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STANDPUNKT/809: Stuttgart 21 - Abspecken und besser werden (BUND BW)


BUND Landesverband Baden-Württemberg - 20. Juni 2016

Stuttgart 21: Abspecken und besser werden

BUND fordert in einem heute veröffentlichten Positionspapier eine Öffnung in Richtung "Kombi-Lösung"


Stuttgart. Die vielen Nachforderungen von renommierten Verkehrsexperten, ursprünglichen S21-Befürwortern sowie dem Verband Region Stuttgart in jüngster Zeit bestätigen die vom BUND Baden-Württemberg seit Jahren vertretene Position, dass Stuttgart 21 in der jetzigen Form nicht zukunftsfähig ist. "Stuttgart 21 ist leider auch heute noch in ganz wesentlichen Teilen weder vollständig geplant noch vollständig genehmigt. Es gibt noch immer keine qualifizierten Aussagen zu den Kosten noch zum Zeitablauf. Dieser Missstand fällt den Machern bis heute immer wieder vor die Füße und wird es auch weiter tun", sagt Dr. Brigitte Dahlbender, Landesvorsitzende des BUND.

In einem Positionspapier zeigt der BUND konstruktive Lösungen aus der Sackgasse auf: Mit dem Einstieg in eine Kombi-Lösung könnten einerseits die Kosten und Risiken von Stuttgart 21 deutlich gesenkt und andererseits finanzielle Spielräume zur Realisierung eines tatsächlich zukunftsfähigen Bahnknotenpunkts gewonnen werden. Weitere Kernpunkte des BUND-Konzepts sind: Verzicht auf einen unterirdischen Flughafenbahnhof und stattdessen der Bau eines oberirdischen Haltes am Flughafen am Messeparkhaus. Zudem soll die Gäubahn über die bestehende Panoramabahn oberirdisch in den Hauptbahnhof geführt werden. Flankierend sollen die Zuführungsstrecken zum Hauptbahnhof und die Wendlinger Kurve leistungsfähig ausgebaut werden.

Unverzichtbar für einen zukunftsfähigen Bahnknoten sind daher deutlich mehr als acht Bahnsteiggleise im Großknoten Stuttgart und eine konsequente Entmischung von S-Bahn/Regional- und Fernverkehr. "Auffallend an den bisherigen Diskussionen ist, dass alle Überlegungen "um den Hauptbahnhof herum kreisen". Keiner wagt es, an 'die letzte Meile' zu denken und den Hauptbahnhof in die Maßnahmen einzubeziehen. Dieses Tabu muss gebrochen werden. Denn eine nachhaltige Mobilitätswende muss sich an den Wünschen der Bahnkunden und der tatsächlichen Verkehrsströme orientieren - und da ist der Hauptbahnhof zentrales Element. Letztlich bedeutet dies einen Einstieg in die Diskussion einer "Kombi-Lösung". Sonst werden wir eine immer dringlicher werdende Verkehrswende im Ballungsraum Stuttgart nicht bewältigen, so Dahlbender.

Raute


BUND-Position zu aktueller S21-Lage, Juni 2016
Stuttgart 21 jetzt schon an die Wand gefahren: BUND skizziert Umsteigelösungen - Öffnung Richtung "Kombi-Lösung"

Unterm Strich - sogar bahnbetrieblich besser

Ausgangslage

Der BUND sieht sich in seinen schon vor vielen Jahren gemachten Prognosen, gutachterlich belegten Aussagen und Fakten hinsichtlich Kostenexplosion, Zeitverzögerungen und technischer Probleme bestätigt. Die Bahn hat über Jahre hinweg alle Entscheidungsträger unzureichend informiert und die wahren Risiken des Projekts verschwiegen. Alle Verträge sind aufgrund unfertiger Planungen, unzureichender Risikobetrachtungen und damit falscher Kostenschätzungen geschlossen worden. Stuttgart 21 ist ein Musterbeispiel dafür, wie Großprojekte nicht geplant werden dürfen. Es bestätigt auch die Einschätzung der Wirtschaftsprüfer im Rahmen der Schlichtungsgespräche, wonach offiziell bei Stuttgart 21 systematisch alle Chancen zwar berücksichtigt wurden, alle Risiken aber heruntergerechnet wurden.

Dieser Spuk muss nun ein Ende haben. Die jüngst bekannten Berichte legen wesentliche - eigentlich schon seit der Faktenschlichtung bekannten - Fakten ungeschminkt offen und bestätigen jetzt auch nachweislich die langjährige Kritik des BUND. Sämtliche Kostenberechnungen und Zeitpläne der Bahn waren reine Schönfärberei, welche einzig und allein dazu dienten, das umstrittene Vorhaben politisch durchzusetzen und die Vertragspartner bei Laune zu halten. Getäuscht wurden auch die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der Volksabstimmung - Geschäftsgrundlage der Abstimmung war der von der Bahn zugesagte verbindliche Kostendeckel von 4,5 Mrd. Euro und nicht die Frage, ob Stuttgart 21 realisiert werden solle, koste es was es wolle. Der BUND sieht damit den Geist des Volksabstimmungsergebnisses aus dem Jahr 2011 zunehmend in Frage gestellt. Basis der Abstimmung war das Versprechen der Bahn, das S21-Projekt im zeitlichen und finanziellen Rahmen zu verwirklichen sowie einen leistungsfähigen auf Verkehrszuwachs ausgerichteten Bahnknoten zu realisieren. Alle Zusagen werden nun schon seit der Volksabstimmung zum 2. Mal nach der Kostenexplosion aus dem Jahre 2013 gebrochen.

Die Spitze des Eisbergs bei den Kostensteigerungen ist noch nicht erreicht

Dramatisch an der jetzigen Situation ist, dass die massiven Kostensteigerungen schon zu einem Zeitpunkt eingeräumt werden, wo noch nicht alle Planungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen sind und erst etwa ein Viertel der Tunnel gegraben sind. Die Spitze des Eisbergs bei den Kostensteigerungen ist also noch lange nicht erreicht. Folgende kostentreibende Faktoren und Risiken sind in den nun vorliegenden Rechnungen mit hoher Wahrscheinlichkeit und nach den bisherigen Erfahrungen noch nicht berücksichtigt:

  • Weitere Änderungen am Brandschutz
  • Weitere Änderungen an der Statik und den Ausführungen des Tiefbahnhofgebäudes
  • Änderungen Grundwassermanagement - Überraschungen sind schon eingetreten, z.B. erhöhter Wasserandrang in Wangen
  • Abstellbahnhof Untertürkheim: Planungsunterlagen sind noch gar nicht offengelegt; rechtskräftige Genehmigung noch nicht absehbar. Große Probleme mit dem Artenschutz sind absehbar

Aus Sicht des BUND sind folgende Lösungsalternativen geeignet, um aus der jetzigen Sackgasse von Kostenexplosionen, Zeitverzug sowie bahnverkehrlichen Qualitätsnachteilen heraus zu kommen.

a) Mehr Schieneninfrastruktur für einen zukunftsfähigen Bahnknoten Stuttgart In der heutigen Planung ist Stuttgart 21 alles andere als zukunftsfähig. Die vielen Nachforderungen von renommierten Verkehrsexperten und ursprünglichen S21-Befürwortern in jüngster Zeit unterstreichen - und bestätigen die vom BUND schon seit Jahren vertretene Position, dass Stuttgart 21 in der jetzigen Form nicht zukunftsfähig für eine immer dringlichere Verkehrswende im Ballungsraum Stuttgart ist (Klimaschutzziele, Feinstaub, Stickoxide, Stauhauptstadt). Unverzichtbar für einen zukunftsfähigen Bahnknoten sind auch aus Sicht des BUND z.B. deutlich mehr als 8 Bahnsteiggleise in einem Großknoten wie Stuttgart und eine konsequente Entmischung von S-Bahn/Regional- und Fernverkehr - wie z.B. auf den Fildern bei S21 nicht geplant. Auffallend an den bisherigen Diskussionen ist, dass alle Überlegungen "um den Hauptbahnhof herum kreisen"; keiner wagt, an "die letzte Meile" zu denken und den Hauptbahnhof in die Maßnahmen einzubeziehen. Dieses Tabu muss aus Sicht des BUND gebrochen werden. Denn eine nachhaltige Mobilitätswende muss sich an den Wünschen der Bahnkunden und der tatsächlichen Verkehrsströme und den zukünftigen Bedürfnissen orientieren - und da ist der Hauptbahnhof zentrales Element. Letztlich bedeutet dies einen Einstieg in die Diskussion einer "Kombi-Lösung".

b) Umplanungen, Anpassungen und Abspeckungsmaßahmen bei Stuttgart 21 Der BUND sieht die Inbetriebnahme der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm durch S21-Verzögerungen gefährdet. Die unmittelbare, zeitnahe Nutzung der Neubaustrecke hat sich S21 unterzuordnen durch Umplanungen, Anpassungen und vor allem Abspeckungsmaßnahmen. In der Summe gilt es, einerseits die Kosten und Risiken von Stuttgart 21 deutlich zu senken, andererseits finanzielle Spielräume zur Realisierung zusätzlicher Maßnahmen für einen tatsächlich zukunftsfähigen Bahnknoten zu gewinnen.

Denkbar sind beispielsweise:

  • Vorziehen und Konzentration der S21-Abschnitte auf dem Nord-Süd-Korridor (Fildertunnel und Tunnel nach Feuerbach)
  • Zurückstellen des S21-Tunnels und neuer Neckarbrücke nach Bad-Cannstatt
  • Zurückstellen des S21-Tunnels unter Stuttgarter Osten und Neckar nach Untertürkheim
  • Verzicht des unterirdischen Flughafenbahnhofes
  • Verzicht des Um- und Ausbaues der S-Bahnstation Flughafen (drittes Gleis)
  • Verzicht der aufwändigen Tunnelbauten im Flughafenbereich
  • Verzicht der Rohrer Kurve und Ausbau der jetzigen S-Bahnstrecke zwischen Rohr und Flughafen
  • Weiternutzung von bestehenden Gleistrassen, u.a. für die bisherige Einführung der Gäubahn über die Panoramastrecke und Ausfahrt über die bestehende Neckarbrücke nach Bad Cannstatt
  • Bau eines oberirdischen Haltes am Flughafen unter dem Messeparkhaus
  • Bau eines 5. Und 6. Gleises zwischen Feuerbach und Kornwestheim
  • Bau einer zweigleisigen, kreuzungsfreien Wendlinger Kurve

Mit den skizzierten Maßnahmen sind nach Auffassung des BUND die Kosten und Zeitabläufe halbwegs in den Griff zu bekommen und unterm Strich ist sogar noch ein deutlicher bahnverkehrlicher Mehrwert bzw. eine Kapazitätssteigerung gegenüber "Stuttgart 21 pur" zu schaffen. Insbesondere die skizzierten Verzichtsmaßnahmen bieten auch den Vorteil, dass erhebliche ökologische Risiken und Eingriffe vermieden werden wie beispielsweise:

  • Mineralwassergefährdung durch Fundamente Neckarbrücke bei Cannstatt
  • Mineralwassergefährdung durch Untertunnelung Neckarflussbett bei Untertürkheim
  • Rodung großer Waldflächen an der Rohrer Kurve
  • Schonung wertvollster Filderböden durch Verzicht auf Flughafentunnel (offene Bauweise).

Gerhard Pfeifer, BUND-Regionalverband Stuttgart
Klaus-Peter Gussfeld, BUND-Landesverband

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Quelle:
Presseinformation, 20.06.2016
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Landesverband Baden-Württemberg e.V.
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Tel.: 0711 620306-17, Fax: 0711 620306-77
E-Mail: presse.bawue@bund.net
Internet: www.bund.net/bawue


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2016

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