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LAIRE/276: ZAD - Gefechtsstimmung ... (SB)



Die letztgültige Räumung des besetzten und teils seit vielen Jahren landwirtschaftlich und kleingewerblich genutzten Geländes La Zad in der Region Notre-Dame-des-Landes durch die französischen Polizeikräfte steht unmittelbar bevor. Im Vorwege hat die Regierung versucht, die Bewegung zu spalten, indem sie zugestand, daß die Verantwortlichen für einzelne Projekte bei den Behörden einen Antrag auf Fortsetzung ihrer Arbeit stellen können. Dann aber wurde die Bewerbungsfrist für die Präsentation des Betriebs um drei Wochen verkürzt, so daß viele keine Chance hatten, sich rechtzeitig angemessen vorzubereiten. Inzwischen haben sich die Besetzerinnen und Besetzer verschanzt und teils festungsartig gesichert, beispielsweise durch breite, mehrere Meter tiefe Gräben. Auf dem Foto einer Auseinandersetzung im April ist sogar ein riesiges Katapult zu sehen - mit ihm wurden Matschklumpen gegen die "feindlichen Reihen" geschleudert.

Es ist bezeichnend, daß beim letzten Großeinsatz der Gendarmerie in der La Zad (Abkürzung für Zone A Défendre, z. Dt. Verteidigungszone) - entgegen der Verteufelung der "Zadistas" in manchen Medien - die meisten Polizisten nur deswegen verletzt worden waren, weil wegen unsachgemäßer Handhabung eine der eigenen Tränengasgranaten zwischen ihren Beinen explodiert ist. Man kann davon ausgehen, daß zur bevorstehenden Räumung erneut die paramilitärisch ausgerüstete Gendarmerie eingesetzt wird, die in Kenntnis der Lage vor Ort und eingedenk der noch frisch in Erinnerung befindlichen Matschkonfrontationen entsprechend rücksichtslos vorgehen dürfte.

Hatte einst Nicolas Sarkozy, als er noch nicht französischer Staatspräsident war, sondern das Amt des Innenministers bekleidete, den Bewohnerinnen und Bewohnern einer Pariser Ban Lieu angekündigt, er werde ihre Stadt "mit dem Kärcher von dem kriminellen Pack reinigen", macht Präsident Emmanuel Macron an einer ganz anderen Front des indessen gleichen Sozialkonflikts Nägel mit Köpfen. Zumindest versucht er es. Am 14. Mai, so steht zu befürchten, wird radikal geräumt.

Auf dem 1600 Hektar großen Areal des im Januar 2018 nach über 50 Jahren aufgegebenen Flughafenprojekts, das 25 Kilometer nordwestlich der Stadt Nantes angesiedelt war, haben sich im Laufe der fortgesetzten Widerständigkeit diverse Lebens-, Arbeits- und Aktionsformen sowohl in der angestammten ländlichen Bevölkerung als auch bei den Zugezogenen oder eben beiden gemeinsam entwickelt. Am Ende lebten etwa 250 Menschen in La Zad, die sich in rund 80 Kollektiven organisiert hatten. Diese waren selbstverständlich keine isolierten Entitäten, die für sich existierten, sondern in den größeren gemeinschaftlichen Kontext von La Zad eingebunden.

Nur einzelnen Projekten einen rechtlichen Status zu verleihen, anderen aber nicht und diese dann zu räumen, hat die gleichen Auswirkungen, als würde man aus irgendeinem entlegenen Dorf die Bäckerei, den landwirtschaftlichen Hof und die Hälfte der Wohnstuben entfernen, wohingegen andere Handwerksbetriebe oder kommunale Einrichtungen bleiben dürften. Mit so einer Maßnahme würde man die Dorfstruktur elementar zerrütten oder gar zerstören. Um so mehr gilt dies für das Gesamtkollektiv namens La Zad.

Die Gesprächsbereitschaft des Staates war nur vorgetäuscht und hatte die Funktion, den Widerstand zu schwächen, indem die Kollektive gegeneinander ausgespielt werden. Da "Zadistas" ein Obertitel für ebenso unterschiedliche Interessen wie für unterschiedliche Widerstandsformen war und noch immer ist, durfte der Staat erwarten, daß das Schüren von Hoffnung bei einigen Menschen verfängt, bei anderen vielleicht nicht, und schon hätte er einen Streit entfacht, den er sich zunutze machen kann.

Bei einem Großeinsatz der Gendarmerie im April war ein erheblicher Teil der landwirtschaftlichen Projekte und sonstigen Betriebe und Einrichtungen mutwillig von der Polizei zerstört worden. Ein beredtes Zeugnis der mehrtägigen administrativen Gewaltorgie liefern nicht nur die zu Kleinholz zerschlagenen und in Schuttberge verwandelten Gebäude, die Namen trugen wie Lama Sacrée, La Chévrerie, 100 Noms und Gourbi, sondern auch die tonnenschweren Berge an Granatenhülsen, die auf die Widerständigen abgefeuert, von diesen eingesammelt und aufgehäuft wurden.

Wie überaus eng das Weltbild des am Donnerstag mit dem Aachener Karlspreis ausgezeichneten französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist, zeigt sich daran, daß er La Zad nicht bestehen lassen kann. Weltoffenheit ist für ihn nur eine Attitüde, Teil eines herrschaftspolitischen Kalküls. Nach Einschätzung der Laudatoren bei der feierlichen Preisverleihung hat sich Macron Verdienste "um die europäische Zukunft" erworben. Damit war allerdings nicht die Zukunft der Zadistas gemeint. Sie leben zwar auf europäischem Boden und erfüllen mit ihrer multikulturellen Zusammensetzung und Lebensweise schon lange und völlig unkompliziert europäische Werte (wie sie der "große" Europäer und Oberbefehlshaber über eine atomar bewaffnete Streitmacht Macron gegenüber anderen Ländern zu verteidigen vorgibt), doch wird ihnen mit ihren antiherrschaftlichen Ideen keinerlei Zukunft gewährt.

Die Exekutivorgane werden vielleicht die Zadistas wegräumen und sie können sicherlich auch sämtliche Bauten und Errungenschaften der La Zad dem Erdboden gleichmachen, aber die vielfältigen Ideen dahinter, beispielsweise als Kollektiv in Erscheinung zu treten, sich der Verfügbarkeit fremdnütziger Interessen zu entziehen, nicht nach Stechuhr zu arbeiten und sich nicht als Lohnsklaven zu verdingen, können auch die herrschenden Kräfte nicht eliminieren.

10. Mai 2018


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