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MASSNAHMEN/314: Austern zurück in der Nordsee (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Sommer 2021
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

AUSTERN
Austern zurück in der Nordsee

von Nicole Flöper


Überfischung führte zum Aussterben der europäischen Auster in der deutschen Nordsee. Derzeit soll die heimische Muschelart wieder angesiedelt werden. Wenn das gelingt, wäre es laut Expert*innen eine Sensation für die marine Artenvielfalt.

Woran denken Sie, wenn Sie das Wort "Auster" hören? An Sylt? An Essen für reiche Leute? Die Austern, die bei uns auf dem Teller landen, sind Pazifische Austern. Diese Art lässt sich einfach züchten. Die Europäische Auster dagegen, die früher im nord- und ostfriesischen Wattenmeer und in der Helgoländer Austernbank bis zu den küstenfernen Austerngründen der Deutschen Bucht vorkam, gilt in den deutschen Gewässern seit 1950 als ausgestorben. Schon 1920 waren die Austernbestände massiv überfischt und konnten trotz einiger Versuche nicht gerettet werden. Austernbänke der Europäischen Auster bestehen heute nur noch vereinzelt in Großbritannien, Irland, Frankreich und Dänemark. Diese Entwicklung gefährdet die biologische Artenvielfalt in der Nordsee.

Einmaliges Ökosystem - Austern bilden aufgrund ihres Schalenwachstums so genannte biogene Riffe. Das sind Riffe, die sich im Laufe von Jahrhunderten durch den kontinuierlichen Aufwuchs junger Austern auf vorhandenen Austernschalen, und durch Sedimentablagerungen innerhalb der Zwischenräume, entwickeln. Austernriffe bieten Nahrung, Laichgrund, Kinderstube, Versteck- und Schutzraum für zahlreiche Arten: beispielsweise Seenelken, Meeresschnecken, Moostierchen, Schwämme, Krebse und viele Fischarten. Sie verbessern die Wasserqualität durch Filtration, verringern toxische Algenblüten, festigen lose Sedimente, dienen damit dem Küstenschutz und sorgen insgesamt für eine Wertsteigerung des umliegenden Ökosystems. "In den vergangenen Jahren ist ein globaler Rückgang der Austernriffe um mehr als 85 Prozent zu verzeichnen", sagt Bernadette Pogoda, Projektleiterin am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) des ersten Wiederansiedlungsprojektes Europäischer Austern in einem Meeresschutzgebiet in der offenen Nordsee.

Austern im Borkum Riffgrund - 2016 startete das Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben zur Wiederansiedlung der Europäischen Auster in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der deutschen Nordsee zunächst mit Voruntersuchungen. Initiiert und gefördert wird das Projekt vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesumweltministeriums. Als Standort für ein erstes Pilotprojekt wurde das Meeresschutzgebiet Borkum Riffgrund festgelegt. Dies erfüllt die historischen, ökologischen und logistischen Auswahlkriterien. "Die Europäische Auster ist neben Krankheiten und Klimaveränderungen vor allem aufgrund der Austernfischerei mit Bodenschleppnetzen ausgestorben", so Pogoda. Weibliche Austern strudeln die männlichen Spermien ein. Die Larven siedeln sich auf den Austernschalen an. "Fehlen diese, da sie beispielsweise durch bodenzerstörende Fangmethoden zerstört wurden, finden sie keinen Halt oder es kann gar nicht mehr zur Befruchtung kommen, da weibliche und männliche Austern zu weit voneinander entfernt sind", erklärt die Meeresbiologin.

Ausbringung der Austern in der Nordsee - Die Austernriffflächen wurden in etwa 30 Meter Tiefe auf dem Meeresboden angelegt: Auf dem sandigen Untergrund wurden durch das Tauchteam lebende Austern direkt oder auf Kalksteinen und Sandsteinblöcken ausgebracht. Zusammen mit der jeweiligen Unterlage bilden diese das Pilotriff. "Weitere Flächen sollen zukünftig angelegt werden, wobei berücksichtigt wird, auf welchen Unterlagen sich die Austern im Offshore-Bereich am besten entwickeln. Solche Maßnahmen bilden einen wichtigen Beitrag für das Management und das Erreichen der Schutzziele der küstenfernen Meeresschutzgebiete in der deutschen AWZ, für die das BfN zuständig ist", so Pogoda. Zweimal im Jahr fährt das Team raus, um das Riff zu kontrollieren, einmal mit Unterwasserkameras und Sensorik, einmal für Taucharbeiten.

Know-how zur Aufzucht ist verloren gegangen - Für die langfristige Wiederansiedlung ist auch der Aufbau einer Austernaufzuchtanlage wichtig, der im Rahmen eines Projektes im Bundesprogramms Biologische Vielfalt gefördert durch das BfN mit Mitteln des BMU am AWI-Standort auf Helgoland erfolgt. "Das Know-how zur Aufzucht Europäischer Austern ist verloren gegangen. Früher wurde vor allem Wert darauf gelegt, alle Austern gleich groß und schwer zu züchten, um sie besser verkaufen zu können. Im Gegensatz zu wirtschaftlichen Kriterien geht es im Naturschutz aber um genetische Vielfalt. Wir brauchen daher langsames Wachstum, schnelles Wachstum, große, kleine und verschiedene Formen der Austern", so Pogoda.

Erste Ergebnisse, ob sich die Austern gut entwickelt haben, sollen Ende Mai vorliegen. Das Team um Pogoda hofft, dass sich dann die im Juli 2020 ausgebrachten Austern in ihrem neuen Zuhause eingerichtet haben.

Austernriffe bieten Nahrung, Laichgrund, Kinderstube, Versteck- und Schutzraum für zahlreiche Arten.

Info
Die Austernriffe werden auch Bestandteil der NABU-Vr-Welt "NordseeliFe" sein. Diese soll im Laufe des Jahres veröffentlicht werden und unter anderem als Lernplattform dienen.

NABU-Forderungen
Im Mai 2020 wurden die Managementpläne für die Umsetzung der Naturschutzvorgaben des Bundes für die Nordseeschutzgebiete veröffentlicht. Sie schaffen unter anderem einen Rahmen, um Schifffahrt und Rohstoffabbau in den entsprechenden Gebieten besser zu regulieren. Klimawandel und Artensterben sind seit Jahrzehnten auch in der Nord- und Ostsee angekommen. Doch damit Schweinswale, Seetaucher und die artenreichen Kaltwasserriffe sich von der Übernutzung wirklich erholen können, müssen schnell wirksame Maßnahmen folgen. Der NABU fordert ungenutzte Zonen für die Natur in den Schutzgebieten, eine Wiederherstellungsoffensive für zerstörte Biotope und das Ende schädlicher Fischereipraktiken. Die Bundesregierung muss den Meeresnaturschutz in Nord- und Ostsee konsequent umsetzen und dafür auch finanziell und personell die Grundlagen schaffen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Junge europäische Austern wurden 2020 zum Pilotriffaufbau im Meeresschutzgebiet Borkum Riffgrund ausgebracht. Zuvor wurden die Saataustern in der Aufzuchtanlage auf Helgoland gehältert.
- Saataustern sind nur wenige Milimeter groß, können in der deutschen Nordsee dann aber mit der Zeit zu großen Riffen am Meeresboden zusammen wachsen. Der Grundstein für ein erstes Pilotriff in der deutschen Nordsee wurde dafür 2020 gelegt.

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Quelle:
Naturschutz heute - Sommer 2021, Seite 36-37
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 7. Dezember 2021

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