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WASSER/219: Bedrohter Lebensraum - Zu viel los in der Ostsee (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 3/2012
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Bedrohter Lebensraum
Zu viel los in der Ostsee

von Nadja Ziebarth



Die Ostsee wird vielseitig beansprucht. Vor allem die Kombination belastender Faktoren bringt den Lebensraum an seine ökologischen Grenzen. Eine Richtlinie der EU könnte für Besserung sorgen.

Betriebsam geht es auf der Ostsee zu. Große Containerschiffe und Tanker reihen sich aneinander. Ihre Routen werden schon bald von Windrädern gesäumt sein, jedes höher als der Kölner Dom. Mittendrin die Fischer, die versuchen, unseren ständig steigenden Hunger auf Fisch zu stillen. Zudem wird die Suche nach Öl und Gas derzeit wieder aufgenommen. Diese Mixtur von Lärm, Schmutz und Fischerei macht natürlich auch an den Grenzen der Schutzgebiete nicht halt. Es ist letztlich die Vielzahl von Belastungen, unter der die Meeresumwelt besonders leidet.

Übernutzung: Kumulativer Effekt

Der dynamische Lebensraum Meer bringt es mit sich, dass die meisten seiner Bewohner an schwierige Lebensbedingungen gut angepasst sind. Häufig ist es eine Kombination belastender Faktoren, die das Überleben einer Art bedrohen. So müssen Schweinswale gleich mit mehreren menschengemachten Problemen fertigwerden. Ihre Nahrung wird weggefischt, der Lärm stresst sie, und die vielen Schadstoffe im Wasser schwächen ihr Immunsystem. Zudem sterben viele Tiere als Beifang in Fischernetzen. Schließlich haben sie sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Ein (Über-) Leben unter solchen Bedingungen ist schwierig.

Bis zum letzten Fisch

Überfischung ist ein großes Problem in der Ostsee. Weltweit gelten heute 80 Prozent der wirtschaftlich genutzten Bestände als überfischt, und die Ostsee wird besonders stark befischt. WissenschaftlerInnen warnen davor, dass ein Großteil der Fischbestände bis 2050 endgültig erschöpft sein könnte. Die hochtechnisierten Fischerboote fangen nicht nur bis zum letzten Fisch, ihr Fanggerät zerstört auch den Meeresboden. Bis zu vier Fünftel eines vollen Netzes sind Beifang, der nicht verwertet wird - darunter Jungfische, Krebse und Seesterne, aber auch Vögel, Schweinswale und Robben.
2011 wurden allein an der deutschen Ostseeküste 107 tote Schweinswale gefunden: 35 in Mecklenburg-Vorpommern und 72 in Schleswig-Holstein. In der zentralen Ostsee (östlich von Rügen) leben immer weniger Schweinswale, hier werden höchstens noch 100 bis 400 Tiere vermutet. Eine so hohe Todesrate kann der Bestand auf keinen Fall verkraften. Der Schutz der Wale muss deshalb auch bei der Fischerei ansetzen.
Dass sich Fischbestände bei einer nachhaltigen Befischung auch wieder erholen, hat sich im kleinen Maßstab schon gezeigt. Einige Dorschbestände nehmen dank niedrigerer Fangquoten wieder etwas zu. Doch damit sich die Situation langfristig für alle Bestände verbessert, muss die Fischerei konsequent auf Nachhaltigkeit getrimmt werden. Dazu gehören Einschränkungen des Fischfangs in den Schutzgebieten ebenso wie ein Verbot von Grundschleppnetzen und die Einrichtung von Gebieten ganz ohne Fischerei.

Allüberall Plastik

Millionen Tonnen Plastikmüll werden jährlich in die Meere gespült und geblasen oder gehen auf den vielen Schiffen von Bord. Hinzu kommen Kilometer verlorener Kunststoffnetze und Leinen von Fischern. Das Problem: Plastik baut sich sehr langsam ab und setzt dabei giftige Substanzen frei. So ist Plastikmüll auch in der Ostsee zur allgegenwärtigen Gefahr geworden. Viele Tiere verschlucken kleine Plastikteilchen, weil sie diese für Nahrung halten. Auch Kunststoffseile oder verloren gegangene "Geisternetze" fordern viele Opfer unter den Meerestieren. Vögel etwa bauen die bunten Schnüre gern in ihr Nest ein - eine ständige Gefahr für die Jungen, die sich darin rettungslos verheddern können.
Der Plastikmüll schadet auch uns Menschen: Die beim Abbau des Plastiks freigesetzten Gifte reichern sich über die Nahrungskette an und können in Fischen oder Meeresfrüchten wieder auf unserem Teller landen. Ein unappetitlicher Kreislauf.

Tödliche Nährstoffe

Der immense Einsatz von Kunstdünger und Gülle in der Landwirtschaft hat zu einem Überschuss an Nährstoffen in den Meeren geführt. Über die Flüsse und den Wind eingetragen, fördern Stickstoff- und Phosphatverbindungen die explosionsartige Vermehrung von Mikroalgen. Es kommt zu Algenblüten - mit drastischen Folgen für den Rest der Tier- und Pflanzenwelt. Meerestang und Seegras erreicht durch das von den Algen getrübte Wasser nicht mehr genug Licht zur Photosynthese, sie gehen ein. Für die Tierwelt wird es kritisch, wenn die Mikroalgen massenweise absterben und auf den Grund sinken, wo sie von Bakterien abgebaut werden. Dabei wird der lebenswichtige Sauerstoff in den bodennahen Wasserschichten verbraucht, so dass den Bodenlebewesen die Luft ausgeht. Es entstehen "tote Zonen". Eine stabile Wasserschichtung, wie sie im Sommer in der Ostsee häufig vorkommt, begünstigt dieses Phänomen zusätzlich.

Sandbänke bedroht

Mengenmäßig ist Sand Deutschlands wichtigster Rohstoff. Saugschiffe fördern riesige Mengen des vor allem von der Bauwirtschaft benötigten Materials aus dem Meer. Große Sandbänke samt ihrer komplexen Lebensgemeinschaften werden dafür abgetragen und dauerhaft zerstört. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Die Sedimentfahnen überdecken Gebiete auch noch in großer Entfernung und ersticken die dort lebenden Bodenorganismen.

Wärmer und saurer

Die Folgen des Klimawandels für die Meere sind schleichend. Das Wasser wird wärmer und dehnt sich aus. Mit dem Schmelzen der Polkappen führt dies zu einem Anstieg des Meeresspiegels. Das Kohlendioxid aus der Atmosphäre hat noch einen anderen Effekt: In Wasser gelöst bildet es Kohlensäure. Das Meerwasser wird dadurch saurer - was Kalk bildenden Lebewesen wie Muscheln und Korallen Probleme bereitet. Die Säure greift ihre Kalkskelette an und löst sie auf. Besonders betroffen sind winzige Kalkalgen. Als Phytoplankton stehen sie ganz am Anfang des marinen Nahrungsnetzes. Ihr Verschwinden würde das gesamte Ökosystem empfindlich stören.
Auf das Konto des Klimawandels gehen auch die stetig früher einsetzenden Frühlinge und Sommer. Wärmeres Wasser beschleunigt die Entwicklung bestimmter Planktonorganismen, führt aber auch zu ihrem zeitigeren Absterben. Viele Vögel und Fische haben ihre Fortpflanzung und ihre Wanderungen auf das Vorkommen dieser Futtertiere genau abgestimmt. Verschiebt sich deren Auftreten schnell, fehlt ihnen die Zeit, sich anzupassen, mit der Folge, dass ganze Jahrgänge einer Art verhungern.

Hoffnungsschimmer

Mit der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie hat die EU einen rechtsverbindlichen Rahmen geschaffen, um den Schutz und die Nutzung der europäischen Meere in Einklang zu bringen. Die Richtlinie verfolgt zu Recht einen ganzheitlichen, integrativen Ansatz: Die Anliegen des Umweltschutzes sollen in alle relevanten Politik- und Planungsbereiche einfließen (Land- und Fischereiwirtschaft, Energie, Verkehr). Auch für die Ostsee gilt so mit das Ziel, bis 2020 einen guten Zustand der Meeresumwelt zu erreichen. Die Richtlinie ist ein großer Hoffnungsträger und ein bedeutendes Element für einen guten Meeresnaturschutz. Entscheidend bleibt nun, wie ambitioniert dieses Ziel verfolgt wird. Der BUND wird dies kritisch verfolgen.

Nadja Ziebarth
...leitet das BUND-Projektbüro Meeresschutz

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Quelle:
BUNDmagazin 3/2012, Seite 16-17
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2012