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LAIRE/227: Chevron soll Zugriff auf private Email-Daten von Umweltschützern erhalten (SB)


Wegen Umweltkatastrophe in Ecuador verurteiltes Erdölunternehmen in der Offensive



Ein typischer Plot der sozialkritischen 1960er-Jahre-Science-fiction: Ahnungsloser Erdling gerät auf fremden Planeten und muß feststellen, daß die dortige Gesellschaft, einschließlich ihres politischen Establishments, korrupt ist und vollkommen unter der Herrschaft einiger weniger Wirtschaftskonzerne steht. Die Romane sind selbstverständlich stets als Analogien gedacht, um auf irdische Entwicklungen aufmerksam zu machen, die als problematisch angesehen werden.

Inzwischen ist die menschliche Gesellschaft in jener Science-fiction-Welt angekommen. Die entspricht sicherlich weniger dem simplen Schwarz-weiß-Bild von Staat versus Privatwirtschaft, auf das die Autorinnen und Autoren mitunter zur Veranschaulichung ihrer dystopischen Entwürfe zurückgegriffen haben, als vielmehr einer Form von Globalgesellschaft, bei der Staat und Wirtschaft teils gemeinsam, teils in Konkurrenz zueinander Funktionen der administrativen Verfügungsgewalt übernehmen und diese stetig verfeinern.

Ein aktueller Richterspruch aus den USA paßt haargenau zu dieser Entwicklung, wird damit doch das Recht des einzelnen auf Schutz seiner Privatheit ausgehöhlt. Demnach erlangen nicht nur Geheimdienste wie die NSA Zugriff auf die vormals privaten Daten der Menschen, sondern auch Unternehmen, wenn sie danach verlangen. So will das Erdölunternehmen Chevron Informationen über den gesamten Email-Verkehr der letzten neun Jahre von über 100 Personen erhalten, um zu belegen, daß es Opfer einer Verschwörung wurde.

Im vergangenen Monat hat der US-amerikanische Richter Lewis Kaplan vom nördlichen Bezirksgericht in New York einen Widerspruch gegen Chevrons Anordnung (Subpoena), die an den Email-Kontoanbieter Microsoft gerichtet ist, zurückgewiesen. [1]

Der Konzern wird aufgefordert, die IP-Adressen und Informationen zur Identität von Email-Kontoinhabern - die Rede ist von über 100 Umweltaktivisten, Journalisten und Anwälten - herauszugeben. Das schließt sämtliche Login-Daten dieser Personen ein, so daß ersichtlich wird, von wo aus und mit welchem Gerät auch immer sie in diesem Zeitraum Zugriff auf ihr Email-Konto genommen haben.

Anhand der privaten Informationen will Chevron den Nachweis erbringen, daß es Opfer eine Verschwörung (conspiracy) und nur deswegen vor zwei Jahren in Ecuador zu einer Strafe in Höhe von 18,2 Mrd. Dollar wegen massiver Umweltverschmutzungen verurteilt wurde. Gleichlautende Anordnungen Chevrons gingen an die Email-Kontoanbieter Google und Yahoo! vor einem Bezirksgericht in Nordkalifornien. [2]

Die Organisationen EarthRights International (ERI) und Electronic Frontier Foundation (EFF), welche die betroffenen Email-Kontoinhaber vertreten, hatten ihrerseits die Aufhebung der drei Anordnungen beantragt und dies mit dem 1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten (First Amendment), der unter anderem die Meinungs- und Pressefreiheit sicherstellen soll, begründet. [3] Der New Yorker Richter Kaplan wies nun die Anträge zurück und gab damit Chevron Recht. Er begründete dies damit, daß sich die Email-Kontoinhaber nicht auf den First Amendment beziehen können, weil sie nicht nachgewiesen haben, daß sie Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika sind. Nur diese könnten sich darauf berufen.

Nun verhält es sich aber so, daß jene Personen ihre Anonymität wahren wollen und daß ihnen dies durch den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung ausdrücklich gestattet wird!

Den Hintergrund zu diesem juristischen Hin und Her bildet das Urteil eines ecuadorianischen Richters, der vor zwei Jahren Chevron als Rechtsnachfolger der Erdölgesellschaft Texaco zu einer Strafe in Höhe von 8,6 Milliarden Dollar wegen umfangreicher Umweltverschmutzungen im ecuadorianischen Regenwald verurteilt hat. Und weil sich Chevron nicht, wie vom Richterentscheid verlangt, öffentlich für die Umweltverschmutzungen entschuldigte, wurde das Strafmaß verdoppelt. Es handelt sich um die bei weitem höchste Strafe, die jemals irgendwo auf der Welt wegen eines Umweltvergehens verhängt wurde.

Seit den 1960er Jahren hatte Texaco im ecuadorianischen Amazonasgebiet Erdöl gefördert. 1992 zog sich das US-Unternehmen zurück und hinterließ unter anderem Hunderte von offenen Ölbecken. Vor allem während der Regenzeit gelangten regelmäßig größere Mengen Öl in die Umwelt und verseuchten Boden und Wasser. Die Indigenen, die das Wasser tranken, erkrankten. Die Kontaminationen hätten vermieden werden können, urteilte 2011 der ecuadorianische Richter. Chevron hingegen vertritt den Standpunkt, daß die Ölfelder vereinbarungsgemäß übergeben wurden und die Verantwortung allein beim Staat Ecuador liegt.

Nach der Verurteilung ging Chevron in die Offensive, um Umweltschützer, das ecuadorianische Rechtssystem und die Regierung dieses lateinamerikanischen Landes als korrupt erscheinen zu lassen, und hat seinerseits Klage gegen 50 Personen erhoben, denen im Zusammenhang mit der Klage wegen der Umweltverschmutzungen Verschwörung zur Last gelegt wird.

Eine Strafe in Höhe von über 18 Mrd. Dollar ist auch für eine Erdölgesellschaft wie Chevron keine Kleinigkeit, aber andererseits auch nicht existenzgefährdend, wenn man bedenkt, daß das Unternehmen 2008 einen Umsatz von 265 Mrd. und einen Gewinn von 23,9 Mrd. Dollar verzeichnete. [4]

Sollte es tatsächlich dazu kommen, daß die Email-Kontoanbieter die geforderten Daten herausgeben, wäre das ein schwerer Schlag gegen die Umweltbewegung im allgemeinen, gegen Journalisten, die über Mißstände berichten, gegen den Rechtsbeistand von Umweltschützern und nicht zuletzt gegen die Indigenen.

Die werden immer häufiger Opfer solcher und ähnlicher Praktiken des Rohstoffabbaus, nicht nur in Südamerika. Für die Indigenen würde es fortan schwieriger werden, sich internationalen Beistand zu sichern, indem sie an die Öffentlichkeit gehen, um gegen mächtige Konzerne zu Felde zu ziehen. In diesem speziellen Fall besaßen die Einwohner Ecuadors Unterstützung seitens ihrer Regierung, in anderen Zusammenhängen stehen sie häufig nicht nur Unternehmen gegenüber, sondern auch der jeweiligen Regierung.


Fußnoten:

[1] http://dg5vd3ocj3r4t.cloudfront.net/sites/default/files/documents/Kaplan-Order-Hotmail-IP-subpoena_0.pdf

[2] http://www.chevroninecuador.com/2013/07/judge-chevron-can-access-its-critics.html

[3] http://www.earthrights.org/legal/standing-chevron-over-harassment-activists-lawyers-journalists

[4] http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2009-01/12982654-roundup-chevron-erzielt-spitzengewinn-2008-016.htm

15. Juli 2013