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LAIRE/160: Aus den Augen, aus dem Sinn - Erdöl und Corexit im Golf von Mexiko (SB)


Folgen der Havarie der Bohrplattform Deepwater Horizon kaum erforscht

Dispersionsmittel zur Auflösung der Erdölverseuchung nicht abgebaut


Das Dispersionsmittel, das der Konzern BP im vergangenen Jahr direkt in das aus dem Bohrloch Macondo der havarierten Bohrplattform Deepwater Horizon strömende Rohöl einbrachte, hatte sich auch drei Monate nach der Umweltkatastrophe noch nicht aufgelöst. Die meeresökologischen Folgen der doppelten Verseuchung - zum einen mit Rohöl, zum anderen mit Chemikalien - für den Golf von Mexiko sind nur ungenügend erforscht.

BP hatte damals nahezu die gesamten Weltvorräte des Dispersionsmittels Corexit 9500 aufgekauft und etwa 2.918.552 Liter davon in rund eineinhalb Kilometer Tiefe direkt in die Wolke aus Erdöl injiziert. Zudem wurde mehr als diese Menge an Chemikalien auf der Wasseroberfläche versprüht. Das war ein kluger Schachzug, denn durch diese in der Geschichte der Erdölkatastrophen einmalig große Menge an Dispersionsmitteln gelang es dem Unternehmen, das Ausmaß der Katastrophe zu verschleiern. Der Anteil des Erdöls, der die Oberfläche erreichte oder gar Küstenbereiche verseuchte, war verglichen mit der gewaltigen Menge tatsächlich ausgeströmten Erdöls gering. Das bedeutete aber nicht, daß es sich aufgelöst hätte. Es war lediglich in kleinste Teilchen zerlegt worden und hatte sich somit dem Blick der Öffentlichkeit weitgehend entzogen. Die zwischenzeitlich in den Medien verbreitete Behauptung, das Erdöl sei unauffindbar und wahrscheinlich von Bakterien verzehrt worden, erwies sich rasch als haltlos. [1] Forscher entdeckten im Golf von Mexiko die "vermißten" kilometerlangen Schwaden der klebrigen Masse.

Weitere erwünschte Effekte des Einsatzes von Dispersionsmitteln bestehen darin, daß das zerkleinerte Erdöl aufgrund seiner größeren Oberfläche angreifbarer für Mikroorganismen wird, die sich von Erdöl ernähren. Außerdem soll das Dispersionsmittel bewirken, daß das Rohöl zum Meeresboden sinkt.

Wissenschaftler wollten genau wissen, was mit dem Dispersionsmittel geschieht, wohin die Substanzen wandern und wie sie abgebaut werden. Beispielsweise die Chemikerin Elizabeth Kujawinski von der Woods Hole Oceanographic Institution und ihre Kollegen. Sie berichteten nun laut der Website Environmental News Service (ENS) [2], daß sie nicht wüßten, ob das Dispersionsmittel das Erdöl zerkleinert habe, aber daß es noch nicht verschwunden sei, habe sie "überrascht". Der Fachartikel, der am Mittwoch im Journal "Environmental Science & Technology" der Amerikanischen Chemischen Gesellschaft (ACS - American Chemical Society) veröffentlicht wurde und dem ENS-Bericht zugrunde liegt, ist die erste Peer-review-Studie zum Dispersionsmittel im Golf von Mexiko und zugleich die erste Studie zum Einbringen dieser Chemikalien in größerer Meerestiefe. Die Untersuchung richtete sich nicht auf die Toxizität der Chemikalie, sagte Kujawinski, die allerdings zugleich behauptete, die Chemikalienkonzentration läge mindestens eintausend Mal unterhalb dessen, was als toxisch angesehen werde.

Die gute Nachricht sei, daß das Dispersionsmittel in der Meerestiefe geblieben ist, wo es auch eingebracht wurde. Die schlechte Nachricht laute, daß es dort bleibe und nicht abgebaut werde, so die Forscherin. Sie und ihre Kollegen hatten die chemische Verbindung DOSS (dioctyl sodium sulfosuccinate - Dioctylnatriumsulfosuccinat) nachgewiesen. Im Mai, Juni 2010 kam DOSS in Konzentrationen vor, die in Teilchen pro Millionen (ppm) gemessen werden. Im September war es noch immer nachweisbar, wenngleich nunmehr in Teilchen pro Milliarden (ppb).

Sollte dies als ein Hinweis auf einen zumindest langsamen Abbau der chemischen Verbindung DOSS zu verstehen sein, so bleibt dennoch offen, in welche Substanzen sie zerfallen ist und welche ökologischen Folgen diese haben. Außerdem bleibt unerforscht, was aus den anderen Corexit-Bestandteilen wurde.

BP selbst hat seinen Schwerpunkt auf die Beseitigung der sichtbaren Ölspuren an den Küsten und Stränden der USA gelegt, wie einer Facebook-Fragerunde mit Mike Utsler, Chief Operating Officer für die Gulf Coast Restoration Organization des BP-Konzerns, zu entnehmen ist. [3] Das Thema Tiefsee wurde nicht berührt. Das scheint symptomatisch für den von Vermeidungsversuchen geprägten Umgang mit der vermutlich größten Einzelkatastrophe in der Geschichte der Erdölförderung zu sein.


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Anmerkungen:

[1] Näheres dazu im Schattenblick unter INFOPOOL -> NATURWISSENSCHAFTEN -> CHEMIE:
UMWELTLABOR/267: Ölpest im Golf (1) Unbeantwortete Fragen (SB)
UMWELTLABOR/268: Ölpest im Golf (2) Wo ist es denn, das Öl - diskrepante Wissenschaftsanalysen (SB)
UMWELTLABOR/269: Ölpest im Golf (3) Was das Öl zum Killer macht (SB)

[2] "Chemical Dispersants Used by BP Linger in Deep Sea Plume", Environment News Service (ENS), 26. Januar 2011
http://www.ens-newswire.com/ens/jan2011/2011-01-26-02.html

[3] Transcript of Facebook Q&A Session #3 mit Mike Utsler, Chief Operating Officer für die BP Gulf Coast Restoration Organization, 21. Januar 2011
http://www.facebook.com/note.php?note_id=10150129597363413

27. Januar 2011