Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → LEBENSRÄUME


EUROPA/135: Flüsse und Seen in Gefahr - Finger weg von der Wasserrahmenrichtlinie (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2018

Unsere Flüsse und Seen sind in Gefahr
Finger weg von der Wasserrahmenrichtlinie!

von Beatrice Claus


Flüsse und Seen sind so etwas wie die Herzen unseres Wasserkreislaufs und zudem tief in unserem kulturellen Erbe verankert. So begründen Ritter, Drachen und Jungfrauen den Mythos Rhein. Wahrhaft göttlicher Natur ist die Donau - ihr Name leitet sich von einem antiken Flussgott ab. Doch unseren Flüssen und Seen geht es alles andere als "göttlich". Im Gegenteil. Knapp 94 Prozent der deutschen Flüsse und 79 Prozent der natürlichen Seen sind derzeit in keinem guten ökologischen, gar 100 Prozent in keinem guten chemischen Zustand. Dabei schreibt die Europäische Wasserrahmenrichtlinie vor, dass alle Gewässer in der Europäischen Union (EU) diesen bis spätestens 2027 erreichen müssen. Ein Ziel, das Deutschland nach heutigem Stand der Dinge meilenweit verfehlen wird.


Die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) wurde im Jahr 2000 von den EU-Mitgliedstaaten verabschiedet. Die europäische Wasserpolitik wurde damit grundlegend reformiert. Erstmals werden Gewässer (Flüsse, Seen, Übergangsgewässer, Grundwasser, Küstengewässer) als Ökosysteme verstanden und erstmals werden Ziele für einen besseren Zustand dieser mit konkreten Fristen beschrieben.

Zentrale Teile der Richtlinie sind ein Verschlechterungsverbot und eine Verbesserungspflicht. So müssen für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa Lösungen gefunden werden, die nicht zu einer weiteren Verschlechterung des ökologischen Zustands der Wasserkörper führen. Zudem wird eine systematische Verbesserung des Zustands aller Gewässer gefordert. In 3 6-jährigen "Bewirtschaftungszyklen" sollen diese bis spätestens 2027 in einem "guten" ökologischen und chemischen Zustand sein. Für Grundwasser ist ein guter mengenmäßiger und chemischer Zustand zu erreichen.

Die WRRL ist damit weltweit ein positives Beispiel für eine moderne Wasserpolitik. Gewässer werden als länderübergreifende Einheiten verstanden, für welche die internationale und nationale Politik Hand in Hand zuständig ist.

Mangelnder Gewässerschutz in den Bundesländern
Ein Vergleich der Umsetzung der WRRL in den Bundesländern in Deutschland hat gezeigt, dass in allen Ländern ein großer Handlungsbedarf zur Verbesserung der Gewässer besteht.[1] Dabei wird gegenübergestellt, in welchem Umfang die ökologischen und chemischen Ziele der Oberflächengewässer erreicht wurden, sowie die Ziele für den mengenmäßigen und chemischen Zustand des Grundwassers.

Zu den 3 besten Bundesländern bei der Erreichung der Ziele der WRRL in Deutschland gehören Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Am schlechtesten wurde die WRRL in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Sachsen umgesetzt.

Gründe für die weitreichende Verfehlung der Ziele der WRRL sind die hohen Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft, die flächendeckende Überschreitung der Umweltqualitätsnormen für Schadstoffe wie Quecksilber und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die fehlende Durchgängigkeit in Fließgewässern und die hydromorphologischen Veränderungen. Schuld sind vielfältige Nutzungsansprüche und eine Verschleppungstaktik der Politik. Zu lange wurde weggesehen, wenn Industrie und Landwirtschaft auf Kosten unseres Wassers und der Artenvielfalt wirtschafteten.

Heute werden bereits 36 Prozent der Grundwasserkörper (GWK) vor allem aufgrund ihrer zu hohen Nährstoffbelastung als "schlecht" eingestuft. Bei 74 Prozent dieser GWK ist die Nitratbelastung aus der Landwirtschaft die Ursache für die Zielverfehlung. Nach aktueller Einschätzung wird davon ausgegangen, dass sich aufgrund des steigenden Tierbestandes und des Anbaus nachwachsender Rohstoffe auf ehemals brachliegenden Flächen in einigen Regionen Deutschlands der Nitratgehalt im Grundwasser erhöhen wird.

Eine der Hauptursachen für die Belastung der Gewässer mit Quecksilber ist die Verbrennung von Kohle, bei der Quecksilber in die Atmosphäre freigesetzt wird. Durch Niederschläge gelangt dieses dann in die Gewässer.

Seen und Küsten
Inwieweit die ökologischen Ziele für Seen, Küsten- und Übergangsgewässer erreicht wurden, ist aus verschiedenen Gründen nicht in der Bewertung des Gesamtrankings berücksichtigt: In einigen Bundesländern gibt es keine Seen, die nach der WRRL bewertet werden müssen, in anderen liegen keine Bewertungen für den ökologischen Zustand vor und wieder in anderen keine Einstufungen als "erheblich veränderte" oder "künstliche Wasserkörper". 26,3 Prozent von 732 Seewasserkörpern erreichen den "guten" oder "sehr guten ökologischen Zustand" bzw. das "gute ökologische Potenzial".

Nur 5 von 16 Bundesländer sind verantwortlich für Küsten- und Übergangsgewässer. In keinem der betroffenen Bundesländer befindet sich ein solcher Wasserkörper in einem "guten" oder "sehr guten" ökologischen Zustand oder Potenzial. Mit Blick auf die unterstützenden Qualitätskomponenten wird deutlich, dass vor allem der Stickstoffgehalt dazu beiträgt, dass die Gewässerbiologie keinen "guten Zustand" erreichen kann. Bei den Übergangsgewässern ist die Bewertung der Wirbellosen (Makrozoobenthos) für die Zielverfehlung ausschlaggebend. Eine wesentliche Ursache ist hier der Ausbau der Flussunterläufe zu Schifffahrtstraßen.

Die jahrzehntelange Nutzung der Gewässer unter ingenieurstechnischen Gesichtspunkten hat dazu geführt, dass sich die meisten Gewässer weit von ihrem natürlichen Zustand entfernt haben. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, weshalb trotz zum Teil erheblicher Anstrengungen vieler Bundesländer die Ziele der WRRL flächendeckend verfehlt werden. Um den Schaden aus der Vergangenheit wieder zu beheben sind daher sehr viele und auch große Maßnahmen notwendig. Allein die Durchgängigkeit der Fließgewässer in der Bundesrepublik ist derzeit durch etwa 200.000 Querbauwerke unterbrochen. In den deutschen Bundeswasserstraßen gibt es mehr als 340 Stauanlagen. Nur in Einzelfällen besteht hier eine ausreichende Fischdurchgängigkeit. Insgesamt ist bei mehr als der Hälfte der Fließgewässer in Deutschland eine Durchgängigkeit erst wiederherzustellen. Anhand dieser Zahlen wird die Größenordnung der Anzahl an notwendigen Maßnahmen allein für die Wiederherstellung der Fischwanderwege deutlich. Weitere Maßnahmen zur Wiederherstellung natürlicher Laichhabitate und Lebensräume sind zusätzlich notwendig.

Gefahr: Verwässerung durch 'Fitness Check'
Für die Erreichung der Ziele der WRRL ist zunächst der politische Wille von Bund und den Ländern die Voraussetzung, damit ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen bereitgestellt und die Ziele der WRRL in die Agrar-, Energie- und Verkehrspolitik aufgenommen werden. Nur mit mehr Anstrengungen - vor allem durch eine Wende in der Landwirtschaft und einen Ausstieg aus der Kohlestromerzeugung - lässt sich der Wasserzustand in Deutschland konkret verbessern.

Doch nicht nur die Zielerreichung und damit die praktische Umsetzung der Richtlinie sollten uns Sorge bereiten. 19 Jahre nach Inkrafttreten steht das EU-Wasserschutzgesetz insgesamt auf dem Prüfstand. Aktuell findet der sogenannte 'Fitness Check' statt, bei dem die Mitgliedstaaten, Industrie- und Umweltverbände, aber auch die Öffentlichkeit eingebunden werden. Dabei droht die Gefahr, dass eine Reform zu einer deutlichen Schwächung des Wasserschutzes führt. So fordert zum Beispiel der Bund der deutschen Industrie (BDI), dass weniger strenge Regeln gelten sollen und Ausnahmeregelungen auch aus wirtschaftlichen Gründen möglich sein sollen.

Und der WWF und andere Umweltverbände? "Finger weg von der Wasserrahmenrichtlinie!" - Das ist unsere klare Forderung. Wenn es einem Patient schlecht geht, bringt es schließlich auch nichts, wenn Ärzte die Definition von Krankheit einfach verändern. Daher muss die Richtlinie in ihrer bestehenden Form erhalten bleiben und besser und ambitionierter umgesetzt werden. Umweltverbände und NaturschützerInnen sind sich einig: Die WRRL ist ein gutes Gesetz, dass in der Lage ist, die deutschen und europäischen Seen, Flüsse und unser Grundwasser zu bewahren. Wir brauchen dafür endlich den politischen Willen, die Ziele der Richtlinie zu erfüllen und die dringend notwendigen Schutzmaßnahmen anzugehen. Wer stattdessen über die Aufweichung der WRRL verhandelt, spielt mit der Qualität unserer Gewässer.

Eine breite Allianz verschiedener Organisationen will die Bevölkerung für den Wert naturnaher Flüsse sensibilisieren und in ganz Europa für die Teilnahme an der öffentlichen Befragung zur WRRL mobilisieren. Die EU-Gesetzgebung ist entscheidender Motor für den Schutz unserer Flüsse. Daher ist entscheidend, dass sich möglichst viele EU-BürgerInnen daran beteiligen.


Autorin Beatrice Claus ist Referentin für Ästuare und Flusspolitik beim WWF Deutschland.


Den Flüssen und Seen eine Stimme geben:
Sauberes Wasser und lebendige Gewässer sind nicht verhandelbar, sondern ererbte Güter, die geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden müssen. Dafür braucht es einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Auch Sie können uns dabei unterstützen. Machen Sie mit bei der Aktion 'Protect Water' und appellieren Sie an die EU-Kommission, unser Grundwasser, unsere Seen und Flüsse zu schützen! Ihre Stimme für unser Wasser auf
wwf.de/protect-water.


Anmerkung:
1. https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF-Report-Zustand-der-Gewaesser-Deutschland-Langfassung.pdf


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Rundbrief 4/2018, Seite 18 - 19
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang