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LAIRE/112: Atrazin - chemische Kastration von Fröschen (SB)


Vergiftung der Umwelt durch die Landwirtschaft

Männliche Frösche wurden in "Atrazin-Umgebung" zu Weibchen


Schon seit längerem ist bekannt, daß das Herbizid Atrazin zu Hermaphroditismus bei Amphibien führen kann. Nun haben US-Forscher eigenen Angaben zufolge erstmals den Beweis erbracht, daß der Wirkstoff männliche Frösche manchmal vollständig verweiblicht. Tyrone Hayes von der Universität von Kalifornien in Berkeley und seine Kollegen stellten experimentell fest, daß männliche Frösche, die Atrazin ausgesetzt wurden, chemisch kastriert und, als sie ausgewachsen waren, zu Weibchen wurden. Das berichtete ScienceDaily.com [1] unter Berufung auf die Nachrichtenagentur Reuters, die wiederum aus einem Fachartikel des Wissenschaftsmagazins "Proceedings of the National Academy of Sciences" zitiert.

Atrazin ist wegen seiner hormonellen Wirkung in der Bundesrepublik Deutschland seit 1991, in der Europäischen Union seit 2004 verboten. In den USA dagegen ist der Wirkstoff weiterhin zugelassen. Deren Behörden vertreten bislang den auf Studien - nicht selten von der Wirtschaft durchgeführt - gestützten Standpunkt, daß das weit verbreitete Herbizid für den Menschen nicht schädlich ist. Das bedeutet allerdings lediglich, daß es nicht gelang, einen zweifelsfreien Zusammenhang zwischen Atrazin und Störungen des menschlichen Hormonhaushalts nachzuweisen. Die Wirkung des Herbizids auf Menschen scheint vernachlässigbar gering, wobei in diesem Kontext anzumerken ist, daß wahrscheinlich hormonell beeinflußte Phänomene wie die Verringerung der durchschnittlichen Anzahl männlicher Samenzellen oder die Entstehung von Prostatakrebs und Brustkrebs bislang weitgehend unverstanden sind.

Vom medizinisch-administrativen Komplex wird zwar der Eindruck erweckt, daß diese Erkrankungen auf individuelles Fehlverhalten wie zum Beispiel "schlechte" Ernährung, zu wenig Bewegung und Vernachlässigung der Krebsvorsorge zurückgehen, aber solche Erklärungen wirken, wohlwollend gesagt, wie ein hilfloser Versuch, eine Kausalität auszumachen, und weniger wohlwollend formuliert, wie eine Schuldzuweisung zu dem Zweck, sich von der eigenen Verantwortung als Berufsstand und Gesetzgeber zu befreien.

Der US-Gesetzgeber jedenfalls wägt zur Zeit ab, ob er es für wichtig genug erachtet, daß Frösche und andere Amphibien, deren Zahl in den USA und weiteren Weltregionen rapide abnimmt, durch ein Atrazin-Verbot geschützt werden oder nicht. Wie wir an anderer Stelle berichteten [2], ist Atrazin sehr langlebig. Es kann über Entfernungen von mehr als 1000 Kilometer wandern, also auch entlegene Naturschutzgebiete erreichen, in denen gar keine Herbizide eingesetzt werden. In den Vereinigten Staaten werden pro Jahr schätzungsweise 35.000 bis 40.000 Tonnen Atrazin verwendet, davon kommen mehr als 220 Tonnen mit Niederschlägen herunter. Die Forscher machten darauf aufmerksam, daß in Gegenden, in denen Atrazin verwendet wird, viele frei lebende Amphibien dauerhaft einer Dosis von 2,5 ppb (parts per billion - Teile pro Milliarde) Atrazin ausgesetzt sind und daß im Mittleren Westen der USA im Niederschlag Werte von mehr als 100 ppb nachgewiesen wurden.

Hayes und Kollegen hatten 40 Frösche in Wasser mit einer Konzentration von 2,5 ppb Atrazin gehalten. Damit wählten sie einen Wert unterhalb des von der US-Umweltschutzbehörde EPA festgelegten Grenzwerts für Trinkwasser von 3,0 ppb. Im Rahmen der Studie entwickelten sich zehn Prozent der genetischen Männchen in voll funktionsfähige Weibchen, die nach der Begattung von Männchen, die keinem Atrazin ausgesetzt waren, funktionsfähige Eier produzierten. Das ist nebenbei gesagt auch deshalb interessant, weil das die Relevanz der genetischen Modelle und Konzepte in Frage stellt.

Auch die jüngste Atrazin-Studie aus den USA vermag selbstverständlich keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem chemischen Wirkstoff und hormonellen Beeinträchtigungen des Menschen aufzuzeigen, da die Experimente mit Fröschen durchgeführt wurden. Zunächst hat man es also lediglich mit der Beobachtung zu tun, daß männliche Frösche unter Atrazin-Einfluß zu Weibchen werden können. Dennoch bleibt vieles im Zusammenhang mit der Herbizidwirkung kaum oder unerforscht. Wie verhält sich Atrazin über Jahrzehnte oder Generationen hinweg? Können schädliche Wirkungen aufgrund der Kombination mit anderen chemischen Substanzen ausgeschlossen werden?

Der in den Vereinigten Staaten anhaltende Streit über Für und Wider Atrazin bietet einen Mikro-Ausschnitt der grundsätzlichen Probleme der Landwirtschaft. Durch die Bemühungen, mit toxischen Substanzen Ertragssteigerungen zu erzielen, werden Unwägbarkeiten in die Welt gesetzt, die über Umwege wieder negativ auf die landwirtschaftlichen Erträge zurückschlagen können. Das durch die Ausbreitung des Menschen in fast alle Lebensräume forcierte weltweite Artensterben führt zu einer Reduzierung der "natürlichen Ressourcen" - in dem Begriff ist der Verwertungsanspruch fest verankert - und erhöhten Anfälligkeit von Pflanzen und Tieren, auf die der Mensch existentiell angewiesen ist, gegenüber Krankheiten und Schädlingen. Diesem Problem ist allein mit einem Verbot von Atrazin sicherlich nicht beizukommen, zumal sich Ersatzsubstanzen womöglich nicht wesentlich von dem Wirkstoff unterscheiden, aber ohne eine Einschränkung des Verbrauchs, so scheint es, werden die Menschen an der Vergiftung ihrer Umwelt einen regen Anteil haben.


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Anmerkungen:

[1] "Common weedkiller turns male frogs into females", Reuters/ScienceDaily, 1. März 2010
http://www.newsdaily.com/stories/tre6204rg-us-weedkiller-frogs/#

[2] Näheres unter UMWELT -> REDAKTION
KOLLATERALSCHADEN MENSCH/004: US-Behörde überprüft Atrazin-Zulassung (SB)

2. März 2010