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LAIRE/202: Begrünung der Städte steigert das Wohlbefinden ... und sichert die soziale Befriedung (SB)


Neue Studie - Mehr Grün in der Stadt verringert
Schadstoffbelastung deutlich



Die Menge an zwei der gefährlichsten Luftschadstoffe in Städten kann durch eine umfangreiche Begrünung mit Bäumen, Büschen, Ranken und anderem Gewächs erheblich stärker reduziert werden als bisher angenommen. Daß Vegetationszonen in der Stadt nicht nur Linderung von Lärm und Hektik bieten, sondern auch gut für die Atemluft sind, kann jeder Bewohner oder Besucher einer städtischen Parkanlage am eigenen Leib feststellen. Der Forscher Thomas Pugh vom Karlsruhe Institute of Technology (KIT) und seine Kollegen von den Universitäten Birmingham und Lancaster fanden nun heraus, daß eine Begrünung der urbanen Beton- und Glas-Canyons die Menge an Stickstoffdioxiden (NO2) und Feinstäuben um das bis zu Achtfache dessen, was Forscher den Pflanzen bisher an Reinigungsfähigkeit zugesprochen hatten, zu reduzieren vermögen.

Das Ergebnis der Studie: Bei einer vernünftigen Begrünung mit Gras, Efeu und anderen Pflanzen der "urbanen Canyons" kann die Konzentration von NO2 um bis zu 40 Prozent und von Feinstaub um bis zu 60 Prozent gesenkt werden. Zuvor waren Forscher von einer etwa fünfprozentigen Verringerung der Luftschadstoffbelastung durch Pflanzen ausgegangen. Um die Blattoberfläche und dadurch den Reinigungseffekt nochmals zu vergrößern, sollten Stadtplaner Anzeigentafeln begrünen, schlagen die Forscher vor.

Nicht erst seit dem Trend zum "urban gardening" wissen die Stadtbewohner, daß eine pflanzenreiche Umgebung Nahrung abwirft und ihr allgemeines Wohlbefinden steigert. Schon im 19. Jahrhundert hatte sich in deutschen Städten eine Schrebergartenkultur entwickelt, die im vergangenen Jahrhundert veritable Ausmaße annahm.

Die Forschergruppe um Thomas Pugh hebt aber nicht in erster Linie auf das Anlegen von Gärten oder Parks ab, sondern auf eine allgemeine Begrünung der Stadt. Mit ein paar verkümmerten Grasbüscheln auf dem Mittelstreifen oder am Rand mehrspuriger Fahrstraßen ist es nicht getan. Straßenschluchten könnten auch vertikal viel gezielter mit Pflanzen ausgestattet werden. Der Vorschlag der Forscher, Anzeigentafeln zu begrünen, dürfte wohl so zu verstehen sein, daß sich die Stadtplaner generell etwas in dieser Richtung einfallen lassen sollten. Mehr Pflanzen in der Stadt senken das Risiko von Atemwegserkrankungen und trügen allgemein zur Entlastung der Gesundheitssysteme bei. Andererseits müßten wohl ein paar Stadtgärtnerinnen und Gärtner zusätzlich eingestellt werden, damit die Grünflächen gepflegt und gegebenenfalls gewässert werden.

Bei der Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, daß Städte regelrechte Betonwüsten wurden, muß man geschichtlich weiter ausholen. Zum einen verfügten die Fürsten und andere Adlige sowie reiche Kaufleute immer über private Grünflächen, da konnte das gemeine Volk auf und an den Straßen dahinsiechen. Die feudale Gesellschaftsform barg jedoch ein soziales Konfliktpotential, das von den Herrschenden nicht eingedämmt werden konnte.

Die Bismarcksche Sozialpolitik stellte einen bürgerlichen Versuch der Befriedung dar, indem den Arbeitern mehr Rechte und ein höherer Lohn eingeräumt wurde. Das war auch die Zeit der ersten Schrebergärten für Arbeiter. Die Zeit der Peitsche wurde von der des Zuckerbrots abgelöst.

Mögen sich auch die Arbeitsverhältnisse in den letzten hundert bis hundertfünfzig Jahren gewandelt haben, geblieben ist die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft oder, allgemeiner gesprochen, die Verfügbarkeit des Menschen. Gegen eine Begrünung der Städte spricht sicherlich nichts, denn es fördert das Wohlbefinden. Dennoch kommt man nicht umhin, sich zu fragen, ob das nicht die Weiterentwicklung der immer gleichen Stadtentwicklung wäre, also die soziale Befriedung der Menschen zum Zwecke ihrer fortgesetzten Verwertung.


Fußnoten:

[1] "Green plants reduce city street pollution up to eight times more than previously believed", TerraDaily, 19. Juli 2012
http://www.terradaily.com/reports/Green_plants_reduce_city_street_pollution_up_to_eight_times_more_than_previously_believed_999.html

Originaltitel:
Pugh T. et al. Effectiveness of Green Infrastructure for Improvement of Air Quality in Urban Street Canyons. Environ. Sci. Technol., 2012, 46 (14), pp 7692-7699, DOI: 10.1021/es300826w

19. Juli 2012