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LAIRE/161: Deutsch-marokkanische Kooperation - grüne Energie wird blutrot (SB)


Deutschland baut Wirtschaftszusammenarbeit mit
Westsahara-Besatzungsmacht Marokko aus


Die Wahrscheinlichkeit wächst, daß Deutschland in Zukunft vermeintlich saubere Energien aus Marokko beziehen wird. Beispielsweise im Rahmen der Desertec-Initiative aus solarthermischen Kraftwerken. Wer könnte da sicher sein, daß nicht auf diesem Wege die Westsahara und damit die legitimen Interessen der Sahrauis unter die Räder eines Primates wirtschaftlichen Nutzens und globalen Bedarfs geraten würden. Der Strom wäre nicht grün, sondern blutrot. Obgleich die vor 30 Jahren durchgeführte Annektion dieses Gebiets durch Marokko international nicht anerkannt ist und vom Volk der Sahrauis bekämpft wird (seit 1991 nur noch mit friedlichen Mitteln), erweckte die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Katherina Reiche, zur Eröffnung der Tagung "Marokko - Partnerland für erneuerbare Energien" in Berlin den Eindruck, als seien die Zusammenarbeit mit Marokko und dessen Menschenrechtsverletzungen zwei Paar Schuhe. "Marokko ist ein wichtiger Partner für die Entwicklung und Realisierung des Mittelmeersolarplanes und der Desertec-Initiative, die von der Bundesregierung begrüßt und unterstützt werden", wird Reiche in einer Presseerklärung des Bundesministeriums für Umwelt (BMU Pressedienst Nr. 014/11) vom Donnerstag zitiert.

Die Ignoranz der deutschen Regierung gegenüber Verschleppungen und Folter, das Verschwindenlassen von mutmaßlichen Oppositionellen, die Einschränkung der Pressefreiheit und freien Meinungsäußerung sowie die fortgesetzte Marginalisierung und Diskriminierung der Bewohner der Westsahara durch das marokkanische Regime mutet um so zynischer an, da zur gleichen Zeit, in der Vertreter Marokkos und der Sahrauis in den USA zu Verhandlungen zusammengekommen waren, die marokkanischen Sicherheitskräfte das Zeltlager Gedeim Izik, das die Sahrauis außerhalb der Stadt El Aaiún errichtet hatten, zerstörten. Noch am selben Tag, dem 8. November 2010, und in den Tagen danach, brachen in El Aaiún Unruhen aus. Also noch bevor in Tunesien Demonstranten auf die Straße gingen und den Sturz ihrer Regierung herbeiführten.

Der Westsaharakonflikt stellt sich im wesentlichen als ein sozialer Konflikt dar. Auch innerhalb der marokkanischen Bevölkerung wächst der Zorn über die Regierung. Es ist noch längst nicht ausgemacht, daß es nicht auch dort zum Volksaufstand kommt. Werden wir demnächst, sollten König und Regierung Marokkos abdanken müssen, von Katherina Reiche hören, daß sie ihre Eröffnungsansprache bei der Tagung ganz anders gemeint hat? So wie die französische Außenministerin Michèle Alliot-Marie, die noch kurz vor der überhasteten Flucht des tunesischen Autokraten Ben Ali dessen Regierung Hilfe bei der gewaltsamen Unterdrückung der Aufstandsbewegung anbot und, von den anschließenden Ereignissen überrascht, einen Rückzieher machen mußte?

Reiches Einlassungen zu Marokko sind allerdings genauso wenig mißzuverstehen wie Alliot-Maries. Die Parlamentarische Staatssekretärin und die marokkanische Energieministerin Amina Benkhadra unterzeichneten eine Kooperationserklärung, was Reiche mit den Worten kommentierte: "Diese gemeinsame Win-Win-Situation mit der Ansiedlung europäischer Unternehmen in Marokko und entsprechenden Forschungsplattformen für die Weiterentwicklung der Technologien und damit die gemeinsame Kostenreduktion sind uns sehr wichtig."

Nicht so wichtig ist der Bundesregierung dagegen, daß in Marokko schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Der beschworenen Win-Win-Situation des deutsch-marokkanischen Pakts zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit insbesondere auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien steht eine "Loose-Situation" auf Seiten der Sahrauis gegenüber. Sie werden zu den Verlierern dieser doppelten Gewinnsituation abgestempelt. Je engmaschiger die Verflechtung der marokkanischen Wirtschaft mit der deutschen bzw. europäischen, desto weniger werden sich diese Länder für die Befreiung der besetzten Gebiete in Westsahara einsetzen - womit nicht gesagt werden soll, daß hier bereits nennenswerte Bestrebungen zu erkennen wären.

So, wie die Bundesregierung Strom aus erneuerbaren Energien propagiert, bilden diese hinsichtlich ihrer geopolitischen Konsequenzen keine Alternative zu fossilen Energieträgern wie Erdöl, um die Kriege geführt werden, sondern deren postfossile Fortsetzung. Will die Umweltbewegung nicht Erfüllungsgehilfe der kriegführenden und repressive Regime unterstützenden Bundesregierung sein, dürfte sie hegemoniale Großindustrieprojekte nicht kritiklos und ohne Berücksichtigung regional gesellschaftlicher Unrechtslagen und Widersprüche befürworten.

28. Januar 2011