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SCHUTZGEBIET/765: NABU "Naturparadies Grünhaus" - Sanierung in der Niederlausitz (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 1/13
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Tundra der Niederlausitz
Zehn Jahre "Naturparadies Grünhaus".

von Iris Barthel



Wenn Stefan Röhrscheid sich umschaut, sieht es aus, als befände er sich Tausende Kilometer weiter östlich, in der kargen Tundra Russlands. Holpernd lenkt er seinen Jeep über karge, ausgewaschene Böden, trockene Gräser und tiefe Reifenspuren. Um die Illusion nicht allzu perfekt werden zu lassen, sieht er von jedem Punkt aus auch sie: die F60 - Symbol der ehemaligen Kohleregion Niederlausitz. Seit 1992 steht die Förderbrücke still. Ein Teil des "Kohlenkellers der DDR" wandelt sich seither, mithilfe des NABU auch zum Naturparadies.


Mit Ende der Brikettherstellung rund um Lauchhammer standen etliche "ausgekohlte" Flächen zum Verkauf. Auch für den Naturschutz waren es interessante Areale: Dicht an dicht liegende Abraumhalden, Rohböden, Tagebaugewässer und Trockenrasen versprachen Lebensraum für zahlreiche bedrohte Arten. Schon bald war die Idee eines Flächenkaufs geboren, für ein künftiges "Naturparadies Grünhaus" in NABU-Hand. So fand die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe schnell zahlreiche Spender und Paten, die sich mit für das Gebiet engagierten. Im August 2003 erwarb die Stiftung erste Teile der inzwischen rund 2.000 Hektar umfassenden ehemaligen Bergbauwüste.


Naturerlebnisse auf der Kippe

Wieviel sich seither getan hat, fällt selbst NABU-Projektleiter Stefan Röhrscheid schwer zu glauben. Während er über die karge, noch winterliche, Landschaft schaut, kommen ihm zahlreiche Erinnerungen: an Hirsche bei der Brunft, Steinschmätzer beim Brüten oder einen Seeadler, der versuchte, Kraniche zu jagen. "Da geht einem NABU-Menschen das Herz auf, wenn man sich vorstellt, dass sich hier eine ganze Landschaft entwickeln darf und nicht nur ein Biotop."

Seit Beginn verfolgt die Stiftung ein so einfaches wie klares Konzept: Ohne große Störungen soll sich die Natur frei entfalten. Während an einigen Stellen inzwischen ein Vorwald entstanden ist, setzt sich die Stiftung an anderen Stellen für den Erhalt von Rohböden ein. Auf den kargen Sandformationen, die an eine Miniatur des Grand Canyon erinnern, fühlt sich der Steinschmätzer wohl. Auch der Brachpieper liebt die weitläufigen Strukturen von Grünhaus. Vor allem Zugvögel suchen das neue Naturschutzareal auf. Seit 2005 ist es Vogelschutzgebiet, besitzt zudem den Status als Natura-2000-Gebiet.


Paradies auf Raten

Und so könnte Stefan Röhrscheid heute glücklich am Rande der ehemaligen Hochkippe stehen. Wären da nicht dumpf-metallische Geräusche, die von Weitem durch die Stille dringen. Sie verraten die Anwesenheit der Sanierer, die noch immer im NABU-Gebiet zu Gange sind. Spätestens 2007 hätten sie ihre letzten Runden drehen sollen. Doch heute, sechs Jahre später, schichten sie noch immer Erde und Ton auf, um die brüchige Gegend zu stabilisieren.

"Das Unglück von Nachterstedt war der erste Warnschuss", sagt Röhrscheid. Damals, im Sommer 2009, brach im 300 Kilometer entfernten Sachsen-Anhalt der Rand eines ehemaligen Braunkohle-Restlochs ab. Drei Menschen wurden verschüttet. "Die Sanierer gingen davon aus, so etwas sei hier in der Lausitz nicht möglich", sagt Röhrscheid. Doch kurz darauf kam es auch hier zu Rutschungen auf Flächen, die vormals als sicher galten. Berechnungen zeigten zudem: Das Grundwasser würde bis zu zwei Meter höher steigen als angenommen. Was sich für das Naturparadies als Glücksfall erwies - Senken füllten sich innerhalb kurzer Zeit und Tausende Krickenten sammelten sich - trieb den Sanierern Angstschweiß auf die Stirn: Angst vor Grundbruch.


Sicherheit geht vor

So kommt es, dass Stefan Röhrscheid noch heute an "Naturschutzgebiet"-Schildern vorbeifährt, neben denen der Hinweis "Sperrgebiet - Betreten verboten - Lebensgefahr" prangt. Doch selbst den langjährigen Eingriffen in das Gebiet vermag Röhrscheid Positives abzugewinnen: So hat sich die Stiftung gleich zu Beginn der Vertragsverhandlungen Mitspracherechte bei der Sanierung erkämpft. Ein wichtiger Schritt, denn durch das tägliche Drängen der NABU-Stiftung genießt der Naturschutz dadurch hohe Priorität bei der Sanierung. "Außerdem wird das Gelände an einigen Stellen in einen interessanten Anfangszustand zurückversetzt. Durch die Baggerarbeiten entstehen wertvolle Rohböden, auf denen sich Primärarten ansiedeln können", erklärt der Projektleiter.

Zehn Jahre, so schätzt er, werden die gesetzlich vorgeschriebenen Sanierungsarbeiten noch andauern. Einmal im Monat bietet er Führungen an, die die Dynamik und Entwicklung des Naturparadieses aufzeigen und ihre Auswirkungen auf die Pflanzen- und Tierwelt. Dabei hofft er, auch künftig möglichst viele Menschen dafür zu begeistern, die Entwicklung in Grünhaus zu begleiten - sei es beim Monitoring oder als Paten. Denn erst die zahlreichen Unterstützer sind es, die seinen Einsatz als "Anwalt der Natur" im Gebiet ermöglichen. Auch auf den ersten Besuch eines Wolfes wartet Röhrscheid, die Zeichen verdichten sich, dass es bald soweit sein könnte. Insgesamt wird Grünhaus grüner werden, die Seen schilfreicher, die Wälder ausgeprägter. "Das Gebiet wird sich ausdifferenzieren und positiv aus der Landschaft herausstechen", sagt der Projektleiter, als er den Jeep vom holprigen Gelände zurück auf die asphaltierte Straße lenkt. "Denn das ist kein Museum - das ist Natur".

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 1/13, S. 42 - 43
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2013