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OFFENER BRIEF/032: Brandbrief zu Kraftwerks-Standards - Bundesregierung riskiert (Klima-Allianz)


Klima-Allianz Deutschland - 12. September 2017

Brandbrief zu Kraftwerks-Standards: Bundesregierung riskiert Vertrauensverlust


Berlin, 12.09.2017. In einem offenen Brief an die Bundesregierung haben acht zivilgesellschaftliche Organisationen davor gewarnt, die Umsetzung der neuen EU-Umweltstandards für Kohlekraftwerke zu verzögern. Es drohe ein Vertrauensverlust der anderen Mitgliedsstaaten, wenn die Bundesregierung sich nicht klar zu der Neuregelung bekenne. Dazu erklärt Christiane Averbeck, Geschäftsführerin der Klima-Allianz Deutschland:

"Dass die Bundesregierung so lange zögert, die Prüfung einer Klage zurückzuweisen, ist bereits ein Affront gegen die anderen EU-Staaten. Die Entscheidung für neue Standards ist rechtmäßig zustande gekommen. Es ist offensichtlich, dass die Braunkohle-Ministerpräsidenten versuchen, die Umsetzung der Standards zu verzögern. Wirtschaftsministerin Zypries macht sich zur Erfüllungsgehilfin der Kohlelobby, wenn sie der Argumentation der Ministerpräsidenten folgt. So setzt sie die Gesundheit der Bevölkerung und den Klimaschutz in ganz Europa aufs Spiel."

Hintergrund:

Den Brief unterzeichneten die Klima-Allianz Deutschland, das EU-Umweltbüro, der DNR, Germanwatch, der BUND, NABU, Greenpeace und HEAL. Sachsens Ministerpräsident Tillich und seine Amtskollegen aus Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt hatten die Bundesregierung ihrerseits in einem Brief aufgefordert, das Inkrafttreten der neuen EU-Umweltstandards "mit allen rechtlichen und politischen Mitteln" zu verhindern.

Die neuen Schadstoffgrenzen für Kraftwerksemissionen, die sogenannten BVT-Merkblätter für Großfeuerungsanlagen, wurden von der EU Kommission am 16.08.2017 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. In Deutschland werden diese Schadstoffgrenzen nach der Bundestagswahl rechtlich in der Bundes-Immissionsschutzverordnung (BImSchV) umgesetzt. Diese müssen bis 17.08.2021 auf alle Kohlekraftwerke in Europa angewandt werden und bedeuten Reduktionen beim Ausstoß von Quecksilber, Schwefeldioxid und Stickoxiden. Die Umweltstandards wurden trotz Gegenstimme der deutschen Bundesregierung am 28. April 2017 beschlossen.

Raute



Frau Bundesministerin
Brigitte Zypries
Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie
Scharnhorststraße 34-37
10115 Berlin

Nachrichtlich:
Herrn Bundesminister
Peter Altmaier
Chef des Bundeskanzleramtes
Willy-Brandt-Straße 1
10557 Berlin

11.09.2017

Umsetzung der neuen EU-Umweltstandards für Großfeuerungsanlagen (LCP BREF Novelle)

Sehr geehrte Frau Bundesministerin,

die Ministerpräsidenten der Bundesländer Sachsen, Brandenburg, NRW und Sachsen-Anhalt [1] fordern, das Inkrafttreten der neuen EU-Umweltstandards für Großfeuerungsanlagen [2] "mit allen rechtlichen und politischen Mitteln zu verhindern". Wir sehen uns genötigt, dazu wie folgt Stellung zu nehmen:

Die Bundesregierung sollte aus Gründen der Zuverlässigkeit dringend eine rasche und ambitionierte Umsetzung der von der EU rechtmäßig beschlossenen Vorgaben einleiten. Deutschland muss beim Stand der Technik von Großfeuerungsanlagen eine Vorreiterrolle einnehmen. Die deutschen Kohlekraftwerke haben erhebliche gesundheitliche Auswirkungen und waren 2013 für 19 Prozent der vorzeitigen Todesfälle in der EU verantwortlich [3]. Verhindern Sie weitere unnötige Gesundheitsbelastungen und vorzeitige Todesfälle indem Sie sich für eine konsequente Umsetzung der neuen Grenzwerte einsetzen.

Die neuen EU-Umweltstandards bedeuten deutliche Fortschritte für den Umwelt- und Gesundheitsschutz in allen EU-Staaten und für alle Bürgerinnen und Bürger. Eine konsequente Umsetzung durch die Bundesregierung könnte jährlich 3.020 vorzeitige Todesfälle durch Luftschadstoffe allein aus Kohlekraftwerken in Deutschland verhindern und 8,26 Milliarden Euro an Gesundheitskosten einsparen [4].

Die Energiewirtschaft ist nach dem Straßenverkehr der größte Verursacher von Stickoxidemissionen. Die neuen Grenzwerte bieten die Chance, wichtige Fortschritte bei der Luftreinhaltung und der Minderung von Stickstoffeinträgen in Böden und Gewässer zu erzielen. Moderne technische Anforderungen an die Luftschadstoffemissionen von Kraftwerken ermöglichen zudem einen ehrlicheren Preisvergleich mit emissionsarmen Energiequellen wie Wind- und Solarstrom. In Deutschland werden die EU-Schadstoffgrenzen rechtlich in der Bundes-Immissionsschutzverordnung (13. BImSchV) umgesetzt. Unserer Abschätzung nach stehen in Deutschland vor allem die ältesten Braunkohlekraftwerke, die auch am gesundheits- und klimaschädlichsten sind, durch die neuen Vorgaben zu Stickoxiden vor einer Herausforderung. Viele dieser Kraftwerke haben das Ende ihrer geplanten Lebensdauer bereits erreicht oder überschritten.

Die im Klimaschutzplan 2050 vorgesehene CO2-Reduktion im Energiebereich macht das Abschalten genau dieser Kraftwerke unabhängig von den neuen EU-Umweltstandards unabdingbar. Für einige der betroffenen Kraftwerksblöcke ist bereits geplant, dass sie in die Sicherheitsbereitschaft überführt werden, bevor die neuen Standards ab August 2021 einzuhalten sind. Die Entscheidung zu den neuen EU-Umweltstandards ist am 28. April 2017 in einem regulären Komitologieverfahren getroffen worden.1 Die Behauptung der Ministerpräsidenten der vier Braunkohle-Länder, dass die EU-Umweltstandards rechtswidrig zustande gekommen seien [5], ist faktisch nicht haltbar und lediglich ein verzweifelter Versuch, die Umsetzung zu verzögern [6]. Sie stützt sich auf ein Rechtsgutachten, das mit fadenscheinigen Argumenten die Interessen der deutschen Braunkohlewirtschaft vertritt und vom DEBRIV (Bundesverband Braunkohle) / VGB in Auftrag gegeben wurde [7]. Die Bundesregierung sollte eine derart verfehlte Klientelpolitik nicht unterstützen. Ein Zögern der Bundesregierung oder - wie von der Braunkohle-Lobby gefordert - die Einleitung rechtlicher Schritte, würde das Vertrauen in die Bundesrepublik in Bezug auf die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben stark beschädigen. Wir fordern Sie daher auf, sich klar zur konsequenten Umsetzung der auf EU-Ebene beschlossenen Standards zu bekennen.

Stellen Sie bei der Umsetzung der EU-Umweltstandards sicher, dass Anträge auf Ausnahmen nicht zu mehr Verschmutzung und verlängerten Laufzeiten von Kohlekraftwerken führen, sondern an die Bedingung einer frühzeitigeren Stilllegung geknüpft werden. Eine parallele Planung der Stilllegung von Kraftwerksblöcken in Übereinstimmung mit den Minderungszielen des Klimaschutzplans sowie verbleibender Investitionen in Minderungstechniken für Luftschadstoffe für verbleibende Blöcke ist somit unerlässlich und unter den gegebenen Zeitrahmen äußerst sinnvoll.

Vor diesem Hintergrund bitten wir Sie um eine zügige Beantwortung der Frage, ob sie die Absicht haben - wie von den Braunkohleländern gefordert - rechtliche Schritte gegen die neuen EU-Umweltstandards für Großfeuerungsanlagen einzuleiten. Wegen der erheblichen umwelt-, energie- und klimapolitischen Bedeutung für die gesamte EU geht ein Abdruck dieses Schreibens auch an die Medien.

Nach einem fast sechs Jahre dauernden intensiven Verhandlungsprozess haben die Mitgliedstaaten auf Vorschlag der EU-Kommission am 28. April 2017 in einem Durchführungsrechtsakt beschlossen, gesundheits- und umweltschädliche Emissionen von Großfeuerungsanlagen wie Stickoxide, Schwefeldioxid und Quecksilber deutlich zu reduzieren. Dieser Beschluss wurde am 17. August im Amtsblatt der EU veröffentlicht [3] und ist somit rechtskräftig. Nach Artikel 21 der Industrieemissionsrichtlinie müssen die neuen Umweltstandards ab dem 16. August 2021 eingehalten werden.

Dieser Brief ging gleichlautend auch an die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Bandt
Geschäftsführer
BUND e.V.

Florian Schöne
Generalsekretär
DNR - Deutscher Naturschutzring

Jeremy Wates
Generalsekretär
Europäisches Umweltbüro (EEB)

Christoph Bals
Politischer Geschäftsführer
Germanwatch

Martin Kaiser
Geschäftsführer
Greenpeace e.V.

Anne Stauffer
Stellvertr. Geschäftsführerin
Health and Environment Alliance

Dr. Christiane Averbeck
Geschäftsführerin
Klima-Allianz Deutschland

Leif Miller
Bundesgeschäftsführer
NABU e.V.


[1] Tillich: Entscheidung der EU zu LCP BREF. Brief der sächsischen Staatskanzlei an Frau Bundesministerin Zypries, Bundeministerium Wirtschaft und Energie (Geschäftszeichen sK.31-41 66t 2t 1-2017 t7 1 1 84), 17. August 2017, Dresden.

[2] Amtsblatt der EU - Umweltstandards für Großfeuerungsanlagen (LCP BREF Novelle).
Abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=OJ%3AL%3A2017%3A212%3ATOC;
Die sogenannten BVT-Merkblätter enthalten die neuen Schadstoffgrenzen für Kraftwerksemissionen der EU, die am 17. August im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurden.

[3] Die dunkle Wolke über Europa lichten: Wie durch weniger Kohleabgase Leben gerettet werden.
Abrufbar unter http://env-health.org/IMG/pdf/heal_dark_cloud_report_german_low_res.pdf.

[4] Ebd.

[5] Tillich: Entscheidung der EU zu LCP BREF. Brief der sächsischen Staatskanzlei an Frau Bundesministerin Zypries, Bundeministerium Wirtschaft und Energie (Geschäftszeichen sK.31-41 66t 2t 1-2017 t7 1 1 84), 17. August 2017, Dresden.

[6] Expertenbrief Christian Schaible (EEB): Gründe für Rechtskonformität der Quecksilbergrenzwerte und der Verhältnismäßigkeit der Stickoxidgrenzwerte.
Abrufbar unter: http://www.klima-allianz.de/fileadmin/user_upload/Dateien/Bilder/Content/News/Anhang_Brief_NOx_und_HGV2.pdf

[7] Spieth/Hellermann: On the legality of the ranges of emission levels (BAT-AEL) for mercury and NOx for existing lignite combustion plants. Legal Opinion for DEBRIV - German Lignite Association. 15 March 2017. Berlin: Freshfields Bruckhaus Deringer.


Der Brief der sächsischen Staatskanzlei an Bundesministerin Zypries vom 17. August 2017 ist abrufbar unter: http://www.klima-allianz.de/fileadmin/user_upload/Dateien/Bilder/Content/Presse/2017_08_Brief_Tilich_BMWi_EU-Grenzwerte.pdf.

Die Veröffentlichung im Amtsblatt der EU zu Umweltstandards für Großfeuerungsanlagen (LCP BREF-Novelle) finden Sie unter
eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=OJ%3AL%3A2017%3A212%3ATOC.

*

Quelle:
Pressemitteilung, 12.09.2017
Klima-Allianz Deutschland
Invalidenstr. 35, 10115 Berlin
Tel.: +49 (0)30 7808995-15
E-Mail: presse@klima-allianz.de
Internet: www.klima-allianz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2017

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