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WALD/668: Die Vogelwelt unserer Wälder (Unser Wald)


Unser Wald - 1. Ausgabe, Januar/Februar 2012
Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald

Die Vogelwelt unserer Wälder

von Jörg Liesen



Sie kennen den Buchfink, die Kohlmeise und den Eichelhäher von Ihrem letzten Waldspaziergang? Aber wann haben Sie zum letzten Mal einen Schwarzstorch, Rotmilan oder Trauerschnäpper gesehen oder gehört? Alles Vogelarten, die bei uns in heimischen Wäldern leben. Einige dieser Arten sind schwierig zu sehen oder zu hören, manche fast nur an ihren Spuren zu entdecken.

Wälder gehören in Deutschland zu den stabilsten Lebensräumen unserer Kulturlandschaft mit extrem langen Zyklen. Und trotzdem treten Vogelarten nicht überall in gleicher Dichte auf. Das kann bei der einen Art an der Verbreitung liegen, bei anderen Arten an unterschiedlichen Lebensraumansprüchen, am Zugverhalten, am Brutverhalten, Konkurrenz oder am Nahrungsspektrum, um hier nur einige Gründe zu nennen. Ganz entscheidend aber ist der Wald als Lebensraum selbst und damit u.a. die Waldbewirtschaftung, die Baumartenzusammensetzung, das Alter der Bäume, die Strukturen im Wald, das vorhandene Totholz oder das Verhältnis von Wald zu Offenland.

Waldnutzung als Schlüssel für die Vogelwelt
Um die Verbreitung von Waldvögeln heute beurteilen zu können, muss man die Geschichte der Wälder und deren Nutzung in Deutschland vor Augen haben. Ab ca. 1.000 v. Chr. war Deutschland eine von Buchen dominierte Waldlandschaft in der - außer in den Höhenlagen und auf extremen Standorten - kaum Nadelbäume zu finden waren. Das natürliche Alter der Bäume in den damaligen Urwäldern konnte bis zur Zerfallsphase 600 bis 800‍ ‍Jahre betragen. Heute hat sich das Baumartenverhältnis umgekehrt. Dominierende Baumarten in deutschen Wäldern sind die Fichte (28%) und die Kiefer (23%). Die Buche ist mit gerade noch knapp 15% die häufigste Laubbaumart. Die Wälder heute sind mit Umtriebszeiten von 60 und 80 Jahren (Fichte) bis 180 und 220 Jahren (Eiche) deutlich jünger als die Urwälder. Die Vogelwelt im Wald hat sich also im Laufe der Geschichte von einer Laubwald dominierten zu einer Nadelholz dominierten Vogelgesellschaft in dauerhaft relativ jungen Wäldern verändert. Tannenmeise, Wintergoldhähnchen und Schwarzspecht haben davon profitiert, Verlierer sind Laubwaldarten wie Mittelspecht, Waldlaubsänger oder Trauerschnäpper.

Auch die Bewirtschaftungsformen haben sich über die Jahrhunderte deutlich verändert. Während der Wald schon immer zur Brenn- und Bauholzgewinnung und zur Jagd durch den Menschen genutzt wurde, dominierten viele Jahrhunderte lang die Waldweide und die Streunutzung große Teile unsere Wälder. Erst im 19. Jahrhundert löste der heutigen altersklassengeprägte Hochwald die historischen Bewirtschaftungsformen wie Mittel- und Niederwald ab. Die Folgen waren das Verschwinden offenlandartiger und nährstoffarmer Strukturen, die sich für viele Vogelarten wie z.B. für Baumpieper, Gartenrotschwanz oder Ziegenmelker vorteilhaft ausgewirkt hatten. Die heutige strikte Trennung zwischen Wald und Offenland in unseren Forsten gab es zur Zeit der historischen Bewirtschaftungsformen nicht.

Noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden Rinder, Schweine und Ziegen in Hutewälder getrieben, die eine starke Auflichtung der Wälder verursachten. Dabei wurde die Eiche stark gefördert und sonnige, buschreiche Bereiche entstanden. Die Waldweide verursachte einen starken Nährstoffaustrag und verhinderte die natürliche Verjüngung der prägenden Baumarten Eiche und Buche. Arten wie der Mittelspecht, Neuntöter, Goldammer oder Halsbandschnäpper profitierten von den lichten, offenen Waldstrukturen. Raubbau am Wald für das Bergbau- und Hüttenwesen, Salinen und Glasmacherei oder Reparationshiebe nach Kriegen führten regional zu zerstörten Wäldern, so dass urwaldartige Waldstrukturen nur in schwer zugänglichen Bereichen überdauert haben. In unseren heutigen Wäldern der geregelten Forstwirtschaft existieren deutlich bessere Bodenbedingungen und die Wälder wachsen flächendeckend dichter heran.

Heute ist alles besser?
Während teilweise bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts licht- und wärmeliebende Vogelarten der Aufbauphase von Wäldern wie Wiedehopf, Pirol, Wendehals, Grauspecht, Raubwürger, Gartengrasmücke oder Baumpieper noch recht häufig waren, profitieren heute Arten in den eher dunklen und dichten Wäldern wie Buchfink, Rotkehlchen, Kohl- und Blaumeise, Kleiber oder Schwarzspecht. Auch die Anteile der samenfressenden Vogelarten hat durch die Änderung der Bewirtschaftungsformen stark zugenommen, zum einen durch die deutliche Arealerweiterung von Fichten und Kiefern, zum anderen aber auch durch die wegfallende Konkurrenzsituation der Waldweide. So haben Arten wie Buchfink, Erlenzeisig und Fichtenkreuzschnabel in den letzten 100 Jahren deutlich zugenommen. Die Bestandstrends von häufigen Brutvögeln im Wald in den Jahren 1990 bis 2008 zeigen, dass Arten wie Waldlaubsänger, Baumpieper, Wintergoldhähnchen oder Trauerschnäpper deutliche Bestandsrückgänge (>2O%) aufweisen.

Unter diesen Arten sind auffällig viele Langstreckenzieher, die südlich der Sahara überwintern. Denn Klimawandel und Lebensraumveränderungen wirken sich nicht nur südlich der Sahara, sondern auch hierzulande aus, so dass diese Langstreckenzieher bei der Ankunft in unseren Wäldern nicht genügend Insekten für ihre Jungen finden. Diese Insekten haben sich schon aufgrund des wärmeren Klimas im Frühjahr schneller entwickelt und sind nun für die spät eintreffenden Langstreckenzieher nicht mehr verfügbar, oder Kurzstreckenzieher bzw. Standvögel haben bereits geeignete Brutreviere besetzt.

Aber auch Standvögel wie Weidenmeise und Kleiber werden möglicherweise durch steigende Temperaturen ihre Brutareale verlagern und regional seltener werden. Ebenso zeigen Arten wie Schreiadler oder Grauspecht, die auf alte Wälder und deren Strukturen angewiesen sind, deutliche Bestandseinbußen. Diese Rückgänge sind zum Teil durch die Bewirtschaftung der Wälder verursacht (Grauspecht, Schreiadler), aber auch durch die Änderung der Bewirtschaftung des Offenlandes (Schreiadler). Der zunehmende Nährstoffeintrag in Acker- und Grünlandstandorten und auch in Wälder wird zunehmend ein Problem, da durch den verstärkten Aufwuchs von Vegetation Vogelarten des Offen- und Halboffenlandes keine Insekten mehr auf dem Boden erbeuten können.

Während sich die Erkenntnis, artenreiche Mischwälder anzupflanzen, schon allein aus monetären Gründen in den Landesforstverwaltungen und auch bei vielen Privatwaldbesitzern langsam durchgesetzt hat, sind periodische oder dauerhafte Strukturen im Wald wie Blößen, Wurzelteller, stehendes und liegendes Totholz heute in unseren eher strukturarmen Wäldern noch selten zu finden. So liegt der Totholzanteil im Durchschnitt bei ca. 11,5 Festmeter pro Hektar in unseren Wirtschaftswäldern, wobei davon der größte Teil Stubben (Baumstumpfe) oder liegendes Totholz sind.

In Urwäldern hingegen liegt der Totholzanteil bei 50 bis über 200 Festmeter je Hektar mit einem großen Anteil an stehendem Totholz. Auch ausgedehnte Schutzgebiete oder Totalreservate wurden und werden häufig nur gegen heftigen Widerstand von Forstleuten und Waldbesitzern durchgesetzt, wie die aktuelle Debatte um die Zielsetzungen der Biodiversitätsstrategie, 5% natürliche Waldentwicklung zuzulassen, zeigt. Doch nicht nur der Schutz großflächiger, unzerschnittener Waldlebensräume, sondern auch die Integration von Naturschutzzielen im Wald kommt nicht nur anspruchsvollen Vogelarten mit großen Revieren wie Schwarzstorch, Auerhuhn oder Wespenbussard entgegen. Auch Arten, deren Ansprüche an die Strukturvielfalt hoch sind (z.B. Auerhuhn, Weißrückenspecht) bzw. Nachfolgearten wie Höhlenbrüter, Fledermäuse, Bilche und totholzbewohnende Insektenarten sind auf natürliche Strukturen angewiesen, die auch ein Wirtschaftswald bieten sollte. Die Aufgabe, unsere heimischen Vogelarten zu erhalten, wird nicht einfacher. Integrative Naturschutzziele im Wald einzufordern und umzusetzen sind angesichts gestiegener Herausforderungen wie Klimawandel, Bioenergienutzung und zunehmend betriebswirtschaftlich ausgerichteter Landesforstverwaltungen nicht leicht umzusetzen. Vielleicht bedarf es in Zukunft mehr Mut und Phantasie, im Zuge der Bewirtschaftung unserer Wälder, naturnahe Strukturen, historische Bewirtschaftungsformen oder auch Waldweide zuzulassen, um unseren heimischen Waldvögeln ein Optimum an Lebensraumvielfalt zu bieten.

Weiterführende Literatur:
• Gatter, W. (2000): Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa. Aula Verlag;
• Sudfeldt et al. (2010): Vögel in Deutschland - 2010. DDA, BfN, LAG, VSW, Münster

Autor
Jörg Liesen ist Diplom-Forstwirt und Dipl.-lng. (FH) Landschaftsplanung. Er arbeitet als Fachreferent beim Verband Deutscher Naturparke e.V. (VDN) und beschäftigt sich seit Jahren als Ornithologe mit der heimischen Vogelfauna unter anderem im Kottenforst bei Bonn; E-Mail: liesen[at]naturparke.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Seine Nahrung sucht der Buchfink überwiegend auf dem Boden.
- Die 12 cm große Weidenmeise zimmert eigene Höhlen in morsche Bäume.
- Die Tannenmeise ist nur 8 bis 10 Gramm leicht. - In alten Baumbeständen ist die Vielfalt der Vögel wesentlich höher. - Der Kleiber verklebt die Bruthöhlen anderer Vögel mit Lehm, um sie selbst zu nutzen.

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Quelle:
Unser Wald - Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald
1.‍ ‍Ausgabe, Januar/Februar 2012, Seite 4-6
Herausgeber:
Bundesverband der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e.V., Bonn
Redaktion: Meckenheimer Allee 79, 53115 Bonn
Telefon: 0228 / 945 98 30, Fax: 0228 / 945 98 33
E-Mail: unser-wald@sdw.de
Internet: http://www.sdw.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich
Bezugspreis: Jahresabonnement 17,50 Euro
einschl. Versandkosten und 7% MwSt.
Einzelheft: Preis 3,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2012