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AKTION/013: Wir haben Agrarindustrie satt! (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013 Globalisierung und Freihandel - Pokerspiel mit ungewissem Ausgang

THEMEN & AGs
Wir haben Agrarindustrie satt!
7.000 Menschen umzingeln Europas größten Geflügelschlachthof

von Jochen Fritz und Iris Kiefer



Europas größter Geflügelschlachthof im niedersächsischen Wietze wurde am Samstag den 31. August mit einer Menschenkette umzingelt. Die DemonstrantInnen forderten drei Wochen vor der Bundestagswahl unter dem Motto »Wir haben Agrarindustrie satt!« eine grundlegende Agrarwende. Der Megaschlachthof in Wietze ist ein Symbol für die »verfehlte Agrarpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung«, erklärten die VeranstalterInnen. Zu der Großdemonstration hatte das »Wir haben es satt«-Bündnis aus Bauern-, Umwelt-, Entwicklungs- und Tierschutzverbänden aufgerufen.

Bekannt geworden ist das Bündnis mit seinen jährlichen Demonstrationen in Berlin gegen die Agrarindustrie und für eine bäuerliche, tier- und umweltfreundliche Landwirtschaft. Über 20.000 Menschen sind dort in den letzten drei Jahren teilweise bei klirrender Kälte auf die Straßen gegangen. Doch in der Großstadt Berlin ist man weit weg von den Orten, an denen das Ausmaß der ständig zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft deutlich wird. Deswegen entschied das Bündnis kurz vor der Bundestagswahl an einen der Brennpunkte des Geschehens zu gehen. Und zwar nach Wietze, einem kleinen Ort nahe Celle in Niedersachen. Dort entsteht derzeit Europas größter Schlachthof.

»Mit unseren Lebensmittel ist etwas nicht in Ordnung, wenn sie wie hier in Wietze hinter NATO-Draht hergestellt werden«, brachte der griechische Olivenbauer Pavlos P. auf der Kundgebung in Wietze die Fehlentwicklung auf den Punkt. Schon heute werden in dem 2011 von der Firma Rothkötter eröffneten Schlachthof täglich 200.000 Hühnchen am Fließband geschlachtet. Geplant ist eine Ausdehnung der Produktion auf 430.000 Hühner am Tag. Das bedeutet jeden Tag 11 Hühnchenställe mit 40.000 Hühnern und bis zu 70 LKWs pro Tag die diese anliefern. Das ist eine sehr hohe Belastung für die Menschen in Wietze. Dafür wurden 1.000 Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Region versprochen. Doch das System Rothkötter verursacht neben dem Leiden der Tiere weitere negative Auswirkungen.. Nämlich die benötigten Soja-Importe, Nitratbelastung des Grundwassers, Fragen des Arbeitsrechts, Abhängigkeit der Lohnmäster und die Auswirkungen von Exportdumping auf Märkte in Afrika, die zur Folge haben, dass die Bauern dort nicht mehr gegen das importierte Geflügel konkurrieren können. All das sind globale Folgen dieses Systems. Und dass dieses Projekt mit 6,5 Millionen Euro aus Steuergeldern subventioniert wurde ist ein Skandal!

Dass sich dagegen ein breiter Widerstand in der Bevölkerung regt, zeigten die rund 7.000 Menschen, die am 31. August aus dem gesamten Bundesgebiet in das kleine Wietze strömten, um vor dem Schlachthof zu demonstrieren und ihn mit einer Menschenkette zu umzingeln. Angemeldet waren 3.000 Menschen, und dass doppelt so viele gekommen sind werten die Veranstalter als Erfolg. Und die Wir haben es satt-Bewegung hat gezeigt, dass sie auch auf dem Land mobilisieren kann. Doch am beeindruckendsten war der vielfältige und bunte Widerstand, bei dem die Menschen selbstgemalte Plakate an den Schlachthofzaun hängten. Diese wurden auf der Vorabaktion »Grillen gegen die Agrarindustrie« am Wochenende vom 23. bis 25 August auf über 700 Grilldemos in Deutschland gemalt. Von diesen Grilldemos haben die Menschen die Banner nach Wietze gebracht oder geschickt. Das war ein sehr starkes Zeichen und sorgte auch dafür, dass die Aktion über den Teilnehmerkreis hinaus bekannt wurde. Die Kundgebung auf dem Droschkenplatz in Wietze und die Demonstration zur Umzingelung des Schlachthofs sowie das Abschlusskonzert der Berliner Band Ratatöska waren entscheidend für das gute Gelingen dieses Aktionstages.

Die Aktion war der Höhepunkt eines Wochenendes rund um eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Im Vorfeld wurden in dem Sommercamp verschiedene Workshops rund um das Thema »Landwirtschaft & Esskultur - Visionen 2020« angeboten. Diese Veranstaltungsreihe bildet den Auftakt, um einen großen gesellschaftlichen Prozess in Gang zu setzen und eine Vision von einer zukunftsfähigen Landwirtschaft mit gutem Essen für Alle zu entwickeln. Deswegen lädt die Kampagne Meine Landwirtschaft zusammen mit INKOTA unter dem Titel »Politischer Suppentopf« diesen Winter zu acht Workshops ein. Dort soll an verschiedenen Orten in Deutschland rund um einen großen Kochtopf der Fläming Kitchen eine Vision einer zukunftsfähigen Landwirtschaft diskutiert werden.

Das Medienecho der Aktion war mit einigen Fernsehbeiträgen und Zeitungsartikeln positiv. In Niedersachsen fand eine sehr ausführliche Presseberichterstattung statt. Leider hat die Aktion es nicht geschafft das Thema »Landwirtschaftspolitik« deutschlandweit als Wahlkampfthema zu setzen. Deswegen werden die Proteste nach der Bundestagswahl fortgesetzt. Unter anderem ist eine Demonstration zum Beginn der Grünen Woche am 18. Januar 2014 in Planung.

Jochen Fritz koordiniert die Kampagne »Meine Landwirtschaft«. Iris Kiefer ist verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kampagne.

Fotos auf: www.wir-haben-es-satt.de


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013, Seite 32
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2013