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LAIRE/265: Tierschmerz-Label (SB)


Menschen, nicht Tiere brauchen ein Wohlfühl-Label


Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) will auf der diesjährigen Grünen Woche in Berlin ein neues Tierwohl-Label vorstellen. Gekennzeichnet werden soll damit ein besserer Umgang der Landwirte mit sogenannten Nutztieren. Die Maßnahme ist Bestandteil einer umfassenderen Initiative der Bundesregierung zur Verbesserung des Tierwohls. [1]

Der dabei verwendete Begriff "Wohl" suggeriert etwas, das über den unvereinbaren Widerspruch zwischen dem bedingungslosen Interesse des Tieres zu leben und dem des Menschen, es zu töten und zu essen oder anderweitig zu verwerten, hinwegtäuschen soll. Mit diesem Label wie auch mit den ähnlich orientierten Kennzeichnungen ums Tier"wohl" bemühter Verbände und Organisationen werden unterschiedliche Arten und Grade der Schmerzen, Qual und Gefangenschaft gekennzeichnet und müßte konsequenterweise Tierschmerz-Label heißen.

Schweine werden womöglich nicht mehr so eng eingepfercht, daß sie in ihren eigenen Ausscheidungen stehen und liegen, Hühnerschnäbel nicht abgeschnitten, Ferkel nicht ohne Betäubung kastriert, Kühe nicht mehr monatelang angekettet und ähnliche "Errungenschaften" der ethisch abgesegneten Tierhaltung mehr. Dennoch ändert sich an dem Grundverhältnis nichts: Das Tier wird zwecks seiner Verwertung gehalten, das ist seine ihm aufoktroyierte Bestimmung. Nicht das Tier, sondern der Mensch legt fest, was mehr und was weniger Wohl sein soll. Ein Tier könnte durchaus selbst über sein Wohl entscheiden. Die Meid- und Fluchtbewegung eines in die Enge getriebenen Tieres lassen an dessen Entscheidung keinen Zweifel aufkommen: Sein "Wohl" ist nicht der Käfig oder Stall, wie groß auch immer sie angelegt sind.

Es geht bei dem neuen Label nicht um das Tierwohl, sondern um das Wohl des Menschen. Tiere brauchen kein Label, Menschen sind es, die aus verschiedenen Gründen das Tierwohl-Label brauchen: Immer mehr Menschen, vor allem jüngeren Alters, sehen nicht ein, daß ein Tier getötet wird und sie es verzehren sollen oder daß eine Kuh künstlich trächtig gehalten wird, damit sie an des Kalbes statt die Milch trinken, oder daß männliche Küken geschreddert werden, weil nur die Weibchen als Eierlegemaschine funktionieren.

In der Klimaschutzbewegung hingegen gilt die vorherrschende Tierhaltung als klimaschädlich und wird mehr oder weniger abgelehnt, unter anderem weil für Tierfutter tropischer Regenwald abgeholzt wird. Ein Label könnte beispielsweise darüber aufklären, ob ein Schwein mit Soja aus Brasilien gefüttert wurde oder nicht. Aber auch der von der Regierung offiziell für gesund erachtete Lebensstil mit einem deutlich geringeren Fleischverzehr, als er üblich ist, greift zunehmend um sich. Wer aus gesundheitlichen Gründen auf Fleisch verzichtet, hat vielleicht die Neigung, nur "gutes" Fleisch zu essen.

Sicherlich nicht zuletzt geht es bei der Einführung des Tierwohl-Labels um das Wohl der Fleischindustrie, die trotz ihrer hohen und teilweise steigenden Umsätze davon ausgehen muß, daß sich immer mehr Menschen von tierischer Nahrung verabschieden. Das gilt zumindest für Deutschland und andere europäische Länder, in denen der Fleischverzehr sinkt. Wohingegen drei von vier Schweinen, die hierzulande aufwachsen, bereits exportiert werden. Der Bundeslandwirtschaftsminister begegnet mit dem neuen Label einem gesellschaftlichen Trend und versucht, den Menschen den Fleischverzehr und den Verzehr tierischer "Produkte" wie Milch und Eier schmackhaft zu machen, damit die deutsche Fleischindustrie keine Einbußen verzeichnet.

Wird das Schmidtsche Tierwohl-Label angenommen, trägt es jedoch mehr als nur den "Bei"geschmack einer weiteren Vertiefung der gesellschaftlichen Spaltung. Auf der einen Seite der Theke das billigere Fleisch gequälter, ihr kurzes Leben lang pharmakologisch "gesund" gehaltener Tiere für die finanzschwache Unterklasse mit Hartzern, Flüchtlingen und anderen Armutsverköstigten; auf der anderen Seite das Wohlfühlfleisch von angeblich glücklichen Tieren, die streßarm in Streichelzoos gehalten werden, deren Fleisch weniger medikamentenbelastet ist und einen besseren, weniger wässrigen Geschmack hat.

Selbst wenn er am unteren Ende der gesellschaftlichen Hierarchie steht, findet sich der Mensch in die für ihn vorgesehene Rolle ein, solange er nur mit Billigfleisch versorgt wird, und begehrt nicht auf, würde ihm doch der Entzug auch dieser "Gunst" drohen. Das Tierwohl-Label zielt nicht auf die Befreiung des Tiers aus seiner grundsätzlich schmerzbehafteten Fremdverfügung ab, sondern auf die Befestigung der Herrschaft des Menschen sowohl über das Tier als auch den Menschen.


Fußnoten:

[1] https://www.tierwohl-staerken.de/

17. Januar 2017


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