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LAIRE/282: Agrar - Widersinn in der Flächenverteilung ... (SB)



Zu wenig machen wir uns bewusst, dass auch die unbebaute Landschaft eine begrenzte Ressource ist.
(Nationale Nachhaltigkeitsstrategie 2002 der Bundesrepublik Deutschland [1])

In Deutschland wird pro Tag eine Fläche von durchschnittlich 30 Hektar für den Bau von Straßen, Plätzen, Gebäuden und anderen Einrichtungen versiegelt und damit der Landschaft entzogen. Hinzu kommt nochmals mehr als diese Fläche, die zwar nicht zugepflastert, aber anderweitig der "Siedlungs- und Verkehrsfläche" (u.a. Grünstreifen, Parks, private Hausgärten) zugeschlagen wird. Zusammen macht das eine Fläche von 62 Hektar an verlorenen Natur- und Landwirtschaftsgebieten [2].

Das hat vielfältige Konsequenzen. Zwar nimmt die Versiegelungsfläche von Jahr zu Jahr allmählich ab, aber die Bundesregierung dürfte ihrem in der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahre 2002 festgelegten Ziel, bis 2020 die Flächeninanspruchnahme auf 30 Hektar täglich zu begrenzen, weit verfehlen, müßte sie dazu doch den gegenwärtigen Wert innerhalb der nächsten zwei Jahre halbieren.

Es wird nach wie vor eine Politik betrieben, durch die das Verkehrsaufkommen erhöht und der vermeintliche Sachzwang, weitere Autobahnen und Bundesstraßen zu bauen, bekräftigt wird. Die Innovationsbereitschaft in der administrativen Verkehrsplanung begrenzt sich auf den ziemlich verzweifelt anmutenden Versuch, den gegenwärtigen Dauerverkehrsinfarkt durch immer neue Bypassverlegungen zu beheben. Da zudem in den nächsten Jahren Verbrennungsmotoren durch Elektroantriebe ersetzt werden sollen, wird die Versiegelung noch zunehmen, weil jahrelang beide Systeme parallel bedient werden müssen. Tankstellen werden nicht abgebaut, doch Elektrofahrzeuge brauchen ihre eigenen "Tankstellen", nämlich Parkplätze mit Ladestationen.

Es geht bei weitem nicht nur um den Individualverkehr. Als stark exportorientierte Volkswirtschaft, die sich dem allgemein verbreiteten Wachstumszwang bereitwillig fügt und ihre nationalen Vorteile daraus zieht, unterstützt die Regierung den Konsum und somit das damit verbundene atemberaubende Transportaufkommen, bei dem gesundheitsgefährdende Mengen an Umweltschadstoffen wie Stickoxiden und Feinstaubpartikeln freigesetzt werden.

Nicht zuletzt wegen des zunehmenden Schwerlastverkehrs werden immer mehr und breitere Autobahnen gebaut. Projekte wie die Verlängerung der A20 durch Schleswig-Holstein, die Fehmarnbeltquerung, die Hafenquerspange im Süden der Hansestadt Hamburg sind nur einige der Beispiele für Straßenbauprojekte, die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden. Hier wird Landschaft verbraucht, um tendenziell dem privilegierteren und finanziell bessergestellten Teil der Gesellschaft - den Autobsitzerinnen und -besitzern - den Weg durch die Landschaft zu bahnen.

Mit der Versiegelung schrumpft die landwirtschaftliche Fläche beträchtlich. Das reiche Deutschland kompensiert den Mangel an Fläche und damit an selbsterzeugten Nahrungs- und Futtermitteln durch den Zukauf von Viehfutter vom Weltmarkt, beispielsweise aus Südamerika. Dort werden Wälder unter anderem für den Anbau von Soja gerodet, das nach ganz Europa exportiert wird. Ohne diesen Zustrom von außen könnte sich Deutschland nicht selbst ernähren, und die Verringerung der landwirtschaftlichen Fläche durch Versiegelung ist einer von mehreren Faktoren, weswegen Deutschland auf Futterimporte angewiesen ist.

Vor einigen Jahren zog Jean Charles Munch, Direktor am Institut für Bodenökologie des Helmholtz-Zentrums München, im Gespräch mit Green Radio eine Linie von der Bodenversiegelung in Europa zum Hunger in der Welt. Denn indem die Europäer ihren Bedarf an Lebensmitteln auf dem Weltmarkt stillen, steigen dort die Preise. Das können sich viele andere Länder, die ebenfalls Lebens- oder Futtermittel zukaufen müssen, nicht im gleichen Ausmaß leisten: "Das heißt, wir verursachen durch unsere Versiegelung Hunger auf der Welt, weil wir die Preise für Lebensmittel auf dem Weltmarkt erhöhen." [3]

Die Versiegelung der Böden erweist sich in mehrerer Hinsicht als "klimaschädlich". Zum einen natürlich, weil Beton, Asphalt und andere Baustoffe energieaufwendig hergestellt werden müssen, und solange die fossilen Energieträger Braun- und Steinkohle sowie Erdgas den größten Anteil am Energiemix in Deutschland haben, trägt das erheblich zu den Emissionen von Treibhausgasen bei. Zugleich vermag Boden eine Menge Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu binden, doch nur solange er nicht versiegelt ist! Geschieht das, entstehen Verhältnisse, die wiederum die Produktion von Methan im Boden fördern. Methan ist ein hochwirksames Treibhausgas und in dieser Eigenschaft dem CO2 - je nach betrachtetem Zeitraum - um den Faktor 25, 36, 87 oder mehr als 100 überlegen [4].

Ein trockener Sommer wie in diesem Jahr macht noch keinen Klimawandel. Sollte aber die Dürre 2018 Ausdruck eines Trends zu geringeren Niederschlagsmengen in Deutschland sein, so wäre es um so wichtiger, die Versiegelung der Landschaft zu stoppen. Denn ein zugedeckter Boden nimmt kein Wasser auf. Die ohnehin geringe Menge an Regenwasser würde sich sammeln und ungenutzt abfließen. Umgekehrt erfüllen unversiegelte Böden bei Überschwemmungen eine Pufferfunktion, indem sie Wasser aufnehmen, bevor sie gesättigt sind.

Bei ihren Planungen könnten die Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden Deutschlands der Vermeidung der Bodenversiegelung einen sehr viel höheren Wert beimessen als bisher. Das setzte allerdings einen ganz anderen gesellschaftspolitischen Ansatz voraus, der wesentlich mehr vom Erhalt des Bestehenden als der Idee der Schöpfung aus Zerstörung gekennzeichnet ist. Da sich das von der hiesigen Politik und Teilen der Bevölkerung bevorzugte System des Kapitalismus ständig neu erfinden muß und die Innovation darin besteht, Mensch, Um- und Mitwelt in bislang unerreichter Weise der Verwertung als Arbeitskraft, Naturressource und tierisches Produkt zuzuführen, setzt sich die Versiegelung der naturbelassenen und landwirtschaftlich genutzten Fläche unverdrossen fort. Es ist nicht abzusehen, daß Deutschland jemals bereit wäre, die Versiegelung in eine Entsiegelung umzuwandeln.


Fußnoten:

[1] https://www.nachhaltigkeit.info/media/1326188329phpYJ8KrU.pdf

[2] https://www.umweltbundesamt.de/service/green-radio/bodenversiegelung-wie-wir-uns-der-besten-flaechen

[3] http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0102.html

[4] https://www.umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/flaeche/siedlungs-verkehrsflaeche#textpart-2

3. September 2018


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