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LAIRE/296: Biodiversität - Handel, Wandel, Eigentum ... (SB)



Die Hauptverschmutzer der Atmosphäre mit Treibhausgasen wie Kohlenstoffdioxid werden nicht ins Gefängnis geworfen, obwohl sie die Lebensgrundlage von Millionen Menschen rauben. Statt dessen wird es ihnen gestattet, eine Art Kaution zu hinterlegen. Sie kaufen sich durch den Erwerb von CO₂-Emissionszertifikaten frei, und obendrein dürfen sie ihr verwerfliches Tun unbeeinträchtigt weiter fortsetzen.

Sehr ähnlich hierzu wird im Rahmen des gegenwärtigen Treffens des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) in Paris über Konzepte gesprochen, die den Zerstörer von biodiversen Natursystemen straflos davonkommen lassen. Demnach würde beispielsweise ein Unternehmen artenreichen tropischen Regenwald roden dürfen, wenn es zur Kompensation Biodiversitätszertifikate erwirbt. Auf diese Weise wird eine eigentlich strafbare Handlung zu legitimieren versucht. Außerdem bedeutete es, daß für denjenigen, der über die entsprechenden Finanzmittel verfügt, nicht das gleiche Recht gilt wie für andere. Eine Welt des CO₂-Emissions- und Biodiversität-Zertifikatehandels wäre somit eine nicht nur ökonomisch, sondern auch rechtlich extrem disparate Welt.

Für solcher Art Handel gibt es auf nationaler Ebene genügend Vorbilder, die zeigen, daß das Konzept eher schadet, als daß es dem mutmaßlichen Anliegen des Erhaltes der Artenvielfalt und Naturschutzes dienlich ist. Beispielsweise Rio Tinto und Madagaskar. Der Bergbaukonzern ist zu 80 Prozent an dem Unternehmen QMM (Qit Madagascar Minerals S.A.) beteiligt. Die restlichen 20 Prozent sind im Besitz des Staates Madagaskar. Da das Unternehmen für seine Ilmenit-Mine (Ilmenit ist ein Mineral, das auch Titaneisenerz genannt wird) einzigartige Küstenwaldgebiete bei Fort Dauphin an der Südostspitze der Insel gerodet hat, schuf es dafür eine Ausgleichsfläche in der Anosy-Region, ebenfalls im Südwesten Madagaskars gelegen.

In den nächsten rund vier Jahrzehnten soll entlang der Küste Bergbau auf einer Fläche von 6.000 Hektar betrieben werden. Naturschutzorganisationen wie IUCN, BirdLife International, World Business Council on Sustainable Development und Business and Biodiversity Offsets Programme (BBOP) attestieren dem Projekt Vorbildcharakter. Es würde nicht nur für Biodiversitätsverluste aufkommen, sondern hätte auch einen "Netto Posivitiv-Effekt". Weil, so die neokolonialistisch anmutende Begründung, der Wald auf der Bergbaufläche sowieso von der örtlichen Bevölkerung gerodet worden wäre. Mit diesem Narrativ wird unterstellt, daß die Madagassen unfähig sind, ihre Naturschätze zu bewahren. Außerdem ist das Argument für sich genommen nicht plausibel, denn wäre es so, wie behauptet, dann würde die örtliche Bevölkerung ihre Rodungsaktivitäten lediglich auf andere Flächen verlagern.

Derlei Mißdeutungen nicht genug, wurden auch jene Menschen, die gewohnheitsmäßig die zu "Offset-Ausgleichsflächen" erklärten Gebiete genutzt hatten, nicht über die rechtlichen Veränderungen und darüber, was Biodiversitätszertifikate überhaupt bedeuten, informiert. Doch plötzlich wurde ihnen der Zugang zu diesen Waldgebieten, die einem vermeintlich höheren Zweck dienten, erschwert. Nicht einmal Maniok durften sie am Rande des zertifizierten Waldes anbauen. [1]

Unter Naturschutzorganisationen und im Wissenschaftsbetrieb gibt es viele, die sich dafür aussprechen, Ökosystemdienstleistungen einen monetären Wert beizumessen. Darüber sollte, so die Vorstellung, das auf Geld und Tausch basierte Wirtschaftssystem gegen sich selbst instrumentalisiert werden.

Faktisch wird hierbei jedoch ein Denkfehler begangen. Die Idee an sich ist nicht verkehrt zu sagen, daß beispielsweise mit dem Verlust eines Waldes mehr verlorengeht, als den Bäumen an Holzwert zugemessen wird. Ein Wald setzt Sauerstoff frei, sorgt für Wolkenbildung, gleicht als Wasserspeicher übermäßige Niederschläge aus, bietet Tieren und Pflanzen Lebensraum und kann der lokalen Bevölkerung auf vielfältige Weise nutzen. Gegen den ersten Schritt, zu sagen, daß Wald mehr ist als seine vermarktungsfähigen Teile, spricht nichts. Doch daraus den zweiten Schritt herzuleiten und zu sagen, wir wollen den Wald jetzt noch umfänglicher vermarkten, um ihn zu schützen, ist unlogisch. Die Vernichtung dieses einen Waldes kompensieren zu wollen, indem man einen anderen Wald vor der Rodung bewahrt, ist nun wirklich kein schlüssiges Konzept. Der erste Wald ist weg, und damit auch all das, wofür er gestanden hat.

Der logische Bruch, der hier begangen wurde, wird durch Begriffe wie "Ökosystemdienstleistung" verschleiert. Abgesehen davon, daß sich in ihm die typische anthropozentrische Sichtweise wiederfindet - nach dem Motto: Macht euch die Erde untertan, denn sie ist nur dazu da, euch Dienste zu leisten -, wird mittels der monetären Bewertung der Ökosystemdienstleistung eine übergreifende, das heißt eigentlich übergriffige Verrechnungsordnung installiert, als wären die Wälder miteinander vergleichbar. Es bedarf keiner großen Phantasie, um festzustellen, daß ein Wald niemals genauso ist wie ein anderer Wald. Noch deutlicher wird dies, wenn man einen Wald mit einem See vergleicht. So ein Abgleich setzt eine übergeordnete Instanz voraus, von der aus beurteilt wird, daß Wald und See miteinander verglichen und verrechnet werden können.

Doch über den Begriff "Ökosystemdienstleistung" und daran gekoppelt die Umrechnung in Biodiversitätszertifikate werden so grundverschiedene Dinge wie Wald und See miteinander verrechenbar. Die Absicht hinter solchen Willkürkonstrukten besteht in der Verfügbarmachung von Wald und See. Aber waren sie vorher nicht verfügbar? Haben die Menschen vor Ort nicht Wasser aus dem See geschöpft und Beeren im Wald gesammelt? Selbstverständlich müssen Wald und See nicht für die lokale Bevölkerung, sondern ausschließlich für die Interessen Außenstehender verfügbar gemacht werden. Das bedeutet umgekehrt, ihre Nutzung wird der ursprünglichen Verfügung entzogen. So etwas nennt man Raub.

Die Vergleichbarkeit wird bereits durch das Wortglied "System" in Ökosystemdienstleistung unterstellt. Damit wird ein übergeordneter Anspruch erhoben, von dem herab etwas als zusammenwirkend beurteilt wird. Ein wesentliches Bestimmungsmerkmal eines Systems ist nicht nur, was es einschließt, sondern auch was es ausgrenzt. Im obigen Beispiel sind es die Menschen, die ausgegrenzt werden, indem sie nicht mehr ihr Maniok am Rand eines "biodiversitätszertifizierten" Waldes anbauen dürfen. Dieser wurde zum Bestandteil einer Klammer aus Zerstörung und Bewahrung für in beiden Fällen fremdnützige Interessen.

Wenn nun beim gegenwärtigen Treffen des Weltbiodiversitätsrats in Paris auch darüber gesprochen wird, wie man die gewaltigen Verluste an Biodiversität weltweit stoppen kann, sollten alle Versuche, dafür den Begriff der Ökosystemdienstleistung anzuwenden und im nächsten Schritt womöglich ein globales System des Biodiversitätshandels einzuführen, entschieden zurückgewiesen werden. Der einzig akzeptable Schutz der Biodiversität besteht darin, sie genau da zu schützen, wo sie gefährdet ist. Wohingegen der sich allmählich etablierenden Denkweise, die Biodiversität könne auch woanders geschützt werden, eine entschiedene Absage erteilt werden sollte.


Fußnote:

[1] https://www.wrm.org.uy/wp-content/uploads/2016/04/RioTintoBiodivOffsetMadagascar_report_EN_web.pdf

30. April 2019


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