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SCHUTZGEBIET/628: Jasmund - Folgenreiches Mißverständnis (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 1/2010
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

NATIONALPARK
Jasmund
Folgenreiches Missverständnis

Severin Zillich


Die alten Buchen und berühmten Kreidefelsen rund um den Königsstuhl sind von erhabener Schönheit. Ungezählte Lobeshymnen sind auf diese einmalige Landschaft gesungen worden. Seit bald 20 Jahren genießt sie höchsten Schutz: in den Grenzen des Nationalparks Jasmund. Nur wer genauer hinsieht, muss erkennen, dass hier manches im Argen liegt.

Wer im Winterhalbjahr die Insel Rügen besucht und am Nordrand von Sassnitz in den Buchenwald eintaucht, hat es so schlecht nicht getroffen. Zwar sind die Tage kurz und das Wetter oft unbeständig. Auch schmückt kein Blattgrün mehr die hoch aufragenden Buchen, es hat sich zu Füßen der grauen Stämme in einen rostroten Teppich verwandelt. Doch diese Stille! Keine Spur von dem Gedränge, das hier spätestens zu Pfingsten einsetzt. Etwa 1,5 Mio. Besucher hat der kleinste deutsche Nationalpark alljährlich zu verkraften, und die konzentrieren sich vor allem am Königsstuhl. Rund um dieses Herzstück Jasmunds ist der Wanderweg breit ausgetreten. Und wo immer entlang der Kliffkante tolle Motive winken, vermag kein Geländer die fotografierenden Besucher zurückzuhalten. Der Trittschaden ist beträchtlich, und die winterliche Ruhephase zu kurz, um die Wunden wieder zu schließen.


So schön - und so unbekannt

Kurios: Die Kreidefelsen auf Rügen gehören zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten in unserem Land. Gleichzeitig ist Jasmund der unbekannteste aller deutschen Nationalparke. Ob das am Namen liegt? Nun: Die Tourismusbranche wirbt seit jeher nur mit Königsstuhl und Kreideküste. Und der Nationalpark selbst hat kaum Geld, um sich öffentlich zu präsentieren.

Hier also ein paar Eckdaten: Seit dem 1. Oktober 1990 sind im Osten der Halbinsel Jasmund 3.003 Hektar als Nationalpark geschützt. Das Kernstück bildet der größte geschlossene Buchenwald der deutschen Ostseeküste, die Stubnitz mit den Kreidekliffs und einem vorgelagerten Steinstrand (2.200 Hektar). Dazu kommen ein 500 Meter weit ins Meer reichender Wasserstreifen sowie 200 Hektar sonstige Lebensräume: die ehemaligen Quoltitzer Kreidebrüche im Westen, Wiesen, Moore und wenige Siedlungssplitter. Auch der mit 161 Metern höchste Punkt Rügens liegt im Park, der Piekberg. Landseitig grenzen intensive Landwirtschaft und Siedlungen an - eine Ausweitung des Schutzgebietes ist damit ausgeschlossen.


Alte Buchen - und?

Neben den spektakulären Kreidefelsen bildet der Wald das wichtigste Schutzgut des Nationalparks. Die Buche bestimmt weithin das Bild, an feuchten Stellen begleitet von Esche und Erle, an den Steilhängen von Ahorn oder Ulme. Kleine Naturwaldzellen werden seit über 50 Jahren nicht mehr angetastet, während sich die Steilhänge an der Küste von jeher der Bewirtschaftung entziehen. Die ältesten Buchen sind um die 250 Jahre alt. In ihrem Umkreis wirkt das meist verborgene Heer der Holzzersetzer. Vom Reichtum dieser Lebenswelt künden Pilze wie Zunderschwamm, Ästiger Stachelbart oder Buchenschleimrübling. Während der Baumbestand des Nationalparks relativ gut erfasst ist, datiert die letzte gründliche Vegetationsaufnahme von 1964.

Ähnliches gilt für die Fauna des Jasmunds. Nun ist zwar bekannt, welche Amphibien, Fledermäuse oder Vögel den Nationalpark bewohnen. Doch über so wertbestimmende Tiergruppen wie die Käfer weiß die Verwaltung fast nichts. Dabei ist eine regelmäßige Inventur der Tier- und Pflanzenwelt nötig, um die Entwicklung des jungen Nationalparks beurteilen und - wo anfangs noch nötig - steuern zu können. Hier wird die Unterfinanzierung des Nationalparks erneut sichtbar. Offenbar begreift die Landesregierung in Schwerin den Nationalpark zwar als Mittel des Marketings, nicht aber als eine Schatztruhe der Natur, in der sich das Leben möglichst unbeeinflusst vom Menschen entfalten soll - was seine eigentliche Bestimmung ist.


Das Kreuz mit der Jagd

Ganz deutlich wird dieses Missverständnis an einem Trauerspiel in vielen Akten, dessen Regie die Landesregierung führt. Im Mittelpunkt: große Mengen von Rot- und Damhirschen (letztere in den 70er Jahren von Jägern ausgewildert). Die Äcker jenseits der Parkgrenze bietet ihnen fast ganzjährig reichlich Nahrung. Geben diese einmal weniger her, halten sich die Tiere am Unterwuchs des Laubwaldes schadlos. Der Verbiss ist so stark, dass junge Buchen vielfach kaum hüfthoch werden. Noch schlechter vertragen Baumarten wie Wildkirsche, Berg- und Spitzahorn sowie die Krautschicht den Verbiss. Die bunte Decke der Frühblüher in nährstoffreichen Laubwäldern: Auf dem Jasmund ist sie Geschichte. Das so verbreitete Buschwindröschen: fast verschwunden. Vom einst hier blühenden Frauenschuh: keine Spur mehr. Zurück bleibt ein botanisch stark verarmter Wald, der sich kaum mehr verjüngen kann. Nur einige »Verbiss-Weisergatter« zeigen abgezäunt auf zehn mal zehn Metern, was hier ohne den immensen Wildverbiss sprießen würde.


Hirsche für die Touristen

Keine Frage, diese Situation wäre schon eines gut geführten Nutzwaldes unwürdig. Um wie viel mehr gilt dies für den Buchenwald im Nationalpark Jasmund! Was sagt der verantwortliche Leiter dazu? Er verweist auf die Erwartung vieler Besucher, Hirsche zu sehen, die seien ein Tourismusfaktor für die Region. Forstdirektor Siegfried Brosowski, seit 1996 Chef des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft, betreut seit einer Verwaltungsreform 2006 auch den Jasmund - obwohl er sich mehr als einmal fachlich disqualifiziert hat. Auf seine Kappe geht u. a., dass beide Nationalparke das FSC-Gütesiegel für nachhaltige Waldwirtschaft verloren, ein ganz beispielloser Vorgang, den der BUND in seinem »Schwarzbuch Wald« detailliert gewürdigt hat.

Dem Land Mecklenburg-Vorpommern ist also nicht nur die chronische Unterfinanzierung des Kleinods auf Rügen anzulasten. Es sieht auch seit Jahren tatenlos zu, wie der Ruf beider Nationalparke national und international Schaden nimmt. Im August geht der jetzige Parkleiter in Pension. Der BUND fordert Umweltminister Till Backhaus eindringlich dazu auf, für einen kompetenteren Nachfolger zu sorgen.

Bei aller Kritik: Ein Besuch des Nationalparks Jasmund lohnt sich, gerade zur Nebensaison. Am Königsstuhl hat der WWF das Infozentrum des Parks mit einer aufwendigen Multimedia-Ausstellung bestückt. Schade, dass hier das für die Zukunft existenzielle Thema »Wald und Wild« mit keiner Silbe erwähnt wird. Einer unserer grandiosesten Naturschauplätze hätte - nicht nur hier - mehr kritische Aufmerksamkeit verdient.


Details zu den Verstößen der Parkverwaltung finden Sie unter www.bund.net/schwarzbuch-wald (S. 20ff.).
Tipps, Infos und Angebote zum Nationalpark hält u.a. www.fahrtziel-natur.de bereit.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Kreideküste und Buchenwald bilden eine einzigartige Kulisse.
Offenbarungseid für die Nationalparkverwaltung: Im Unterwuchs prägen Bonsai-Buchen das Bild.
Bewuchs diesseits und jenseits des Gatters: mehr Waldweide als Nationalpark.
Von links nach rechts: Der Ästige Stachelbart zählt zu den schönsten Pilzen des Nationalparks. Dem Verbiss zum Opfer gefallen ist schon vor Jahren der prächtige Frauenschuh. An den Kreidefelsen brüten Mehlschwalben (und seit 2004 der Wanderfalke). www.delpho.de (Pilz, Mehlschwalbe)

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Quelle:
BUNDmagazin 1/2010, S. 28-29
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2010