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LAIRE/295: Biodiversität - Erhalts- und Verlustfragen ohne Konsequenzen ... (SB)



Auf dem heute begonnenen achttägigen Treffen des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) in Paris wird ein Bericht erarbeitet, der das Ausmaß des Biodiversitätsverlustes vermutlich sehr deutlich benennen, aber es tunlichst vermeiden wird, die vorherrschende Wirtschaftsordnung und Produktionsweise grundsätzlich in Frage zu stellen. Das wäre aber die Mindestanforderung, um die Chance zu wahren, daß das gegenwärtig laufende, von Menschen verursachte sechste Massensterben der Erdgeschichte noch irgendwie abgebremst wird.

Ähnlich wie beim UN-Klimaübereinkommen, das 2015 ebenfalls in Paris beschlossen wurde, ist zu erwarten, daß am Ende des Treffens bei der Übergabe des "Global Assessment" seitens der Politik viel heiße Luft ventiliert wird. Anschließend wird der zu verabschiedende globale Zustandsbericht bei ihr genauso in der Schublade verschwinden wie die vielen Einzelberichte, die längst veröffentlicht wurden und genügend Anlaß geboten hätten, daß die Regierungen darauf reagieren.

Indem die Politik an die Wissenschaft die Frage richtet, wie schlimm es um den Verlust der Biodiversität steht, und die Wissenschaft wiederum den rapiden Artenschwund benennt und die Lösung des Problems an die Politik rückadressiert, spielen sich zwei privilegierte gesellschaftliche Gruppen regelrecht die Bälle zu. Dadurch stecken sie den Ordnungsrahmen ab, in dem Frage und Antwort abzuhandeln seien, und es soll sichergestellt werden, daß ihre Berufsstände ebenso wie ihre persönlichen Karrieren fortbestehen. Kein Nebeneffekt dieser Kooperation: Ein kleiner Teil der Menschheit kann weiter unhinterfragt und ungestört in einem ungeheuren Ausmaß zu Lasten seiner Mit- und Umwelt leben und sich Refugien sichern, während rundum die Natursysteme zusammenbrechen.

Am 6. Mai soll das 7. Global Assessment, das von rund 450 Autorinnen und Autoren aus mehr als 50 Ländern erarbeitet wurde, verabschiedet werden. Ähnlich wie beim Sondergutachten zum 1,5-Grad-Ziel des Weltklimarats im vergangenen Jahr wurde hierzu eine riesige Quellenlage ausgewertet. Aus mehreren 100.000 potentiell relevanten Publikationen wurden 15.000 in die engere Auswahl genommen. Verschiedene Arbeitsgruppen haben daraus einen Entwurf gefertigt, der nun als Diskussionsgrundlage dient. [1]

Der Agrarwissenschaftler Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) ist seit 2016 einer der drei Co-Vorsitzenden für die Globale Bestandsaufnahme. Im Vorfeld der Konferenz sagte er: "Vor allem die Landnutzung zeichnet sich seit langem als entscheidender Treiber des Biodiversitätsverlustes einschließlich des Insektenschwundes ab. Deren Analyse hat deshalb einen besonders wichtigen Teil der Arbeit am Globalen Assessment ausgemacht." [2]

Hat man ähnliches nicht schon häufiger gehört? Nur ein Beispiel: Bereits im Jahr 2008 wurde in dem von den Vereinten Nationen und der Weltbank initiierten Weltagrarbericht nicht nur aufgezeigt, daß eine Stärkung der kleinbäuerlichen und in der Regel ökologischen Landwirtschaft unverzichtbar bei der Beseitigung des Hungers ist, sondern daß dadurch die globale Erwärmung und der Verlust der Artenvielfalt in Angriff genommen werden könnte. [3]

Wenngleich mit leicht verschobenem Schwerpunkt wird Ähnliches auch in dem 6. Global Environmental Outlook des Umweltprogramms der Vereinten Nationen vom März dieses Jahres beschrieben. [4]

Und nicht zuletzt war es der Weltbiodiversitätsrat selbst, der in den letzten drei Jahren neben vier regionalen Berichten zu Afrika, Amerika, Asien/Pazifik und Europa/Zentralasien auch zwei thematische Berichte zu Landdegradation und Bestäubern veröffentlicht hat. [5]

In diesen und weiteren Berichten, in denen sich um ein umfassenderes Verständnis der Zusammenhänge zwischen Verlust der Biodiversität und menschlichen Aktivitäten bemüht wurde, kam die industrielle Landwirtschaft mit ihrem hohen Dünger- und Pestizideinsatz, dem Monokulturanbau, der Produktion von Viehfutter und Agrosprit, der Zusammenlegung von Feldern und Beseitigung von Randstreifen nicht gut weg. Selbst auf dem für die industrielle Landwirtschaft vorteilhaften Gebiet des Vergleichs der bloßen Erntemenge schneidet sie nicht in jedem Fall besser ab. Sie erweist sich jedoch als geradezu verhängnisvoll, wenn man die fortgesetzten Schädigungen an Luft, Boden und Wasser nicht mehr wie bisher externalisiert, sondern als Kosten in die Produktion einberechnet. Wenn zum Beispiel in Brasilien Tropischer Regenwald abgeholzt wird, damit dort Soja angebaut werden kann, das nach Europa exportiert wird, um dort Schweine zu füttern, deren Fleisch wiederum bis nach China exportiert wird, dann steht das als Beispiel für eine Produktionsweise, die in vielerlei Hinsicht destruktiv ist.

Wie gesagt, das ist seit langem bekannt. Die Globale Erfassung der Biodiversität durch den IPBES wird, je nach schauspielerischem Talent, voraussichtlich die eine oder andere Krokodilsträne seitens der Vertreterinnen und Vertreter der Regierungen hervorlocken. Doch müßten nicht eigentlich Ströme von Tränen fließen in Anbetracht der geraubten Lebenschancen der Menschen von heute und zukünftiger Generationen? Und statt Tränen wären eigentlich Taten erforderlich. Es gäbe heute keine zwei Milliarden Hungernde bzw. Mangelernährte, wenn nicht die Eigentumsordnung so gestaltet wäre, daß ein Prozent der Menschheit ein Vermögen angehäuft hat, das dem Eigentum der gesamten ärmeren Hälfte der Menschheit entspricht.

Sorry, ihr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch ihr habt es gehörig versemmelt. Ihr trefft euch acht Tage lang bei Finger Food und Latte Macchiato, damit am Ende die ums Profil besorgte Regierungsdelegationen mit ernsten Mienen vor den und für die Kameras sowie mit unbestechliche Entschlossenheit vortäuschenden Worten über die Gefahren für das Leben an sich zu salbadern. Nach acht Tagen - ihr nennt es "Arbeit" - werdet ihr ein Vertragswerk so wirkohnmächtig wie das UN-Klimaschutzabkommen von Paris erstellen, jenes Machwerk aus der gesammelten heißen Luft, die unter euresgleichen als menschheitsgeschichtlicher Erfolg im "Kampf" gegen die Erderwärmung abgefeiert wurde. Die Bilanz nach vier Jahren selbstverpflichtendem Klimaschutz: Rien. Nichts. Nothing. Nada. Alles geht seinen kapitalistischen Gang.

Nun also das Thema Biodiversität. Auch wenn voraussichtlich diesmal ein Zustandsbericht erstellt wird, der andere Global Assessments aus der Vergangenheit noch an Umfang und Aktualität übertreffen könnte, so muß man doch, wenn ein Mensch ertrinkt, nicht noch ausmessen, wieviele Zentimeter sein Kopf aus dem Wasser schaut, oder die Tiefe des wässrigen Abgrunds unter seinen Füßen ausloten, sondern dann sollte man den Betroffenen schleunigst aus dem Wasser ziehen. Wir machen nur die Arbeit, die Politik hat die Aufgabe, sie umzusetzen, sagt ihr? Mehr kann man nicht tun? Oh doch, man könnte etwas ganz anderes tun. Beispielsweise sich öffentlichkeitswirksam der Scharade von Paris verweigern und nicht so tun, als sei nicht das wichtigste, das es zum Thema Biodiversitätsverlust zu wissen gibt, längst gesagt worden. Ein Wissenschaftsstreik wäre eine angemessene Antwort auf das Ansinnen, zum x-ten Mal beschreiben zu sollen, was die Stunde geschlagen hat.


Fußnoten:

[1] https://www.de-ipbes.de/

[2] tinyurl.com/y2cuxoa3

[3] https://www.weltagrarbericht.de/fileadmin/files/weltagrarbericht/IAASTDBerichte/IAASTDSyntheseDeutsch.pdf

[4] https://wedocs.unep.org/bitstream/handle/20.500.11822/27539/GEO6_2019.pdf

[5] https://www.ipbes.net/document-library-categories/meeting-documents

29. April 2019


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