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LAIRE/293: Agrar - Hunger in spe ... (SB)



Zum zweiten Mal in diesem Jahrzehnt reicht die weltweit produzierte Getreidemenge nicht, um den Verbrauch zu decken, berichtete die Presse unter Berufung auf den Internationalen Getreiderat (IGC) und die UN-Welternährungsorganisation (FAO). Der Mangel von fast 30 Mio. Tonnen Getreide könne aber aufgrund der Lagerbestände gut ausgeglichen werden. Es drohten keine Hungersnöte, so die "Welt". [1]

Mit dieser Aussage wird auf brutale Art vor Augen geführt, wie weitreichend die akuten Hungersnöte in der Welt von dem wohlhabenderen Teil der Menschheit ignoriert werden. Nach UN-Angaben haben 842 Mio. Menschen nicht genügend zu essen; jährlich verhungern zwischen 10 und 30 Mio. Menschen. Mindestens eine weitere Milliarde ist unterernährt. Das alles taucht in der aktuellen Berichterstattung gar nicht erst auf.

Bereits in zwei Agrarjahren wurde mehr Getreide verbraucht als produziert. 2012/13, als die Landwirtschaft der USA von einer Dürre heimgesucht wurde, und in diesem Agrarjahr in der EU und Rußland (2018/19). Ein Agrarjahr erstreckt sich von einer Ernte bis zur nächsten. In diesem Jahr ist die Lage besonders prekär, da der Mangel beim Weizen auftritt, einem Nahrungsmittel, und nicht etwa bei Mais, der meist zu Treibstoff oder Futtermittel verarbeitet und kaum vom Menschen verzehrt wird. Nach dem Rückgang von sechs Prozent der Weizenernte gegenüber dem Vorjahr ziehen die Weizen- und Brotpreise hierzulande bereits spürbar an. Die offiziellen Zahlen zeigen, wie bedrohlich eng die Welternährungslage ist.

Der in London ansässige Internationale Getreiderat, ein Zusammenschluß der wichtigsten Getreideproduktionsländer, rechnet damit, daß in diesem Agrarjahr 44 Mio. Tonnen und im kommenden weitere 28 Mio. Tonnen aus den weltweiten Getreidespeichern und -lagern entnommen werden müssen, um den Bedarf zu decken.

Das Gesamtvolumen der Getreidelager weltweit wird mit 156 Mio. Tonnen angegeben. [2] Das erscheint zunächst sehr viel in Anbetracht des Mangels. Also alles kein Problem? Vergleicht man diese Reserve für den Notfall mit der Weltgetreideproduktion von knapp 2,66 Mrd. Tonnen, zeigt sich allerdings, daß die Menschheit kaum Spielraum hat. Es können keine großen Lager aufgebaut werden, denn selbst in guten Jahren wird fast das gesamte Getreide verbraucht. In diesem und im kommenden Agrarjahr geht es massiv an die Reserve. Wie lange noch?

Unter Berufung auf einen dpa-Bericht zitiert die "Welt" Klaus-Josef Lutz, Vorstand des Münchner Unternehmens Baywa, des größten Händlers von Agrar-Rohstoffen in Europa, mit den Worten, daß 2018 kein Ausreißer war und "klimatische Kapriolen" ihnen bereits in den letzten vier Jahren das Geschäft erschwert haben.

Sollten weitere Jahre klimabedingter Mißernten folgen, zeitgleich aber die Weltbevölkerung wachsen und darüber hinaus ein erheblicher Teil des Getreides unverdrossen entweder an Tiere verfüttert werden, die dann als Fleisch auf dem Teller landen, oder zu Biotreibstoff destilliert bzw. raffiniert werden, könnte der absolute Nahrungsmangel auch in den bisher privilegierten Weltregionen Einzug halten. Dann bekämen die Menschen hierzulande zu spüren, wie es sich anfühlt, im Globalen Süden geboren worden zu sein und mit Waffengewalt an einer Flucht aus jenen Regionen der Nahrungsnot in die nicht allein klimatisch privilegierteren Regionen der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten von Amerika gehindert zu werden.

Die hiesige Berichterstattung über die Zahlen des IGC und der FAO beziehen sich von vornherein und ausschließlich auf den wohlhabenderen Teil der Menschheit, nicht auf die Hungerleider in den Ländern des Globalen Südens. Durch die klimatischen Folgen der globalen Erwärmung wird die Nahrungsnot in der Welt weiter verschärft. Das Vertrauen darauf, daß dann irgendeine Instanz, ob seitens Politik, Wirtschaft oder globaladministrativer Einrichtungen der Vereinten Nationen, schon dafür sorgen wird, daß stets ausreichend Essen vorhanden ist, könnte sich als fatale Fehleinschätzung erweisen. Denn genau diese "Hoffnungsträger" sind es doch, die heute schon akuten Hunger und chronische Unterernährung von rund zwei Milliarden Menschen verwalten.

Es ist kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, daß damit eine natürliche Grenze erreicht ist und die Zahl nicht noch höher auf drei, vier oder fünf Milliarden steigen könnte. Denn wer bereit ist, Getreidelager anzulegen, als Eigentum auszuweisen und mit allen Mitteln staatlicher Gewalt zu verteidigen, während gleichzeitig Menschen verhungern, dem sollte man nicht einen Moment lang glauben, daß keine Hungersnöte drohen, auch wenn wieder einmal, in einem Abstand von nur sechs Jahren, weltweit mehr Getreide verbraucht als erzeugt wird.


Fußnoten:

[1] https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/wirtschaft_nt/article191469475/Weltweite-Getreideernte-deckt-Verbrauch-nicht.html

[2] https://www.proplanta.de/Agrar-Nachrichten/Pflanze/IGC-rechnet-fuer-2019-20-mit-groesserer-Weltgetreideernte_article1553852829.html

8. April 2019


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