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STANDPUNKT/188: Die neue EU-Biodiversitätsstrategie 2020 - Innovation oder Verharren? (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter August 2011

Standpunkt: Die neue EU-Biodiversitätsstrategie 2020 - Innovation oder Verharren?

von Carsten Neßhöver


Das internationale Jahr der Biodiversität 2010 wurde mit einem Meilenstein beendet. Die Vertragsstaatenkonferenz des UN-Übereinkommens zur Biologischen Vielfalt (CBD) verabschiedete eine neue Strategie zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Biodiversität bis 2020, die teilweise sehr ambitionierte Ziele formuliert und dabei erstmalig einen Rahmen erstellt, der die zentralen Aspekte des Biodiversitätsschutzes mit einbezieht - die Rolle des menschlichen Wirtschaftens als Haupttreiber des Verlustes, aber ebenso den Nutzen, den wir aus der Natur für das Wirtschaften und unser Wohlbefinden ziehen - die sogenannten Ökosystemleistungen.

Im Mai 2011 legte die EU-Kommission nun eine neue europäische Strategie zur Erhaltung der Biologischen Vielfalt vor. Leider kann diese nur in Teilen an die globale UN-Strategie und auch an frühere europäische Ansätze anknüpfen - sowohl konzeptionell als auch in ihren spezifischen Aktionspunkten. Die hohen Erwartungen der vielen europäischen Akteure in Natur- und Umweltschutz erfüllt sie damit nicht.

1. Mit ihren sechs Hauptzielen und 20 untergeordneten Aktionsfeldern ist die europäische Strategie unausgewogen. Zum einen wurden neben vier zu erwartenden Zielen - zum klassischen Naturschutz durch das europäische Schutzgebietssystem (Ziel 1), zur Nachhaltigkeit in Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft (Ziele 3 und 4) und zur globalen Verantwortung Europas (Ziel 6) - nur zwei weitere Bereiche auf die oberste Zielebene gesetzt. Das sind die Bekämpfung invasiver Arten (Ziel 5) sowie die Erhaltung und die Wiederherstellung von Ökosystemleistungen (Ziel 2). Zum anderen bleiben die Ambitionen der Hauptziele größtenteils überschaubar und vielfach unkonkret. Warum in Ziel 5 der Bekämpfung invasiver Arten eine so große Priorität eingeräumt wird, bleibt ebenso unklar. Schließlich sind eingeschleppte Arten nur einer von fünf derzeit bekannten Haupttreibern des Biodiversitätsverlustes, zu denen beispielsweise ebenso die Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität oder der Landnutzungswandel gehören - mit einem deutlich negativeren Einfluss.

2. Die Formulierung von Ziel 2, bei dem der Nutzen der Natur für den Menschen in den Mittelpunkt gerückt wird, ist grundsätzlich sehr zu begrüßen. Damit wird ein relativ neuer Aspekt der Biodiversitätsdiskussion deutlich aufgewertet. Darin enthalten und ebenfalls positiv zu beurteilen ist bspw. auch die Forderung einer sogenannten Grünen Infrastruktur, die in der Raumplanung eine stärkere Berücksichtigung der Natur fordert. Dass hierfür bis 2014 (!) alle Mitgliedsstaaten ihre Ökosysteme und deren Leistungen erfassen sollen (u. a. flächendeckende Abschätzung der Speicherung und Abgabe von Kohlenstoff auf Wald- und Ackerflächen oder der Rückhalteleistung von Auen bei Hochwasser), ist jedoch ein Anspruch, der utopisch erscheint. Denn dazu braucht es nicht nur mehr Daten, sondern auch deren integrative Analyse sowie die Erfassung der ökonomischen Werte dieser Leistungen - Dinge, die bislang nur ansatzweise vorhanden sind.

3. Achtsamkeit ist aber auch in anderer Hinsicht angebracht. Denn über die durch Ziel 2 verkörperte wichtige Idee, die Verbindung zwischen Biodiversitätsschutz und Aspekten eines nachhaltigen Wirtschaftens zu stärken, dürfen die klassischen Ansätze des Naturschutzes nicht vergessen werden. Es lässt sich nun einmal nicht alles im Naturschutz mit den Leistungen der Natur für den Menschen begründen. Ein wichtiges Ziel bleibt ebenso die Erhaltung von Arten und Lebensräumen an sich.

4. Sehr geringe Ambitionen offenbart die EU-Strategie auch bei der Einbindung der verschiedenen Partner in den Biodiversitätsschutz und bei der Definition der zukünftigen Rolle der Forschung. Das Papier beschränkt sich auf eine Auflistung sektoraler Partnerschaften, bspw. mit Unternehmen und internationalen Konventionen. Die Forschung wird nicht einmal erwähnt, trotz ihres unbestrittenen über viele Jahre erbrachten Beitrages zum besseren Verständnis des Biodiversitätsverlustes und zur Entwicklung von Gegenmaßnahmen. Um wirklich voranzukommen, braucht man auch zukünftig eine starke Forschung und darüber hinaus ein gesamtgesellschaftliches Konzept, das neue Partnerschaften, etwa zwischen Forschung und Wirtschaft befördert.

Fazit: In der Gesamtschau liest sich die EU-Strategie vom Mai 2011 wie ein Rückzug auf das Machbare und verharrt gerade bei den zentralen Feldern der Landnutzung in alten Ansätzen. Es fehlen sowohl klare Aussagen bezüglich der üblichen Konfliktfelder in Landwirtschaft und Fischerei als auch ein Gesamtkonzept, das eine wirkliche Einbindung von Biodiversitätsbelangen in die verschiedenen Politiksektoren ermöglichen könnte. Die ehrgeizigen Pläne, die in den letzten Jahren auf der EU-Ebene diskutiert wurden, haben sich einzig auf das Konzept der Ökosystemleistungen und der Grünen Infrastruktur als "Hoffnungsträger" reduziert. Dort bleiben sie allerdings recht vage und bedürfen einer aktiven Einbindung der Wissenschaft zu ihrer Konkretisierung und Umsetzung.

Dr. Carsten Neßhöver ist stellvertretender Leiter des Departments Naturschutzforschung am UFZ. Dort ist er für die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik zu Biodiversitätsthemen verantwortlich. In dieser Funktion koordiniert er das BMBF-Projekt Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland (www. biodiversity.de) sowie verschiedene europäische Aktivitäten. e-mail: carsten.nesshoever[at]ufz.de


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Quelle:
UFZ-Newsletter August 2011, Seite 6
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2011