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LAIRE/284: Antarktis - wo bleibt Trump ... (SB)



Anfang November wurde ein von Deutschland ausgearbeiteter Vorschlag, im Weddellmeer der Antarktis das größte Meeresschutzgebiet der Welt einzurichten, in der Antarktiskommission von Rußland und China abgelehnt. Auch Norwegen hat den Vorschlag in Teilen zurückgewiesen. In einem Jahr wird erneut darüber verhandelt. [1]

Im Oktober hatte die Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR) in Hobart, der Hauptstadt der zu Australien zählenden Insel Tasmanien, getagt und dort unter anderem beraten, wie die 2002 begonnene Initiative zum Aufbau eines Netzwerks mariner Schutzgebiete (MPA) im Südpolarmeer fortgesetzt werden kann. Verhandelt wurden in diesem Jahr auch Vorschläge zur Ausweisung von drei neuen Schutzgebieten, wobei von diesen das Schutzgebiet Weddellmeer mit 1,8 Mio. km² die mit Abstand größte Ausdehnung haben sollte.

Es ist nicht so, daß sich Rußland grundsätzlich der Idee verschließt, große Teile der antarktischen Randmeere unter Schutz zu stellen. Beispielsweise hat es 2016 zugestimmt, das Rossmeer als Schutzgebiet auszuweisen, was im Jahr darauf vollzogen wurde [2]. Zudem beruht die aktuelle Initiative zum Weddellmeer unter anderem auf Daten, die Rußland im Jahreswechsel 2013/14, also während des Südsommers, im östlichen Weddellmeer erstellt hat [3]. Auch in der Arktis hat Rußland gemeinsam mit westlichen Staaten Meeresschutzgebiete eingerichtet. Rund acht Prozent der weltweiten Meeresfläche unterliegen einem Schutzstatus. Bis 2030 sollen 30 Prozent unter Schutz gestellt werden, wünschen sich zivilgesellschaftliche Organisationen.

Da alle Entscheidungen der CCAMLR einstimmig getroffen werden müssen, kann einer der 24 Mitgliedstaaten und als 25. Vollmitglied die Europäische Union solche Initiativen torpedieren. Das Einstimmigkeitsprinzip ist jedoch wichtig, weil ansonsten vermutlich entweder erst gar kein Antarktisvertrag zustande gekommen oder dieser längst gebrochen worden wäre. So aber kann ihm jedes Land zustimmen, weil es weiß, daß keine Einzelentscheidungen getroffen werden, die seinem Interesse in einem nicht hinnehmbaren Ausmaß entgegenlaufen.

Das Alfred-Wegener-Institut für Meeresforschung (AWI), das den Schutzgebietsvorschlag Deutschlands ausgearbeitet hat, nennt "acht gute Gründe", warum das Weddellmeer geschützt werden sollte [4]:

- Die weitgehende Unberührtheit des Gebiets erlaubt einzigartige Forschungen einer Meeresumwelt, die nur einem sehr geringen menschlichen Einfluß unterliegt.
- In und unter dem die längste Zeit des Jahres eisbedeckten Weddellmeer leben Bakterien und andere Mikroorganismen, die die Basis der Nahrungskette bilden.
- Die extremen Lebensbedingungen haben einzigartige Verhaltensweisen und Fähigkeiten der Tierwelt hervorgebracht.
- Eine Artenvielfalt wie im tropischen Korallenriff. Im Weddellmeer leben ca. 14.000 Tierarten.
- Rückzugsort für kälteliebende Arten auch in kommenden Zeiten der globalen Erwärmung.
- Heimat der Kaiserpinguine und Antarktischen Sturmvögel.
- Tummelplatz für Meeressäuger.
- Heimat des Antarktischen Silberfischs (Pleuragramma antarctica), der ein unverzichtbarer Bestandteil der Nahrungskette ist.

"Dies war eine historische Gelegenheit, das größte Schutzgebiet der Erde in der Antarktis zu schaffen: Um die Tierwelt zu schützen, den Klimawandel zu bekämpfen und die Gesundheit unserer globalen Ozeane zu verbessern", erklärte Frida Bengtsson von der Umweltorganisation Greenpeace. [5]

So begreiflich die Enttäuschung darüber auch ist, daß es versäumt wurde, den Schutz der Meere ein gutes Stück voranzubringen, genügt es nicht, Rußland und China (das seit einigen Jahren weltweit größte Krillfangnation ist) mangelndes Interesse am Schutz der Meeresgebiete zu unterstellen. Hier kollidieren andere Interessen, die nichts mit Naturschutz, sondern mit hegemonialen Ansprüchen zu tun haben, und daran sind Staaten, die sich vielleicht im Meeresschutz hervortun, in keinem geringeren Ausmaß beteiligt als Rußland.

Wenn das Land nun sein "Njet" zur Weddellmeerinitiative ausspricht, ist das sicherlich äußerst bedauerlich, handelt es sich doch um eines der artenreichsten Meeresgebiete weltweit, doch läßt sich die Ablehnung nicht nachvollziehen, wollte man überkommene (oder inzwischen wieder mit Nachdruck bediente) Feindbilder aufrufen. Es geht hier viel weniger um die Frage, ob Meeresgebiete geschützt werden sollten oder nicht, sondern um Geopolitik. Rußland sieht sich militärisch von den NATO-Staaten bedrängt, US-Militärs drohen offen mit einem atomaren Erstschlag. Der INF-Vertrag über die Entwicklung und Stationierung von Mittelstreckenraketen wurde vor kurzem von US-Präsident Donald Trump aufgekündigt. Der Kalte Krieg setzt sich in der Antarktis fort, auch wenn dort vordergründig über den Schutz von einzigartigen Ökosystemen verhandelt wird.

Im Unterschied beispielsweise zu Deutschland und den USA betreiben Rußland und China sehr viel mehr Fischerei in den zirkumantarktischen Randmeeren. Auch wenn sie vielleicht keine Einbußen hinsichtlich vorgegebener Fangquoten zu befürchten haben, würde die verfügbare Fläche, um die angestrebte Fangmenge zu erreichen, schrumpfen. Rußland und Chinas ökonomischer Schaden wäre jedenfalls deutlich größer, sollten eines Tages die Schutzgebietsvorschläge angenommen werden, als der einer Reihe anderer Staaten.

In den nächsten Jahren und Jahrzehnten dürften die Antarktis und ihre Randmeere als Hort bislang kaum genutzten Ressourcen (Fische und andere Meerestiere, mineralische Rohstoffe, Süßwasserreservoir) mehr und mehr in die Aufmerksamkeit der Ausbeutung rücken. So wie US-Präsident Donald Trump eine Reihe von multilateralen Verträgen neu verhandelt, könnte er auch eines Tages den Antarktisvertrag auf den Prüfstand stellen. (Theoretisch könnte das natürlich jeder andere Staat ebenfalls tun, allerdings haben die USA wie kaum ein anderer die militärischen Gewaltmittel, um ihren Hegemonialanspruch gegebenenfalls mit aller Macht durchzusetzen.)

In so einem Fall hätte Rußland jahrelang Zugeständnisse gemacht, die seinem Interesse an Ressourcennachschub eigentlich zuwiderlaufen, und bekäme am Ende noch die Quittung in Form internationaler Ausgrenzung. Sind die hegemonialen Ansprüche aber erst einmal preisgegeben, würde es hinterher viel schwieriger, sie wiederzuerlangen, als wenn man von vornherein auf sie bestanden hätte.

Donald Trump hat nicht mit am Verhandlungstisch in Hobart gesessen, und doch dürfte sein Einfluß zu spüren gewesen sein. Wenn die USA den Eindruck haben und das auch so vermitteln, daß ihnen die Weltführerschaft zusteht, dann werden es sich alle anderen Staaten, die mit den USA irgend etwas auszuhandeln haben, dreimal überlegen, ob sie zu Zugeständnissen bereit sind. Dabei müssen die negativen Folgen der eigenen Entscheidungen noch nicht einmal absehbar sein, es genügt schon das bloße Unbehagen, die Konsequenzen nicht richtig abschätzen zu können. So hatte Rußland bereits Bedenken bei der Einrichtung eines Schutzgebiets im Rossmeer. Unter anderem wurde der Einwand vorgebracht, daß solche Schutzgebiete einen Einfluß auf die territoriale Einteilung der Antarktis haben könnten, wie Claire Christian 2016 in den Länderanalysen (Nr. 190) für das Center for Security Studies in Zürich schreibt. [6]

Doch auch ohne geopolitische Erwägungen bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Aufgabe die Antarktiskonvention hat. Die "Bewahrung der lebenden Ressourcen" kann man nämlich auch so interpretieren, daß der Fischfang nachhaltig betrieben werden soll. Das heißt, die Gebiete würden nicht unberührt bleiben, sondern man würde immer nur so viel Fisch herausnehmen, wie er nachwächst. Der "höchstmöglicher Dauerertrag" (MSY - maximum sustainable yield) ist eine stehende Größe im Fischereimanagement. Je näher man dem MSY kommt, desto nachhaltiger.

Das Problem einer solchen Interpretation der Antarktiskonvention besteht allerdings darin, daß nur ein Bruchteil der Tierarten im Weddellmeer überhaupt kommerziell nutzbar ist, aber der größte Teil vom Fischfang betroffen wäre. Eine nachhaltige Befischung beispielsweise des Krills oder der Antarktischen Silberfische könnte also allen anderen Meeresbewohnern schweren Schaden zufügen.


Fußnoten:

[1] https://www.ccamlr.org/en/news/2018/meeting-antarctic-experts-comes-close

[2] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-185.html

[3] https://www.ccamlr.org/en/wg-emm-14/23

[4] tinyurl.com/y73pznc3

[5] http://www.spacedaily.com/reports/Plans_for_worlds_largest_ocean_sanctuary_in_Antarctic_blocked_999.html

[6] http://www.css.ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/gess/cis/center-for-securities-studies/pdfs/RAD190.pdf

6. November 2018


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