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LAIRE/308: USA - wachsender Schutzbedarf ... (SB)



Mehr als 16 US-Bundesstaaten haben bereits Gesetze erlassen, nach denen ziviler Ungehorsam gegen die Erdölindustrie aufs schärfste bestraft werden kann. Andere Bundesstaaten wollen dem Beispiel folgen. In Texas müssen diejenigen, die Ölpipelines überqueren oder andere "kritische Infrastruktur" betreten, inzwischen mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu einer Million Dollar rechnen. Auslöser der Welle an repressiven Gesetzen und Gesetzesvorschlägen in vielen Bundesstaaten waren die weitreichenden Proteste vor drei Jahren gegen den Bau der Dakota Access Pipeline (DAPL) entlang der Standing Rock Sioux Reservation.

Am 12. September hatte sich in Harris County, Texas, eine Gruppe Greenpeace-Aktivistinnen und -Aktivisten von einer Brücke über dem Houston Ship Channel abgeseilt, so daß ein ansonsten reger Schiffsverkehr mit Erdöl- und Erdgastransporten vorübergehend zum Erliegen kam. 26 Personen sind deswegen angeklagt und müssen mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren und einem Bußgeld von 10.000 Dollar rechnen. Der Gesetzesverschärfung in Texas liegt ein Entwurf zugrunde, der von der Industrielobbyorganisation American Legislative Exchange Council erarbeitet worden war. Dieser Entwurf sei in mindestens 16 Bundesstaaten zur Vorlage genommen worden, berichtete die US-Website Climate Inside News. [1]

Demnach ist das industriefreundliche Gesetz schon in sieben Bundesstaaten rechtskräftig, andere Bundesstaaten haben sehr ähnliche Gesetze verabschiedet oder in Vorbereitung. Das US-Transportministerium möchte den Kongreß dazu bewegen, ein solches Gesetz auch auf Bundesebene zu verabschieden. Mit 20 Jahren Gefängnis müßten dann diejenigen rechnen, die versuchen, die Ölproduktion zu behindern, schreibt der US Protest Law Tracker, der seit November 2016 den jeweiligen Stand des gesetzgeberischen Prozesses gegen friedliche Versammlungen auf Bundes- und Staatsebene beobachtet und öffentlich macht. [2]

Die Trump-Administration räumt der heimischen Erdölindustrie bereits eine rechtliche Hürde nach der anderen aus dem Weg, so daß sie von Umwelt- und Arbeitsschutzauflagen befreit wird. Das löst verstärkt Proteste in jenen Teilen der noch nicht propagandistisch sedierten Bevölkerung aus, die naturwissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel und unmittelbare Beobachtungen der klimatischen Veränderungen ernst nehmen und fordern, daß fossile Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas nicht mehr gefördert werden, da die Emissionen aus deren Verbrennung die globale Erwärmung forcieren.

Auf Bundesebene zeigen sich die oppositionellen Demokraten zwar offen für die Forderung, daß die Klimakrise abgewendet werden muß, und einige haben einen Green New Deal vorgeschlagen, der Klimaschutz zu einem zentralen Anliegen macht, aber auf Staatsebene ziehen nicht alle Demokraten an einem Strang. Beispielsweise hat auch das von einem demokratischen Gouverneur regierte Virginia ein scharfes Gesetz gegen Behinderungen der fossilen Energieinfrastruktur verabschiedet. Deshalb ist es noch keine ausgemachte Sache, daß sich im kommenden Jahr sehr viel ändert, sollte Donald Trump für keine zweite Amtszeit gewählt werden. Trotz der Warnungen aus der Klimaforschung und trotz der spürbar sich wandelnden Klimaverhältnisse auch in Nordamerika hält die US-Regierung die fossile Energiewirtschaft aufrecht. Mehr noch, sie steigert deren Produktivität, indem sie die umstrittene, da besonders zerstörerische Methode des Frackings fördert.

Die extreme Verschärfung der Gesetze zum Schutz dieser Energieform wird mit dem wachsenden Schutzbedarf der Infrastrukturen der fossilen Energiewirtschaft begründet. Solch ein Legitimationskonstrukt ist uralt und wird von herrschenden Interessen schon immer bemüht, um ihren Gewaltapparat gegen die Bevölkerung in Stellung zu bringen.

Einst stand "Atomstaat" als Chiffre für einen Staat, der unter dem Vorwand, die atomare Infrastruktur vor der Bevölkerung schützen zu müssen, seine Verfügungsgewalt in immer mehr gesellschaftliche Bereiche hinein ausdehnt. Das aktuelle Beispiel zu Erdölinstallationen in den USA zeigt, daß nicht allein die Sicherung der atomaren Infrastruktur als Vorwand dient, sondern daß der Staat die totale Bevölkerungskontrolle anstrebt, indem er in immer mehr öffentlichen Räumen Formen des Ausnahmezustands verhängt.

Da die Leute an der Spitze der Nahrungskette, also die Ölbarone und andere Milliardäre, nicht auf gleiche Weise von den Klimawandelfolgen betroffen sein werden wie die breite Masse der Bevölkerung und sich schon längst die sichersten Plätze auf der Erde angeeignet haben, wenn andernorts Wirbelstürme, Überschwemmungen, Dürren, Bergrutsche und der Meeresspiegelanstieg die Lebensräume zunichte machen, stellt sich aus ihrer Sicht die Verteidigung der fossilen Energiewirtschaft mit allen Mitteln staatlicher Verfügungsgewalt nicht als pures Selbstmordprogramm dar. Denn sie hegen die Hoffnung, sie könnten den sich verschärfenden Kampf um die verbliebenen Überlebensressourcen gegen die Heere an Hungerleidern durch die Gewaltmittel, die Recht und Gesetz (und ein Hightech-Zaun an der Südgrenze ...) bereithalten, erfolgreich verteidigen.


Fußnoten:

[1] https://insideclimatenews.org/news/16092019/oil-port-protesters-charged-texas-fossil-fuel-infrastructure-law-pipelines-greenpeace-houston

[2] http://www.icnl.org/usprotestlawtracker/?location=&status=&issue=6&date=&type=

19. September 2019


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