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LAIRE/327: Feinstaub - Schädiger fordern Schadenersatz ... (SB)



Durch das weitgehende Zurückfahren der Produktion und des öffentlichen Lebens in Europa wegen der Coronaviruspandemie sind im April dieses Jahres voraussichtlich 11.000 Menschen am Leben geblieben. Unter normalen Verhältnissen wären sie aufgrund der Feinstaubbelastung durch die Kohle- und Ölverbrennung vorzeitig gestorben. Nun verlangen in Deutschland und anderen EU-Ländern ausgerechnet die Luftfahrt- und Automobilindustrie, die einen nicht geringzuschätzenden Anteil an der Feinstaubproduktion haben, staatliche Unterstützung, damit sie die Pandemie wirtschaftlich einigermaßen "gesund" überstehen.

Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronaviruspandemie haben im April dieses Jahres zu einer deutlichen Verringerung von Luftschadstoffen in Europa beigetragen. Nach einer finnischen Studie gingen innerhalb von 30 Tagen die Stickstoffdioxide (NO₂) um 40 Prozent und die Feinstaubpartikel (PM2,5) um 10 Prozent zurück. Diese überaus wünschenswerte Verminderung der Schadstoffbelastung der Atemluft hat offensichtlich mit dem Rückgang der Kohleverstromung um 37 Prozent und des Ölverbrauchs um ein Drittel zu tun, lautet das Ergebnis der unabhängigen Forschungsorganisation Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) in Finnland. [1]

Zusätzlich zu den vermiedenen Todesfällen birgt das Zurückfahren der Wirtschaft erhebliche Gesundheitsvorteile - wohlgemerkt, hier geht es ausschließlich um die Bewertung der Feinstaubbelastung und keinesfalls um eine Verharmlosung der schwerwiegenden Folgen der Coronaviruspandemie. Der Studie zufolge kam es europaweit zu rund 6000 weniger neuen Asthmaerkrankungen unter Kindern, 1900 weniger asthmaanfallbedingten Notaufnahmen, 600 weniger Frühgeburten und 1,3 Millionen weniger krankheitsbedingten Arbeitsfehltagen.

Diese Zahlen spiegeln wider, welche Schäden der Feinstaub in normalen Wirtschaftszeiten erzeugt. Darüber hinaus gehen Studienleiterin Lauri Myllyvirta und ihr Kollege Hubert Thieriot davon aus, daß aufgrund der Feinstaubbelastung viele Menschen Vorerkrankungen besaßen und deswegen die von dem Coronavirus Sars-CoV-2 ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 bei ihnen einen schwereren Verlauf nahm. Die Sterberate habe also höher gelegen als ohne Feinstaubbelastung.

Nach Einschätzung Myllyvirtas lassen sich ihre Berechnungen zu Europa auf andere Weltregionen übertragen. Während der strengsten Einschränkungen des öffentlichen Verkehrs und der Wirtschaft beispielsweise bei der Shutdown-Phase in China verringerten sich die NO₂-Emissionen um 25 Prozent, und die Feinstaubbelastung nahm um 40 Prozent ab.

Zwar überraschen die CREA-Zahlen nicht grundsätzlich, war doch in früheren Studien anderer Institutionen die feinstaubbedingte Rate an vorzeitig Verstorbenen mit weltweit 7 bis 8,8 Millionen berechnet worden, aber das aktuelle Ergebnis führt deutlich vor Augen, welche schädlichen Industrien hier um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen. Autos haben einen Anteil von 20 Prozent an der Feinstaubbelastung in Deutschland, in Städten steigt der Wert auf 50 Prozent an. [2]

Die Bundesregierung will in Kürze entscheiden, in welcher Form sie die Autoindustrie unterstützt. Eine Arbeitsgruppe soll bis Juni entsprechende Vorschläge erarbeiten. Im Gespräch sind beispielsweise Kaufprämien in Höhe von mehreren tausend Euro pro Fahrzeug. Das soll die Kundschaft dazu veranlassen, auf dieses auch in der Hybrid- oder Elektrovariante umwelt- und gesundheitsschädliche Verkehrsmittel zu setzen.

Dem noch nicht genug haben die großen Autokonzerne BMW, Daimler und VW im vergangenen Jahr so gute Geschäfte gemacht, daß sie laut der Deutschen Umwelthilfe Gewinne in Höhe von 29,8 Milliarden Euro einfuhren und 8,2 Mrd. Euro als Dividende ausschütten konnten. Auch rein ökonomisch betrachtet mutet also die Idee, ausgerechnet eine feinstaubproduzierende Branche bedürfe dringend der Subventionierung, merkwürdig an. [3]

Die Fluggesellschaft Lufthansa soll staatliche Hilfe in einer Gesamthöhe von 10 Milliarden Euro erhalten, hat aber nur einen Börsenwert von derzeit knapp 4 Mrd. Euro. Warum nicht den Betrieb verstaatlichen? Noch nie war die Gelegenheit so günstig, auf diese Weise den gesundheitsschädlichen Luftverkehr mehr und mehr zurückfahren zu können, ohne daß dies zu Schadenersatzansprüchen und einer sozialen Verelendung führen müßte, weil die Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen wurden.

Der Anteil des Luftverkehrs an der Feinstaubbelastung ist nicht so hoch wie der von Autos. Aber die Verbrennung von Flugbenzin erzeugt verhältnismäßig große Mengen an Ultrafeinstaubpartikeln von nur 100 Nanometer Größe (PM0,1), die ähnliche Gesundheitsschäden erzeugen wie gröberer Feinstaub. Von anderen Gesundheitsbelastungen wie Fluglärm ganz zu schweigen. Noch bis zum 10. Mai läuft eine Europäische Bürgerinitiative mit dem Ziel, die Steuerbefreiung auf Kerosin zu beenden. [4]

Die Verteuerung von Flugbenzin und die Verstaatlichung der Lufthansa sowie ein Ausbremsen der Autoindustrie wären geeignete Maßnahmen, die zeigten, daß es der Bundesregierung ernst ist mit ihrer angeblichen Sorge um das gesundheitliche Wohl der Bürgerinnen und Bürger im allgemeinen und nicht um das einer reichtumsanhäufenden Minderheit, die durch die Pandemie ihre Kapitalinteressen bedroht sieht.


Fußnoten:

[1] https://energyandcleanair.org/wp/wp-content/uploads/2020/04/CREA-Europe-COVID-impacts.pdf

[2] https://www.ndr.de/nachrichten/info/Der-Faktencheck-zu-Feinstaub-und-Stickoxiden,feinstaub148.html

[3] https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/deutsche-umwelthilfe-lehnt-kaufpraemien-fuer-pkw-neuwagen-grundsaetzlich-ab/

[4] https://europa.eu/citizens-initiative/initiatives/details/2019/000009_de

6. Mai 2020


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