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LAIRE/301: Fracking - Vermarktungsimperialismus ... (SB)



"Freiheitsgas" oder "Moleküle der US-Freiheit" nennen Mitglieder der Trump-Administration das per Fracking geförderte Erdgas, das unter anderem in die Europäische Union exportiert wird. Solche ideologischen Attribute wirken nachgerade lächerlich, weiß doch alle Welt, daß das Fracking-Gas aus den USA sehr viel teurer ist als beispielsweise russisches Pipeline-Erdgas und von niemandem freiwillig gekauft würde. Daß die US-Regierung dennoch damit durchkommt, hat insofern mit "Freiheit" zu tun, als daß sie dank ihrer wirtschaftlichen und, noch wichtiger, militärischen Stärke so frei ist, erpresserische Methoden einzusetzen und Gewalteskalationen anzudrohen, um ihr Gas zu verhökern. Umgekehrt wird beispielsweise das konkurrierende deutsch-russische Pipeline-Projekt Nord Stream 2 torpediert, indem allen beteiligten Unternehmen Sanktionen angedroht werden.

Womit nicht behauptet werden soll, daß jene Erdgasleitung, die von Rußland durch die Ostsee nach Deutschland führt, verteidigenswert wäre. Doch gründet sich die US-Kritik an Nord Stream 2 auf geostrategische und ökonomische Interessen und nicht auf Bedenken wegen der mit der Erdgasverbrennung verbundenen Klima- und Umweltproblematiken.

Den Aufschlag zur ideologischen Verklärung des erdgeschichtlich aus vergammelten Pflanzen und Tieren entstandenen und dementsprechend übel miefenden Erdgases als "freedom gas" (Freiheitsgas) machte der US-amerikanische Energieminister Rick Perry. Er, der viele Jahre Gouverneur von Texas war und nicht gerade als der hellste Kopf in der US-Regierung bekannt ist - eine Überschrift von Politico vom 29. August 2011 lautet: "Is Rick Perry dumb?", z. Dt.: Ist Rick Perry dumm? [1] - sagte laut der Internetseite Euractiv.com Anfang Mai bei seinem Besuch der EU-Administration in Brüssel, siebzig Jahre nach der Befreiung Europas von der Besetzung durch Nazi-Deutschland lieferten die Vereinigten Staaten dem europäischen Kontinent erneut "eine Form von Freiheit, und anstatt in Gestalt junger amerikanischer Soldaten ist es in Form von Flüssigerdgas". [2]

Auf Nachfrage von Euractiv.com, ob "Freiheitsgas" ein passender Begriff zur Beschreibung des LNG (Liquid Natural Gas - Flüssigerdgas) von den USA nach Europa sei, bestätigte Perry, das könne man so sagen. Der US-Energieminister hatte im vergangenen Monat zwei Verträge zur Lieferung von LNG in die EU unterzeichnet, mit der erklärten Absicht, das (preiswertere) russische und norwegische Erdgas zu ersetzen. Die US-Regierung behauptet, daß mit der wachsenden Menge an LNG aus den USA dessen Preis sinken werde und Europa deshalb kein Erdgas aus Rußland brauche.

So erheiternd es vielleicht klingt, wenn politische Entscheidungsträger in Washington von "Molekülen der US-Freiheit" sprechen, so gefährlich für alle anderen sind die hinter solchen extremen Plattitüden steckenden Einstellungen und Absichten. Beispielsweise gehört Perry zu den Kreationisten. Dieser christlich fundamentalistische Menschenschlag glaubt, daß die Erde von Gott geschaffen wurde und daß die naturwissenschaftliche Evolutionstheorie falsch ist. Solch eine Meinung hat konkrete Konsequenzen: Nachdem im April 2010 die Erdölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexico nach einem Blowout zunächst in Brand geraten war und dann untergegangen ist, sagte Perry, damals Gouverneur von Texas: "Von Zeit zu Zeit geschehen Dinge, die Gottes Werk sind und nicht verhindert werden können." [3]

Dem wäre entgegenzuhalten: Erstens hätte niemand in einer solchen Tiefe nach Öl bohren müssen und zweitens haben die daran beteiligten Unternehmen, respektive der Ölkonzern BP, Sicherheitsmaßnahmen vernachlässigt. Wenn es Gottes Tat war, daß elf Arbeiter ihr Leben verloren und zahllose Lebewesen im Ölschlick verreckt sind - nun ja, jeder hat ein Recht darauf, sich den Gott auszusuchen, von dem er sich die meisten Vorteile verspricht. Aber wie zuverlässig ist ein Mensch solchen Glaubens als Geschäftspartner?

Daß die Verknüpfung von Erdgas mit Freiheit keiner der vielen Ausrutscher war, für die Perry zur Freude der Kabarettszene in den USA einschlägig bekannt ist, beweist eine Presseerklärung des US-Energieministeriums vom 28. Mai 2019. Darin wird Energiestaatssekretär Mark Menezes mit den Worten zitiert:

"Die Erhöhung der Exportkapazität aus dem Freeport LNG-Projekt ist entscheidend für die weltweite Verbreitung von Freiheitsgas, so daß den amerikanischen Verbündeten eine diverse und erschwingliche Quelle für saubere Energie zur Verfügung gestellt wird."

Steven Winberg, Assistant Secretary of Energy for Fossil Energy im Energieministerium, ergänzt:

"Mit den USA in einem weiteren Jahr der rekordverdächtigen Erdgasproduktion freue ich mich, daß das Energieministerium alles in seiner Macht Stehende tut, um ein effizientes Regulierungssystem zu fördern, das es ermöglicht, Moleküle der US-Freiheit in die Welt zu exportieren." [4]

Wenn die Erdgasmoleküle aus den USA "Freiheit" bedeuten, bleibt für alle anderen Anbieter dieses fossilen Energieträgers - unausgesprochen - nur noch die "Unfreiheit". Menschen mit einem Weltbild, in dem dann Freiheit für gut und Unfreiheit für böse stehen, bilden für Menschen, die nicht diesem Glauben anhängen, eine potentielle Bedrohung. Vor allem, wenn sie über gewisse Zerstörungsmittel verfügen, um ihrem Glauben, der im Fall Perrys und anderer Mitglieder der US-Administration auch noch apokalyptisch konnotiert ist, Geltung zu verschaffen. Nicht nur aus Umwelt- und Klimaschutzgründen wäre also die EU gut beraten, wenn sie nicht die Abhängigkeit vom Pipeline-Erdgas durch eine andere Abhängigkeit, nämlich vom Freiheitsgas der Zeloten im Weißen Haus, ersetzen würde. Verzicht auf Erdgas wäre folgerichtig die eleganteste Antwort sowohl auf die Klimakrise als auch den Vermarktungsimperialismus.


Fußnoten:

[1] Außerdem zitiert Politico einen republikanischer Parteigenossen Perrys mit den Worten: "Er ist wie Bush - nur ohne Gehirn."
https://www.politico.com/story/2011/08/is-rick-perry-dumb-062214

[2] https://www.euractiv.com/section/energy/news/freedom-gas-us-opens-lng-floodgates-to-europe/

[3] https://www.newstatesman.com/blogs/the-staggers/2010/05/gulf-mexico-spill-god

[4] https://www.energy.gov/articles/department-energy-authorizes-additional-lng-exports-freeport-lng

31. Mai 2019


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