historische Neuorientierung im Umgang mit internationalen Herausforderungen und Krisen, wie der fortschreitenden Umweltzerstörung, Armut, Hunger und Ungleichheit. Alle Staaten der Welt verpflichten sich gemeinsam darauf, Verantwortung für eine nachhaltige Zukunft zu übernehmen und erkennen die Universalität der Zielagenda an. Das bedeutet, dass nur, wenn alle Ziele gemeinsam erreicht werden, nur wenn unsere Friedens-, Umwelt-, und Entwicklungspolitik genauso wie Wirtschaft-, Finanz- und Handelspolitik auf das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung hinarbeitet, kann der zerstörerische Kurs unserer (westlichen) Gesellschaft noch abgewendet werden. Schon allein diese Zusage müsste eine grundlegende Umstrukturierung unserer politischen Architektur, unserer Finanzplanung, unserer Gesetzgebung, unserer gesamten politischen Entscheidungsprozesse zur Folge haben. In den ersten 3 Jahren der Umsetzung ist von der revolutionären Schlagkraft der Ziele jedoch wenig übriggeblieben.


Strategie 5.0

Der Bundesregierung kann sicherlich in diesem Prozess keine Untätigkeit vorgeworfen werden. Intensiv beteiligte sich Deutschland an den Verhandlungen und hängte die nationale Umsetzung politisch auf höchster Ebene auf: Das Kanzleramt leitet seit Verabschiedung die Umsetzung in, durch und mit Deutschland. Und in dieser nationalen Umsetzung liegt der eigentliche Knackpunkt: Eine globale, universal gültige, Agenda kann nur einen Handlungsrahmen abstecken - ihre Wirksamkeit erlangen die SDGs erst durch eine Anpassung und Konkretisierung innerhalb der einzelnen Nationalstaaten. Dazu ist ein umfassender Umsetzungsplan mit klarer Zielsetzung und Priorisierung unumgänglich. Die Bundesregierung holte zu diesem Zweck eine bereits bestehende Regierungsstrategie aus der Schublade: Die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie von 2002. Deren turnusmäßige fünfte Neuauflage im Jahr 2016 wurde kurzfristig zur deutschen Umsetzungsstrategie der SDGs befördert. Die Vor- und Nachteile dieses Vorgehens ließen sich ewig diskutieren. Klar beobachtbar ist jedoch, dass die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie weder in der Öffentlichkeit noch in Regierungskreisen große Aufmerksamkeit generieren konnte und die politischen Entscheidungen der letzten Jahre leider keine Priorisierung des Leitbilds einer nachhaltigen Entwicklung erkennen ließen.

Laut Regierungsbeauftragten sei dies jedoch alles eine Frage der Zeit - die neu geschaffenen Strukturen und Institutionen bräuchten ein wenig Vorlauf, um zu greifen. Über den Mangel an neuen Beauftragten, Plänen, Ausschüssen und Regeln dürfen wir uns hinsichtlich der Umsetzung der SDGs wohl nicht beklagen. Mit umfangreichen Regeln zur Gesetzesprüfung, offiziellen KoordinatorInnen in jedem Bundesministerium, hochrangig besetzten Begleitkreisen und vielfältigen Prüfmechanismen sollte eine Beachtung der Leitlinien der Agenda 2030 zumindest auf dem Papier gesichert sein.


Alles Weltmeister?!

Genau dieser formelle Unterbau ruft internationale Bewunderung auf den Plan. Weniger als 1 Jahr nach der Verabschiedung berichtet der Musterknabe Deutschland freiwillig vor den UN über die vielfältigen Fortschritte. In einem selbstorganisierten Prüfprozess (Peer Review) bestätigen internationale ExpertInnen Deutschland eine hervorragende Nachhaltigkeitsarchitektur. Auch im europäischen Vergleich wird Deutschland stets hervorgehoben - so mangelt es in vielen Ländern bisher komplett an einer Umsetzungsstrategie. Doch wie an anderen Stellen ändert das offene globale Bekenntnis und Selbstverpflichtungen wenig an tatsächlichen Politikentscheidungen. Während vor den Augen der Weltpresse die deutsche Bundesregierung in Paris bis mitten in die Nacht für ein ehrgeiziges Klimaabkommen gerungen hat, bliesen zuhause die Kohlekraftwerke weiterhin fleißig die CO2-Emissionen ganzer Nationalstaaten in die Luft. Diesen Umstand zu ändern, ist in den letzten Koalitionsverhandlungen kläglich gescheitert. Vorsorglich wurde gleich das bestehende Klimaziel für die kommende Legislatur vom Tisch geräumt. Politischer Wille sieht anders aus. Und während Deutschland stolz im Jahr 2016 über die SDG-Umsetzungserfolge berichtete, wurde im Kabinett der Bundesverkehrswegeplan verabschiedet und zementierte damit das Gegenteil einer nachhaltigen Mobilitätsplanung bis zum Jahr 2030. Dieser offene Widerspruch weckt wenig Vertrauen in politische Zielformulierungen und Nachhaltigkeitsarchitekturen.


Titelverteidigung

Nicht alle Weltmeistertitel sind Schall und Rauch. Ein nachhaltiger Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft ist nicht utopisch, sicherlich jedoch langwierige und mühsame Arbeit. Das deutsche Markenzeichen Energiewende ist mit gewaltigen Investitionen in Technik und Wissenschaft verbunden, gepaart mit einem starken gesellschaftlichen Engagement und Initiativen von unten. Diese Bedingungen lassen sich vermutlich nicht im Reallabor nachspielen, aber wichtige Lektionen dürfen trotzdem nicht verloren gehen. Als wichtiger Schritt muss eine neue Kommunikationsstrategie mit der Öffentlichkeit angegangen werden: BürgerInnen werden in der Debatte um Nachhaltigkeit häufig als zu belehrende GegnerInnen begriffen. Dabei spiegeln viele Zielsetzungen der SDGs die Erfüllung ganz grundsätzlicher Bedürfnisse der Gesellschaft wider, sei es in der öffentlichen Daseinsvorsorge, im Umweltschutz oder in der Friedenssicherung. Viel wichtiger als Verhaltenskorrekturen sollte die transparente Einbindung und Beteiligung aller relevanten AkteurInnen in die geplanten Umstrukturierungsprozesse sein. Hierzu gehört eine informierte Öffentlichkeit, die die öffentlichen und globalen Verpflichtungen ihrer Regierung ernstnimmt und im Zweifelsfall aktiv einfordert. Schon kurzfristig stehen Entscheidungen an, die wegweisend sein werden für den Nachhaltigkeitskurs der neuen (alten) Bundesregierung. Genannt seien an dieser Stelle die Berufung einer Kohlekommission, die strategisch verschleppt wird und damit eine lange überfällige gesellschaftliche Debatte blockiert. Auch die Zukunft der europäischen Agrarpolitik steht auf dem Spiel. Immerhin 1 Drittel des europäischen Haushaltes fließen in Agrarsubventionen. Im ersten Vorschlag aus Brüssel für die zukünftige Ausgestaltung dieser gewaltigen Fördersumme ist die Bindung einiger Mittel an Umweltschutzmaßnahmen komplett aufgehoben, was die Bundesregierung umgehend begrüßte.(2) Die simple Forderung, öffentliche Gelder an öffentliche Leistungen zu knüpfen, geht unter im Sinne einer profitmaximierenden, exportorientierten Agrarindustrie. Langfristig gesehen werden wir uns einer grundlegenden Debatte zum vorherrschenden, unerschütterlichen Glauben an den freien Markt und der Fixierung auf Rentabilitätsdenken, die zunehmend einen Gegenpol zur öffentlichen Daseinsvorsorge und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft bilden, nicht entziehen können. Die bevorstehende Weltmeisterschaft kann nur einen ersten Meilenstein bilden, für welche Rekorde und Titel wir uns eigentlich in Zukunft einsetzen wollen.

Die Autorin ist Referentin für Nationale Nachhaltigkeitspolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung.


Anmerkungen:

(1) https://www.zeit.de/wirtschaft/2015-08/un-entwicklungsziele-nachhaltigkeit-vereinte-nationen.

(2) https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/2018/046-GAP.html.

*

Quelle:
Rundbrief 2/2018, Seite 33-34
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang