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LAIRE/225: ISAF bricht ihre Zelte ab - Gifterbe für Afghanistan (SB)


Mission erfüllt?



Wenn sich die ausländischen Streitkräfte bis Ende 2014 aus Afghanistan zurückgezogen haben, werden sie nicht nur eine zerrüttete Gesellschaft von sich aufs blutigste befehdenden Interessengruppen hinterlassen [1], sondern auch eine schwer geschädigte Umwelt. Durch die Aktivitäten des Militäreinsatzes sind inzwischen große Flächen auf den vielen hundert Stützpunkten im Land chemisch verseucht, und überall dort, wo bereits vor langer Zeit uranhaltige Munition verschossen wurde, lauern Strahlenpartikel in Boden, Luft und Wasser.

Die "Washington Post" berichtete diese Woche [2], daß die US-Armee nach dem Abzug eines Großteils ihrer Truppen rund 2000 der gegen Minen geschützten Spezialfahrzeuge, sogenannte MRAPs (Mine-Resistant, Ambush-Protected), zurücklassen, weil sich der komplette Rücktransport aller 11.000 dieser eine Million Dollar teuren Fahrzeuge nicht lohnt bzw. weil für sie kein Verwendungszweck besteht. Die teils sehr gut erhaltenen MRAPs werden der afghanischen Gesellschaft nicht in ihrem jetzigen, einsatzbereiten Zustand, sondern in Form von Schrott übergeben.

Diese gepanzerten Fahrzeuge, die eine Antwort des Pentagons aus dem Jahr 2007 auf die immer stärkeren Sprengfallen der Taliban darstellten, gehören zu den rund 20 Prozent allen Kriegsgeräts, das die US-Armee in Afghanistan zurückläßt - einschließlich der damit verbundenen Umweltprobleme.

Besonders berüchtigt sind die sogenannten "burn pits" der US-Armee. In diesen Verbrennungsgruben haben US-Soldaten Chemikalien, Farben, medizinischen Abfall, Munition, Treibstoffreste, Schmieröl, Kunststoffe, Gummi, menschliche Exkremente, Speisereste und vieles mehr verbrannt. Das US-Ministerium für Veteranenangelegenheiten behauptet auf seiner Website, daß Symptome wie Haut- und Augenreizungen, Husten, etc. bei Soldaten, die den Müll verbrannt haben, in den meisten Fällen nur vorübergehend sind. [3]

Doch wird in einer Studie des Veteranenministeriums selbst eingeräumt, daß sich die tatsächliche Belastung der Soldaten, die den Rauchschwaden ausgesetzt waren, kaum feststellen läßt, da viele Substanzen zusammenwirken. Und obwohl der Tenor auch dieses Dokuments durchgängig beschwichtigend ist, wird von möglicherweise langfristigen Auswirkungen des giftigen Qualms auf Haut, Atemwege, Augen, Leber, Nieren, Darm, Herzkreislaufsystem und Nerven gesprochen. Über das Potential von Langzeitfolgen lägen aber nicht genügend medizinische oder wissenschaftliche Informationen vor, wird behauptet. [4]

Es mag sein, daß die Veteranen über keine wissenschaftlich fundierten Informationen verfügen, aber sicherlich können sie über persönliche Erfahrungen berichten. Das tun sie auch, beispielsweise auf der Website Burn Pits Action Center. [5] Zahlreiche US-Veteranen haben bereits Klage wegen erlittener Gesundheitsschäden durch die Müllverbrennung eingereicht, wie die Website Lawyers and Settlements meldete. [6]

Die Soldatinnen und Soldaten der US-Armee, die giftige Substanzen verbrannt haben, standen am dichtesten am Feuer und haben den meisten Rauch abbekommen. Doch die stinkenden Schwaden zogen über die Stützpunkte hinweg und haben auch die afghanische Zivilbevölkerung einer erhöhten Vergiftungsgefahr ausgesetzt. Über die Gesundheitsschäden, die die Afghaninnen und Afghanen nach Abzug eines Großteils der ausländischen Truppen erleiden, wird jedoch gar nichts berichtet.

Wenn die Soldaten der ISAF (International Security Assistance Force) offiziell aus dem Land am Hindukusch verschwunden sind - mehrere zehntausend Soldaten bleiben über das Jahr 2014 hinaus im Land -, hinterlassen sie enorme Umweltverschmutzungen aus über einem Jahrzehnt "Aufbauarbeit". Selbst wenn sie sämtliches Kriegsgerät außer Landes brächten und die Burn Pits vollständig gegenüber der Umwelt abgeschlossen wären, blieben noch immer zahlreiche Flächen zurück, auf denen Treibstoff, Hydrauliköle, Schmierfette, Batteriesäuren und andere toxische Substanzen ausgelaufen sind. Die Umweltverschmutzungen auf den ISAF-Militärstützpunkten werden wohl erst dann bekannt, wenn die Truppen abgezogen sind; über das ganze Ausmaß der Verseuchung wird man vermutlich nie etwas erfahren.

Zu dem giftigen Erbe durch die militärischen Infrastruktureinrichtungen kommen noch jene zahllosen Stellen hinzu, an denen Uranmunition, Granaten und Raketen verschossen oder auch Bomben abgeworfen wurden, und das nicht erst seit Oktober 2001, als die USA ihren Krieg gegen die Taliban begannen, sondern bereits als die Armee der Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert ist.

Außerdem wurden in den Jahrzehnten der sowjetischen Besatzung (1979 bis 1989), des anschließenden Bürgerkriegs und nach 2001 viele Millionen Landminen ausgelegt, wodurch Hunderte Quadratkilometer Land verseucht wurden. Jahrein, jahraus werden in Afghanistan 30 bis 60 Einwohner pro Monat durch Landminen verletzt oder kommen durch deren Explosion ums Leben. Bei Landminen von einer Umweltverschmutzung zu sprechen, klingt irgendwie unzulässig, verharmlosend, und doch muß man sie dazurechnen. Denn sie tragen auf ihre Weise dazu bei, daß die afghanische Bevölkerung bestimmte Gebiete meiden sollte, weil in diesen ihre Gesundheit und ihr Leben entweder unmittelbar oder eben schleichend durch Umweltgifte gefährdet ist.

Dreizehn Jahre Afghanistankrieg haben dem Land nicht das gebracht, was ursprünglich als Kriegsziel erklärt worden war. Die von der ISAF bekämpften Taliban haben inzwischen in Katar ein Verbindungsbüro eröffnet und verhandeln mit den USA darüber, daß sie nach dem Abzug der Truppen Frieden wahren. Inzwischen werden in Afghanistan auch wieder Frauen, die vor erzwungenen Hochzeiten oder Gewalt in der Ehe geflohen sind, wegen Unzucht ins Gefängnis geworfen, wie Arte-Journal berichtete. [7] Auch die Frauenquote von 25 Prozent im afghanischen Unterhaus wird voraussichtlich wieder abgeschafft. [8]

Anscheinend wurden in jedem größeren Krieg, den die USA mit Unterstützung ihre Verbündeten geführt haben, auch eigene Soldaten in großer Zahl mit Umweltschadstoffen vergiftet. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Zeit des Kalten Kriegs waren es Strahlenopfer als Folge der oberirdischen Atomtests; im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg hat das Entlaubungsmittel Agent Orange und in den beiden Kriegen gegen Irak das Golfkriegssyndrom seine Opfer gefordert. Aus Afghanistan (und Irak) wird nun eine Häufung von Krankheiten in Verbindung mit dem Verbrennen von Müll in jenen "burn pits" festgestellt. Aber wie schwerwiegend die Soldatinnen und Soldaten auch immer geschädigt wurden, in jedem dieser Kriege war die Zivilbevölkerung um vieles schlimmer betroffen.


Fußnoten:

[1] http://www.nytimes.com/2013/06/18/world/asia/after-gunfire-politicians-in-afghanistan-trade-accusations.html?_r=0

[2] http://www.washingtonpost.com/world/asia_pacific/scrapping-equipment-key-to-afghan-drawdown/2013/06/19/9d435258-d83f-11e2-b418-9dfa095e125d_story.html?tid=pm_pop

[3] http://www.publichealth.va.gov/exposures/burnpits/

[4] http://www.warrelatedillness.va.gov/education/factsheets/burn-pits.pdf

[5] https://sites.google.com/site/burnpits/Home

[6] http://www.lawyersandsettlements.com/lawsuit/open-pit-burning-us-military-facilities.html?utm_expid=3607522-2&utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de%2F#.UcRGWKGMfuc

[7] http://www.arte.tv/de/afghanistan-frauenrechte-in-gefahr/7559852,CmC=7559884.html

[8] http://diestandard.at/1371169838285/Afghanistan-Frauenquote-im-Parlament-soll-fallen

21. Juni 2013