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FORSCHUNG/264: Spurensuche in schwerer See - Gasaustausch mit der Atmosphäre (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 2/2009

Spurensuche in schwerer See

Von Jonathan Williams


Welche Gase aus dem Meer in die Luft entweichen, spielt eine Rolle im Klimawandel, ist aber noch kaum erforscht. Jonathan Williams und seine Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz haben die Emissionen auf einem Forschungsschiff untersucht.


Obwohl unser Planet überwiegend von Wasser bedeckt ist, heißt er Erde. Vielleicht, weil wir so wenig über die Weltmeere wissen und sie erst seit relativ kurzer Zeit erforschen können. Der Satz von Issac Newton, "Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean", trifft es ziemlich genau. Eines der Gebiete, auf dem unser Wissen große Lücken aufweist, ist der Gasaustausch des Ozeans mit der Atmosphäre - besonders, wenn man bedenkt, was über vergleichbare Prozesse an Land bekannt ist. Dabei fehlt uns dieses Wissen, denn dass Meerwasser Gase aufnehmen oder abgeben kann, spielt eine bedeutende Rolle in der globalen Atmosphärenchemie. Gerade um diese Prozesse und ihre Auswirkungen im Klimawandel besser berücksichtigen zu können, müssen wir sie eingehender untersuchen.

Besonders gering ist die Kenntnis über die Gruppe der organischen, also kohlenstoffhaltigen Verbindungen, die leicht flüchtig sind, also schnell verdunsten - in Fachkreisen als volatile organic compounds, kurz VOC bezeichnet. Sie werden vor allem vom Phytoplankton, das zu den Pflanzen zählt, in die Luft abgegeben. Diese Stoffe können einen gravierenden Einfluss auf Schlüsselverbindungen der Atmosphäre wie etwa Ozon haben. Welche Rolle die Meere spielen, ist für viele der VOCs noch kaum erforscht.


Welche Stoffe geben Meerespflanzen ab?

Jährlich wandeln Landpflanzen weltweit rund 56 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, der als Kohlendioxid in der Atmosphäre vorliegt, in Biomasse um. Diese pflanzliche Masse bringt schätzungsweise 1000-mal mehr auf die Waage als die gesamte Weltbevölkerung.

Obwohl die Masse der Pflanzen in den Ozeanen nur ein Hundertstel der Masse der Landpflanzen erreicht - unter anderem weil es keine Bäume gibt - nehmen sie mit 49 Milliarden Tonnen etwa gleich viel Kohlenstoff auf. Welche anderen Stoffe in welchen Mengen ausgetauscht werden, können Forscher größtenteils nur ahnen. Es ist also dringend notwendig, die Grenzschicht zwischen Meer und Atmosphäre zu erforschen, um die globale Atmosphärenchemie der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verstehen.

Um die offenen Fragen zum Thema Atmosphäre-Meeres-Grenzschicht in Angriff nehmen zu können, finanzierte die Europäische Union für den Zeitraum 2005 bis 2008 mit einem Budget in Höhe von zwei Millionen Euro ein Forschungsprojekt mit dem Titel Oomph, was im Englischen so viel wie Leidenschaft oder Schwung bedeutet, hier aber vor allem für Organics over the Ocean Modifying Particles in both Hemispheres steht. Das Oomph-Projekt vereinte ein internationales Konsortium von neun Forschergruppen aus Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Belgien und Ungarn und wurde von meiner Gruppe am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz konzipiert und koordiniert.

In dem Projekt untersuchten wir organische Verbindungen - von ihrer Produktion durch Phytoplankton im Meerwasser über den Transfer in Gas-und Aerosol-Phasen bis in die oberen Luftmassen. Ein wesentlicher Teil der Arbeit war mit einem kleinen Abenteuer verbunden: einer Fahrt an Bord des französischen Forschungsschiffes Marion Dufresne durch die Roaring Forties. Dieser Teil des südlichen Atlantiks zwischen 40 und 50 Grad südlicher Breite verdankt seinen Namen den brüllenden Winden, die oft in Orkanstärke über ihn hinwegfegen. Die Schiffspassage sollte uns von Südafrika ins chilenische Feuerland bringen und durch eine besonders üppige Blüte von Phytoplankton führen.


Planktongase im Laborversuch

Doch ehe wir unsere Messgeräte an Bord des Schiffes installierten, bestimmte das Oomph-Team im Labor, welche spezifischen organischen Emissionen tatsächlich von Phytoplankton stammen und wie sie von Licht und Temperatur abhängen. Auf diese Weise wollten wir bereits im Vorfeld ermitteln, auf welche organischen Komponenten wir während der Schiffsmesskampagne aller Voraussicht nach stoßen würden.

Das Team wählte deshalb eine Anzahl weltweit reichlich vorhandener Phytoplankton-Arten aus und züchtete sie als Monokulturen in Inkubationskammern. Unter verschiedenen Tag-Nacht-Lichtzyklen strömte Reinluft durch die Kammern der Kulturen und spülte alle vom Phytoplankton abgegebenen Gase aus der Kammer in Richtung der Detektoren. Interessanterweise gaben alle gemessenen Phytoplankton-Kulturen Kohlenmonoxid ab, wenn auch in verschiedenen Mengen. Die Pflanzen veränderten ihre Kohlenmonoxid-Emissionen eindeutig mit dem Lichteinfall. Daher wussten wir, dass Phytoplankton während der Tageslicht-Phasen Kohlenmonoxid aus den Ozeanen in die Atmosphäre abgibt.

Das Team wies auch das VOC Isopren nach, das am häufigsten als Emission von Pflanzen gemessen wird. Besonders viel Isopren gaben Kulturen ab, die Cyanobakterien enthielten, eine der ältesten und widerstandsfähigsten Gruppe von Bakterien, die auf unserer Erde vorkommen. Cyanobakterien betreiben Photosynthese und gehören zum Phytoplankton. Das Labor-Inkubations-Experiment lieferte eine weitere Überraschung, nämlich den ersten Nachweis, dass Monoterpen im Meer produziert wird. Genau wie Isopren sind Monoterpene bereits als Emission von Pflanzen gemessen worden, allerdings noch nicht von Phytoplankton. Einige der Monoterpen-Verbindungen haben wir später auch in der Luft über dem offenen Meer nachgewiesen.

Nach den Laborexperimenten war aber immer noch nicht der Zeitpunkt gekommen, in See zu stechen. Vorher wollten wir noch eine Prognose abgeben, mit welchen Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen wir während der Messkampagne auf dem Ozean rechnen konnten. Zu diesem Zweck kombinierte unser Team die VOC-Emissions-Daten verschiedener Phytoplankton-Spezies mit neuen Satellitenbildern der globalen Phytoplankton-Verteilung.

Durch die Verbindung der Emissionsraten und der Emissionsverteilung in einem globalen Modell konnten wir die globale Emission ausgewählter Verbindungen aus dem Meerwasser abschätzen. Auf diese Weise haben wir bewiesen, dass die jährliche Menge Isopren, die aus dem Meer entweicht, zwischen 0,31 und 1,9 Millionen Tonnen beträgt und somit weit unter den 500 Millionen Tonnen liegt, die Landpflanzen abgeben.

Diese Ergebnisse lieferten einen wertvollen Beitrag in der hitzigen Diskussion um eine im Jahr 2006 vorgestellte Veröffentlichung über Satelliten-Messungen. In dieser Studie wird die Meinung verfochten, dass Meeres-Isopren aus einer Phytoplankton-Blüte im Südatlantik die Eigenschaften der über ihr befindlichen Wolken beeinflusst hat. Das Oomph-Team vertritt aufgrund seiner Erkenntnisse dagegen die Auffassung, dass zu wenig Isopren aus dem Meer aufsteigt, um auf die Wolkenbildung Einfluss zu nehmen. Für die beobachteten Veränderungen muss unserer Meinung nach also eine andere Erklärung gefunden werden.


Testfahrt vor der Westküste Afrikas

Nun konnten wir endlich mit den Vorbereitungen für unsere Schiffsmesskampagne beginnen, die zeigen sollte, ob sich unsere Ergebnisse aus dem Labor und aus unserem Modell auch in der Natur bestätigen ließen. Vor der eigentlichen Messkampagne im südlichen Atlantik unternahmen wir jedoch noch eine Fahrt, um die Funktion der neu entwickelten Instrumente zu prüfen. Sie führte uns durch die ruhigen Gewässer des tropischen Atlantiks vor der Westküste Afrikas.

Die Auswertung der Tests ergab, dass die ideale Region für effiziente Messungen von Meeresemissionen folgende drei Kriterien erfüllen muss: Sie sollte frei sein von terrestrischen Einflüssen aus der Umgebung, hohe Windgeschwindigkeiten und ein hohes, leicht zu lokalisierendes Phytoplankton-Vorkommen aufweisen. Die Roaring Forties bieten im südlichen Sommer damit die optimalen Bedingungen.

Unsere Messkampagne an Bord der Marion Dufresne fand zwischen Januar und März 2007 statt und führte von Kapstadt in Südafrika nach Puntas Arenas in Chile und zurück ins südafrikanische Durban. Zu dieser Jahreszeit bildet sich im Südatlantik eine großflächige Phytoplankton-Blüte, die von Satelliten aus betrachtet einer riesengroßen Blume gleicht.


Forschen auf wankendem Untergrund

Zugleich gibt es kaum eine geeignetere Gegend auf dieser Erde als den Südlichen Atlantischen Ozean, wenn man nach absolut reiner Luft sucht - weit weg vom Festland und menschlichen Aktivitäten. Und auch die starken Winde sind willkommen, weil sie den Austausch von Spurengasen zwischen Ozean und Atmosphäre fördern. Allerdings wachsen sich diese Winde oft zu orkanartigen Stürmen aus, was uns allen völlig neue Arbeitserfahrungen bescherte: Nicht nur, dass wir alle Geräte sorgfältig festzurren mussten. Jeder Handgriff wurde auf dem rollenden Schiff zum Balance-Akt. Und zumindest am Anfang überwachte mancher von uns seine Messungen mit fahler Gesichtsfarbe. Nicht die Ergebnisse trieben uns die Blässe ins Gesicht, sondern die Seekrankheit, die im Laufe der Fahrt fast jeden ein paar Tage lang befiel.

Die Wellen türmten sich hin und wieder haushoch vor uns auf, und unser Schiff schaukelte so heftig, dass der ein oder andere auch schon mal vom Stuhl fiel. Sich unter solchen Bedingungen raus auf das Deck oder gar zu dem Mast am Bug zu wagen, auf dem wir die Einlassöffnungen für unsere Analysegeräte montiert hatten, war uns natürlich per Kapitänsbefehl verboten.

Egal ob beim Essen, beim Gang über Deck oder beim Basketballspielen im Laderaum des Schiffes, bei dem wir wegen des Auf und Ab des Schiffes oft ins Bodenlose zu springen meinten - unser Alltag geriet gehörig ins Wanken. Trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen und der einen oder anderen technischen Schwierigkeit, über die wir hinwegimprovisieren mussten, sammelten wir fleißig Daten.

Ehe wir in das Gebiet der Algenblüte gelangten, belegten die Messungen, wie rein die Luft in dieser Meeresgegend ist. So hat das Team während der Fahrt extrem wenige terrestrische Emissionen wie Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid festgestellt. Die Messergebnisse der unbelasteten Luft lieferten den Hintergrund für die Untersuchungen über der Planktonblüte. Als wir diese Region erreichten, sahen wir schon von Deck aus, dass sich das Wasser plötzlich grün färbte. Gleichzeitig zeigten die Messungen vieler Komponenten plötzlich extreme Peaks.

Wie von den Laborexperimenten erwartet, waren auch innerhalb der Blüten-Region im Meerwasser erhöhte Kohlenmonoxid-Werte zu messen. Zudem haben wir Isopren und - zum ersten Mal - Monoterpene nachgewiesen, beides Stoffe, die die regionale Photochemie in erheblichem Maße beeinflussen können. Das schwefelhaltige Dimethylsulfid (DMS) hat unser Team im Überfluss gemessen. Des Weiteren identifizierten wir zahlreiche halogenhaltige Komponenten.


Begegnung mit einer Fischereiflotte

Interessanterweise änderte sich die Zusammensetzung der VOCs, als das Schiff die Blüte durchquerte. Das Gleiche galt für Aerosole. Elektronenmikroskop-Bilder von Aerosolen aus diesem Gebiet zeigten auf Meersalz-Partikeln geleeartige faserige Klumpen mit deutlich mehr organischem Material als außerhalb der Blüte. In den Aerosolen ermittelten wir Methansulfonsäure, ein Oxidationsprodukt von DMS. Die Änderungen der Gas- und Aerosolzusammensetzung lassen sich mit einer unterschiedlichen Phytoplankton-Verteilung, die wir auf unserer Fahrt beobachteten, in Verbindung bringen.

Obwohl wir unsere Route durch eine der entlegensten und unwirtlichsten Gegenden der Welt legten, sind wir dem Einfluss menschlicher Aktivitäten nicht entronnen - das scheint auf der Erde im 21. Jahrhundert beinahe unmöglich. Gerade als wir am 2. Februar 2007 eine Hochchlorophyll-Region durchquerten, begegnete die Marion Dufresne etwa bei 45 Grad südlicher Breite und 59,3 westlicher Länge völlig unerwartet einer großen Fischereiflotte von etwa 150 bis 200 Schiffen. Diese Flotte fing, überwiegend nachts, Tintenfische und setzte zum Ködern der Kalmare eine riesige Zahl sehr leistungsfähiger Lampen ein.

Diese beleuchtete Flotte ist so hell, dass sie sogar auf Satellitenbildern leicht zu erkennen ist. Dafür erzeugt die Flotte mit ihren Dieselmotoren etwa 200 Megawatt Strom - so viel wie ein kleines Kraftwerk. In einer Region, die durch die natürlichen Emissionen von Phytoplankton-Blüten geprägt ist, stellten die Schiffe daher eine starke Quelle anthropogener Gase, vor allem von Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid, dar.


Ozon aus Schiffsemissionen und Planktongasen

Obwohl das Ziel der Oomph-Schiffskampagne in der Untersuchung natürlicher Emissionen bestand, verhalf uns dieses zufällige Zusammentreffen zu einer weiteren interessanten Erkenntnis: Mit einem auf Ozeanmessungen abgestimmten Atmosphärenchemie-Modell wiesen wir nach, dass dort viel Ozon entsteht, wo Schiffsemissionen und die natürlichen Emissionen aus der Phytoplankton-Blüte aufeinandertreffen. Ein nicht zu unterschätzendes Problem: Denn Fischfang findet besonders in phytoplanktonreichen Regionen statt, in denen die Fische reichlich Nahrung finden. Daher müssen wir in unseren Modellen der Atmosphärenchemie künftig berücksichtigen, wie die Emissionen des Phytoplanktons und der Schiffe zusammenspielen.

Am Ende der rund sechswöchigen Messungen an Bord der Marion Dufresne - knapp drei Wochen auf der Hinfahrt und etwas länger auf der Rückfahrt - hatten wir eine große Menge wertvoller Daten gesammelt. Zusammen mit den Untersuchungen im Labor, den Modellierungen und den Satellitenmessungen verraten sie uns viel über die flüchtigen organischen Substanzen, die aus dem Meer entweichen. So hat die im Oomph-Projekt geleistete Pionierarbeit viele Prozesse, die organische Verbindungen beeinflussen, erfolgreich charakterisiert. Das entschädigt für die oft unwirtlichen Bedingungen an Bord ebenso wie die Begegnungen mit Walen und Eisbergen, die dieser Forschungsfahrt einen ganz besonderen Reiz gaben.


Glossar

Phytoplankton
Umfasst die Planktonarten, die Photosynthese betreiben. Es bildet das erste Glied der Nahrungskette in Gewässern.

VOC
Volatile Organic Compound; zu den flüchtigen organischen Verbindungen zählen neben Methan aus Mooren, Reisanbau und Rinderhaltung auch Spuren von Lösungsmitteln und Verbrennungsrückstände von Motoren sowie Isopren und Terpene, die von Pflanzen abgegeben werden.

Aerosole
Tröpfchen oder feste Teilchen, die in der Luft schweben und bei chemischen Prozessen in der Atmosphäre sowie bei der Wolkenbildung eine große Rolle spielen.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 2/2009, Seite 81-86
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2009