BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein
An die Medien, 7. Dezember 2017
2017 - Umweltpolitischer Jahresrückblick: Mensch, Natur und Umwelt (nicht nur) in Südbaden, Elsass und am Oberrhein
Das Zitat des Jahres 2017 kam vom Agrochemielobbyisten und CSU-Agrarminister Schmidt im Zusammenhang mit seiner Pro-Glyphosat Entscheidung: "Mit der Zustimmung Deutschlands habe ich wichtige Verbesserungen zum Schutze der Pflanzen- und Tierwelt durchgesetzt"
Das Jahr 2017 war ein schwieriges Jahr
und alte Gewissheiten wurden durch Verunsicherung abgelöst. Die
letzten Jahrzehnte hat es (erkämpfte) große Fortschritte im
Umweltbereich gegeben und die Gesellschaft wurde offener und
toleranter. Jetzt nehmen Umweltprobleme, Ungleichheit, Verunsicherung,
Kriegsgefahr, Hass, Fundamentalismus und Intoleranz zu und in manchen
Bereichen organisiert sich eine Anti-Naturschutz-Pegida. Immer mehr
Naturnutzer und "Bürgerinitiativen" greifen in den großen Topf der
Ökologie, nehmen sich eine einzelne Art heraus und bauen darauf ihre
Argumentation auf. Doch Ökologie ist mehr, Ökologie ist immer auch die
Lehre von den Zusammenhängen.
Die Demokratie ist nicht nur in Ungarn, Tschechien und der Türkei
gefährdet.
Diese Entwicklung ist auch problematisch, weil es uns "noch gut geht"
und die zu erwartenden systembedingten Krisen und Zusammenbrüche erst
noch vor uns liegen. In Zeiten, in denen klimawandelbedingte
Extremwetterereignisse zunehmen, regiert in den USA ein
industriegelenkter Klimawandelleugner und die Menschen wählen
Milliardäre zu Staatsoberhäuptern, obwohl die wachsende Ungleichheit
die zentrale Ursache für die Unzufriedenheit vieler Menschen ist.
Vor über einem Jahr kam ein BUND-Naturschützer
in unser Freiburger Büro und sagte, wir sollten unbedingt das stille
Insektensterben "zum Thema machen". Da wir auch viele Anrufe besorgter
Menschen zu diesem Phänomen bekamen, machten wir uns an die Arbeit. In
Zeiten, in denen eine gigantische Flut von Internetpetitionen das Land
überflutet, haben wir mit dem guten, alten, handunterschriebenen Brief
alle Mitglieder des Landtags, des Bundestags und die deutschen
Mitglieder des Europaparlaments angeschrieben und auf das
Insekten-Problem aufmerksam gemacht. Jetzt im Jahr 2017 ist das vorher
unbekannte Thema Insektensterben in aller Munde. Jetzt liegt unsere
Aufmerksamkeit bei den PR-Kampagnen der Insektensterbenleugner die
behaupten, "Naturschützer hätten das Insektensterben erfunden". Mit
Neonicotinoiden, Glyphosat und anderen Giften, die auch für das große
Sterben verantwortlich sind, machen Konzerne wie Bayer, Monsanto und
Syngenta satte Gewinne und die Debatte um das Insektensterben
gefährdet diese Gewinne massiv und darum laufen jetzt auch die
Desinformationskampagnen an. Das Insektensterben lässt sich nicht mehr
leugnen. Die jetzigen Kampagnen versuchen von den tatsächlichen
Ursachen abzulenken. Sie dienen der Gefahrzeitverlängerung von
Neonicotinoiden und Glyphosat. Die neue Dimension des
Insektensterbens, die Fernvergiftung über weite Strecken, die
Bedrohung von Insekten in großen Naturschutzgebieten, ist in der
öffentlichen Debatte noch nicht angekommen.
Auf großes bundesweites Interesse
ist unsere Analyse zu den Ursachen des Vogelsterbens gestoßen. Über
100.000 Vögel die an Windrädern getötet werden, wurde bisher
interessengeleitet viel diskutiert. 18 Millionen Vögel, die jährlich
in Deutschland an Glas und Glasscheiben sterben sind kein öffentliches
Thema. Auch zu den wesentlich massiveren Schäden durch Vogelschlag im
Straßenverkehr und entlang von Bahn- und Hochspannungstrassen gibt es
keine Debatte. Wir haben aufgezeigt welches Interesse die
Braunkohlelobby, Klimawandelleugner und die für das Insektensterben
mitverantwortlichen Produzenten von Agrargiften daran haben, dass die
Vogelschutz-Debatte nur in der Nische der Windenergie geführt wird.
Die gezielt geführte Nischendiskussion in Sachen Windenergie und
Vogelschlag
passt gut ins Jahr 2017 und die aktuellen PR-Strategien großer
Unternehmen. Die Kohlelobby, die Windräder verhindern will, dass im
Schwarzwald mehr über Infraschall von Windrädern als über realen
Motorradlärm diskutiert wird.
Die neue, geschickte und erfolgreiche PR-Strategie der Bahn ist es,
mit den Kosten für den Artenschutz vom eigenen Versagen und von den
tatsächlichen Gründen der zusätzlichen(!) Kostensteigerung von einer
Milliarde für Stuttgart 21 abzulenken. Die knapp 0,2%
Umsiedlungskosten für Eidechsen machen fette Schlagzeilen, die von
Umweltschützern vorhergesagten Probleme beim Anhydrit eher nicht. Der
Bundesrechnungshof geht von Kosten in Höhe von zehn Milliarden Euro
(10.000.000.000) aus. Beim Volksentscheid zu S21 wurden wir mit
angeblichen Kosten von 4,5 Milliarden Euro belogen. Das "schönste"
aller Ablenkungsmanöver ist der Nistkasten für Wanderfalken am
Kühlturm des AKW Leibstadt. Erfolgreich wird das positive, naturnahe
Image des Wanderfalken auf das gefährliche, alte AKW übertragen.
In Bonn wurden bei der Weltklimakonferenz
die drängendsten Zukunftsfragen diskutiert und gleichzeitig
behinderten Kohle-Lobbyisten und Jamaika-Flüsterer die Energiewende
und die zukunftsfähigen Energien. Die RWE-Braunkohlelobby,
insbesondere vertreten durch AFD, FDP und CSU, ist verhängnisvoll
einflussreich in Deutschland.
Der Friedensnobelpreis 2017 für die "Internationale Kampagne zur
atomaren Abrüstung" (Ican)
erfüllt auch den BUND am Oberrhein mit Stolz, denn
grenzüberschreitend-gemeinsam haben wir schon 1995 gegen die
französischen Atomwaffentests auf dem Mururoa-Atoll protestiert. 2017
stellen wir die Frage, warum sonnenreiche Staaten wie die Türkei,
Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten und die Vereinigten Arabischen
Emirate extrem teure, neue AKW bauen wollen. Geht es tatsächlich um
den teuren Atomstrom oder um einen Machtzuwachs nach nordkoreanischem
Vorbild? Die wiederbelebte Idee der Verbreitung von vielen kleinen und
großen AKW auf der Welt ist ein globales Selbstmordprogramm und ein
atomarer Alptraum. Atomkraftwerke sind Diktators und Terrorists
Liebling. Der aktuelle Alptraum der nordkoreanischen Atombewaffnung
würde durch den weltweiten Export von neuen AKW in Spannungsgebiete
und von "schönen, kleinen Thoriumreaktoren" in's Unendliche
vergrößert.
Auch die alten, gefährlichen Atomkraftwerke in Fessenheim, Beznau
und Leibstadt
haben uns intensiv beschäftigt und mit Öffentlichkeitsarbeit, Flyern,
Internetkritik, Demos, Newslettern und frechen Kleinanzeigen erhöhen
wir den Abschaltdruck.
Wir hoffen irgendwann mal keine Fessenheim-Plakate mehr drucken zu
müssen. Aber wir hoffen nicht nur, wir tun auch etwas. In Sachen
Fessenheim-Abschaltung sehen wir durchaus (mal wieder) einen kleinen
Lichtstreif am Horizont, doch "gebranntes Kind scheut verfrühte
Freude".
Der erste Schwarzwald-Wolf wurde erschossen.
Es gibt Menschen, die bedrohte Tiere besonders dann lieben, wenn diese
weit genug von Deutschland entfernt leben (Rettet die Wale &
Nashörner). Doch unser badisches Nashorn ist der Wolf. Für ihn tragen
wir Verantwortung.
Der erschossene Wolf zeigt eines deutlich: Die Wiederkehr und das
Erstarken steinzeitlichen Denkens in einer Gesellschaft, in der alle
scheinbaren "Fraßfeinde" gnadenlos bekämpft werden. Doch im Gegensatz
zum Märchen frisst heute nicht der Wolf die "sieben Geißlein", sondern
der Straßenverkehr, der Feinstaub, der Klimawandel, die Neonicotinoide
und die Atomkraft.
Erfreuliche grenzüberschreitende Zusammenarbeit von BUND und Alsace
Nature
Der BUND und die Umweltbewegung am Oberrhein standen und stehen für
einen trinationalen, toleranten, weltoffenen Heimatbegriff in der
Tradition von Rene Schickelé, Albert Schweitzer und Walter Mossmann
und wir arbeiten gut mit der schweizer und der französischen
Umweltbewegung zusammen. Besonders intensiv ist die
BUND-Zusammenarbeit mit unserer elsässischen Schwester-Organisation
Alsace Nature. Die Vorstände haben sich 2017 zweimal zum intensiven
Austausch getroffen und es gibt eine jährliche gemeinsame
Naturschutz-Exkursion. Eines von vielen Beispielen für die gute
Zusammenarbeit war die gemeinsame französisch-deutsche Presseerklärung
zu den Umweltplaketten. Beide Verbände begrüßen diesen Fortschritt bei
der Luftreinhaltung. Dennoch fordern wir die schnelle Einführung von
europäischen Lösungen und von europaweit einheitlichen Plaketten.
Angesichts einer zunehmenden Zahl von unterschiedlichen Plaketten und
Regelungen wird es gerade für die Menschen im Grenzgebiet immer
schwieriger und komplizierter, Städte und Gemeinden im Nachbarland zu
besuchen. Sinnvoller Umweltschutz darf nicht zu Insellösungen und zu
einer neuen europäischen Kleinstaaterei führen.
Erfolg: Elz-Renaturierung
Seit über zwei Jahrzehnten gibt es beim BUND am südlichen Oberrhein
einen Traum. Am Anfang stand der jahrzehntelange, erfolgreiche Kampf
um eine bessere Wasserqualität der Gewässer am Oberrhein. Danach
konnten wir die Renaturierung der zu gerade gestreckten Kanälen
geronnenen Bäche am Oberrhein, von Elz, Dreisam, Kinzig, Glotter
angehen... Wir hatten den frühen Traum von naturnahen Bächen und
grünen, naturverbindenden Bändern von den Rheinauen zum Schwarzwald.
Wenn jetzt an der Elz zwischen Köndringen und Riegel wieder Dämme zurückverlegt wurden , wenn aus den "Bach-Autobahnen Elz und Dreisam" auf ersten Teilstücken mäandernde Bäche mit Kiesbänken und Auen geworden sind, wenn der Lachs zurückkehren kann, dann hat das auch damit zu tun, dass aus dem Traum auch eine ständig wiederholte BUND-Forderung an die politisch Verantwortlichen wurde. Die neuen Natur-Flächen sind schön und wertvoll und dennoch immer auch erkennbar "Reparatur". Wir wissen, dass gerade jetzt mit europäischen Geldern in Südosteuropa die letzten frei fließenden Flusssysteme zerstört und die alten Fehler der Vergangenheit wiederholt werden. So ist das Glas halb voll und halb leer, aber ohne den Druck des BUND wäre es ganz leer...
Eines der ganz großen, regionalen, europäischen Natur- und
Umweltprobleme
sind die fehlenden Fischtreppen an den alten, längst abgeschriebenen
drei Rheinkraftwerken im Elsass. Das SWR-Fernsehen berichtete über die
Aktivitäten von uns und Alsace Nature, den Rhein wieder durchlässig zu
machen. Wir erhöhen den Druck, damit der Rhein für den Lachs wieder
passierbar gemacht wird und fordern Fischtreppen bei Rhinau,
Marckolsheim und Vogelgrün.
Wir freuen uns, dass 2017 das Biosphärengebiet Schwarzwald
von der UNESCO anerkannt wurde. Doch uns ist aufgefallen, dass bei den
Feierlichkeiten und den offiziellen Reden das Wort "Natur" fast nicht
vorkam. Dem BUND geht es um die bedrohte Natur und nicht um ein
"Biosphärengebiet Schwarzwald" bei dem nur Zuschüsse und Wachstum im
Vordergrund stehen.
Auch die nur scheinbar "kleinen" Themen greifen wir auf.
Im Nimburger Ried kritisierten wir das Abholzen einer Schilffläche für
gefährdete Arten. In Endingen wurde ein Biotop der bedrohten Großen
Teichmuschel durch die Trockenlegung eines Sees gefährdet und Anwohner
informierten den BUND. Wir haben das Landratsamt eingeschaltet und die
stark bedrohte Art wurde umgesiedelt. Und "nebenher" haben wir in
diesem Jahr auch fast 2500 Nistkästen verkauft.
Trotz aller wichtigen und manchmal auch bedrohlichen, regionalen
Umwelt- und Naturschutzprobleme
müssen wir immer wieder daran erinnern, dass die größte
menschengemachte Umweltkatastrophe der Hunger ist. Nach Angaben der
Vereinten Nationen ist die Zahl der Hungernden erstmals seit Jahren
wieder gestiegen; um 38 Millionen auf 815 Millionen.
Gemeinsam mit unseren Aktiven in den regionalen BUND-Gruppen arbeiten wir an unseren örtlichen Umwelt- und Naturschutz-Themen und verlieren dabei aber niemals den Blick auf die großen weltweiten Probleme.
Axel Mayer, BUND-Geschäftsführer
http://www.bund-rvso.de/2017-umweltpolitischer-rueckblick.html
*
Quelle:
Mitteilung an die Medien vom 07.12.2017
Herausgeber:
Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V.
BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein
Wilhelmstr. 24a, 79098 Freiburg
Tel.: 0761/30383, Fax: 0761/23582
E-Mail: bund.freiburg@bund.net
Internet: www.bund-freiburg.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2017
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