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LAIRE/281: Mittel zum Leben - Zuviel und ungleich verteilt ... (SB)



Viele Menschen in Deutschland haben bis mittags schon 420 Liter Wasser getrunken. Das machen sie fast jeden Tag, sicherlich mehr als 300mal im Jahr. Sie "brauchen" das. Manche Menschen wachen erst gar nicht auf, wenn sie nicht morgens mindestens ihre 140 Liter Wasser getrunken haben, und sollte sie jemand versehentlich vorzeitig wecken, reagieren sie mürrisch, sind geradezu ungenießbar.

Jenes Wasser löscht zwar nicht den Durst, wird aber verbraucht, nämlich 140 Liter, um eine einzige Tasse Kaffee herzustellen. Drei Tassen dieses beliebten Heißgetränks am Morgen summieren sich also auf, und sollte jemand dem Kaffee im Laufe des Tages weiter kräftig zusprechen, kommt er oder sie womöglich auf eine Tonne virtuelles Wasser.

Aus einem Paket Kaffee à 500 Gramm lassen sich ca. 50 Tassen Kaffee herstellen. Ein Supermarkt, der, sagen wir, 150 Packungen Kaffee verschiedener Sorten und Arten vorhält, hat somit über eine Million Liter virtuelles Wasser im Regal stehen. Virtuell bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, daß das Wasser nicht existierte und die Rechnung rein theoretischer Natur wäre. Dieses Wasser wird lediglich andernorts verbraucht, so daß hierzulande niemand mitbekommt, auf welchen Voraussetzungen der Kaffeegenuß, mithin der gehobene Lebensstil gründet.

Der Kaffee, die Milch, der Aludeckel des Mango-Joghurts, die Papaya von jenseits des Atlantiks, der Computer voller Materialien von anderen Kontinenten, auch die heutige Internetrecherche zum Earth Overshoot Day - in vielen Tätigkeiten steckt bzw. versteckt sich virtuelles Wasser. Und selbstverständlich auch Energie, wobei Energie selber wiederum Wasserverbrauch bedeutet. Der Betrieb von Atom-, Gas- und Kohlekraftwerken, die Herstellung von Solarzellen und Windradanlagen, die Biogasgewinnung - ohne Wasserverbrauch kommt keine dieser Energiegewinnungstechnologien aus.

Am 1. August ist der diesjährige Erdüberlastungstag, engl. Earth Overshoot Day. Bis dahin hat die Menschheit mehr natürliche Ressourcen verbraucht, als der Planet innerhalb eines Jahres erzeugen kann. Süßwasser ist eine unter vielen Ressourcen, deren Verfügbarkeit begrenzt ist. Im Jahr 2003, als das "Global Footprint Network", das die Berechnungen durchführt und die Ergebnisse bekanntgibt, gegründet wurde, fiel der Erdüberlastungstag auf den 22. September. Die Lage war also bereits angespannt, aber nicht so sehr wie heute. Einen Wendepunkt bildete der Zeitraum 1970/71. Bis dahin besaß die Erde sogar noch Reserven, das heißt, die Menschen haben nicht alles verbraucht, was der Planet nachliefern konnte. Doch ab 1971 begann die Menschheit, auf Pump zu leben.

Man könnte einzelne Schritte der Berechnungen zum Earth Overshoot Day in Frage stellen; auch die Methodik, den Kalender jedes Jahr wieder auf den Anfang zu stellen, als ob der Verbrauch des Vorjahres nicht geschehen und der Mangel nicht eigentlich noch viel größer wäre, weist sicherlich ihre Schwächen auf. Eines jedoch kann man der Kampagne nicht absprechen, nämlich die Bemühung, trockene statistische Daten auf einen eingängigen, kommunizierbaren Begriff bringen zu wollen.

Mit diesen Berechnungen wird letztlich an einem gesellschaftlichen Widerspruch gerührt, der allzu gern vernachlässigt wird und der auch außerhalb der datumsbezogenen Berichterstattung schnell wieder in den Hintergrund rückt. Zumal auf der Erde zur Zeit multiple ökologische Krisen zeitgleich ablaufen, sich womöglich noch wechselseitig verstärken. Bei diesem ständigen Kommen und Gehen von eigentlich katastrophalen Meldungen droht die einzelne Mahnung unterzugehen.

Jede dieser Krisen hat nicht einfach nur soziale Implikationen, sie ist geradezu sozial ge- und begründet. So wird die globale Erwärmung durch menschliche Treibhausgasemissionen und das erdgeschichtlich einzigartig rasche Artensterben durch die Ausbreitung des Menschen und dessen Einflußnahme bis in den letzten Winkel des Planeten erheblich forciert. Die Böden degradieren, der Meeresspiegel steigt, die Ozeane versauern. Der Earth Overshoot Day sagt, es wird zuviel verbraucht, und er sagt ebenfalls, daß der Verbrauch ungleich verteilt ist.

30. Juli 2018


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