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JAGD/044: "Gewissensprüfung" für jagdunwillige Grundeigentümer? (NABU SH)


NABU Landesverband Schleswig-Holstein - 15. Januar 2013

NABU fordert rechtskonforme Umsetzung des Jagdurteils des EGMR

"Gewissensprüfung" für jagdunwillige Grundeigentümer?



Neumünster, 15. Januar 2013: Mit einem wegweisenden Urteil entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg am 26. Juni 2012, dass Grundeigentümer nicht verpflichtet werden dürfen, gegen ihren Willen die Jagdausübung auf eigenen Grundstücken zu dulden (Urteil des EGMR vom 26. Juni 2012 - 9300/07). Auf der Grundlage der europäischen Menschenrechtskonvention erklärte der EGMR die diesbezüglichen Bestimmungen des deutschen Jagdrechts für nichtig. Für die Bundesrepublik Deutschland ist diese Entscheidung verbindlich, das deutsche Jagdrecht muss entsprechend geändert werden. Doch die Bundesregierung verweigert in ihrem aktuellen "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften" vom 27. November 2012 trickreich die rechtskonforme Umsetzung. Der NABU fordert daher die schleswig-holsteinische Landesregierung auf, von der gegebenen Abweichungsmöglichkeit Gebrauch zu machen und im neuen Landesjagdrecht das Urteil vollständig umzusetzen.

Schwerwiegende Grundrechtsverletzungen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte EGMR hat in seinem Urteil unzweideutig zum Ausdruck gebracht, dass die Bestimmungen des deutschen Jagdrechtes Grundrechtsverletzungen darstellen, die keine 'Lappalien' sind, und dem Kläger daher auch Schadenersatz zugesprochen. Der vorgelegte Novellierungsentwurf des zuständigen Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) deckt sich jedoch kaum mit den vom EGMR festgestellten Ansprüchen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Bundesregierung will offensichtlich potentielle Antragsteller vor allem abschrecken und das bis heute mit feudalistischen Privilegien ausgestattete, aus dem 19. Jahrhundert stammende Jagdrecht rechtswidrig verteidigen. So erklärt sich das mangelnde Engagement der Bundesregierung für eine rechtskonforme Umsetzung, denn der Entwurf ignoriert mehrfach Setzungen des Straßburger Urteils des EGMR:

  • Für die jagdliche Befriedigung sollen danach ausschließlich ethische Gründe gelten, die zudem noch auf eine 'generelle Ablehnung' der Jagd reduziert werden. Fachlich motivierte Ablehnungen scheiden danach aus. Zur Feststellung der ethischen Gründe von Antragstellern soll offensichtlich eine Art "Gewissensprüfung" eingeführt werden. Details zu Art und Umfang des an die westdeutsche Praxis der früheren Kriegsdienstverweigerung erinnernden Verfahrens liegen aber offensichtlich noch nicht vor.
  • Das in Artikel 1 der Menschenrechtskonvention herausgestellte "Recht auf Achtung des Eigentums" umfasst zudem nicht allein die Achtung ethischer Überzeugungen des Eigentümers. Soweit nicht ein gravierendes öffentliches Interesse entgegen steht oder Dritten kein Schaden zufügt wird, muss der Eigentümer über den Umgang mit seinem Eigentum im Grundsatz selbst bestimmen können. Die Wildfolge von angeschossenen Tieren ist dagegen schon aus höherrangigen tierschutzrechtlichen Gründen erforderlich und wird durch das Urteil nicht angefochten.
  • Im krassen Widerspruch zur Menschenrechtskonvention, die die Eigentumsrechte für "jede natürliche oder juristische Person" betont, werden zudem Stiftungen und Naturschutzverbände als Nutznießer ausgeklammert. Dem Flächenmanagement von Naturschutzorganisationen liegt jedoch per se auch eine ethische Motivation zugrunde. Gleiches gilt für Religionsgemeinschaften: Diesen in Fragen ihres Eigentums das Recht auf Berücksichtigung ethischer Aspekte abzusprechen, wäre in einem vergleichbaren Fall absurd.

Das offensichtlich rechtswidrige Verhalten der Bundesregierung hat seinen Hintergrund: CDU, CSU und FDP fühlen sich der konservativen, im Deutschen Jagdschutzverband (DJV) organisierten Jägerschaft eng verbunden und sehen diese als verlässlichen Teil ihrer Wählerschaft. DJV und seine Landesverbände, u.a. der Landesjagdverband Schleswig-Holstein, lehnen jede Stärkung der Grundeigentumsrechte verbissen ab. Der Entwurf ist das Ergebnis dieser unheiligen Allianz.

Panikmache vor befriedeten Gebieten

Die in Jagdkreisen verbreitete Angst vor jagdfreien Gebieten als eine Ursache für den irrationalen Widerstand ist Folge der Panikmache vor befriedeten Gebieten als "Brutstätten für Schadtiere". Eine natürliche Dynamik ohne Jagdeinfluss zuzulassen wird abgelehnt. In der Praxis haben sich diese Ängste jedoch als unbegründet erwiesen. Der NABU fordert daher die Bundesregierung auf, den Entwurf im Sinne des EGMR-Urteils zu überarbeiten. Sollte dies nicht erfolgen, sind letztlich die Länder gehalten, von ihrem Abweichungsrecht Gebrauch zu machen.

Weitere Informationen, Hintergründe, Stellungnahmen und der Gesetzentwurf unter www.NABU-SH.de

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Quelle:
Presseinformation, 15.01.2013
Herausgeber: Naturschutzbund Deutschland e.V.
NABU Schleswig-Holstein
Färberstr. 51, 24534 Neumünster
Tel.: 04321/53734, Fax: 04321/59 81
E-mail: info@NABU-SH.de
Internet: www.NABU-SH.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2013