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EUROPA/329: Wer will welche Zukunft der Europäischen Agrarpolitik? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2016
Völlig losgelöst
Lässt sich die EU noch demokratisieren?

Wer will welche Zukunft der europäischen Agrarpolitik?
Verbaler Konsens: öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen

Von Reinhild Benning


Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt will es. Die SPD will es auch. Die Grünen wollen es schon lange. Und Umweltverbände erheben Urheberanspruch dafür: das Prinzip, öffentliche Gelder wie Agrarsubventionen nur für Leistungen zugunsten öffentlicher Güter zu zahlen. Auch die EU-Kommission hat sich dieses Leitmotiv "Öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen" bei der Agrarreform für die EU-Finanzperiode 2014-2020 auf die Fahnen geschrieben, ohne bis heute einen Finger dafür gerührt zu haben. Da die Bundesregierung bei Agrarreformen auf der Bremse steht, gilt es, alle Kräfte zu bündeln, um in Deutschland schon heute im Rahmen der EU-Vorgaben mögliche Fortschritte für Umwelt- und Tierschutz umzusetzen und so mit Blick auf 2021-2028 deutlich weitergehende Ziele zu verankern.


Bei der jüngsten Reform der EU-Agrarpolitik 2013 haben EU-Kommission, Rat und Europaparlament eine Re-Nationalisierung der Agrarpolitik in Europa beschlossen und von 2014 an enorme Entscheidungsfreiheiten für die Verteilung der Agrargelder auf die Ebene der Mitgliedstaaten übertragen. Staaten können Obergrenzen bei den Subventionen einziehen, sie können bei Großempfängern von Millionensubventionen kürzen und sie können dabei die Zahl der Beschäftigten berücksichtigen - sie müssen jedoch nichts von alledem tun.

22 EU-Staaten haben Geld zugunsten kleiner und mittlerer Betriebe umverteilt. Deutschland nicht. Hierzulande wird nur das Pflichtprogramm von 4,5 Prozent der Direktzahlungen umgeschichtet und als Prämie zugunsten von kleineren und durchschnittlich großen Höfen ausgezahlt. Auch die Reformchance, 15 Prozent für Natur-, Wasser und Tierschutz in Programme zur ländlichen Entwicklung umzuleiten, zögert das Agrarministerium vorgeblich "ergebnisoffen" heraus, statt das Instrument beherzt zu nutzen und damit Bauern und Bäuerinnen zu ermöglichen z. B. die EU-Nitratrichtlinie endlich wieder einzuhalten. Umwelt-, Tierschutz- und Biolandbauverbände fordern einhellig, die pauschalen Direktzahlungen umzuwidmen zugunsten gezielter Maßnahmen, zumal die letzte EU-Agrarreform auch erhebliche Kürzungen in den betreffenden Programmen der ländlichen Entwicklung nach sich gezogen hat. Doch Berlin ist äußerst hartleibig, wenn es konkret werden soll bei der Umsetzung des Prinzips "Geld gegen Leistung". Als einziges Land der EU ignoriert die Bundesregierung die direkteste Form von Geld gegen Leistung: Bis zu 8 Prozent der Direktzahlungen kann sie gezielt an besondere Leistungen koppeln, etwa für regionale Erzeugung oder spezielle umwelt- oder tierschutzgerecht arbeitende bäuerliche Betriebe. Indem sie das Instrument nicht nutzt, vertut sie die Chance, wenigstens einige Betriebe mit Hilfe von Qualitäts- und Regionalprogrammen aus der aktuellen Preiskrise bei Milch und Schwein herauszulotsen. Frankreich nutzt die Möglichkeit unter anderem für die Weidehaltung in traditionellen Grünlandregionen.

Die Profiteure des Stillstandes

Für die Molkereien, Discounter und die Ernährungsindustrie sind die Zeiten schon gut. Gewaltige Überproduktionsmengen bei Milch und Fleisch erlauben ihnen, die Preise für die Rohstoffe kräftig in den Keller zu drücken. Molkereien vermelden hohe Exportzuwächse. In Chinas Supermärkten findet man Milch aus Deutschland, die billiger ist, als die Milch der chinesischen Molkereiindustrie. Auch in Afrika greifen Molkereien wie Deutsches Milchkontor oder Campina nach neuen Marktanteilen, indem sie mit Dumpingpreisen regionale Anbieter verdrängen. Europäische Milchbauern und -bäuerinnen demonstrieren unterdessen gegen Erlöse von 20 Cent je Liter Milch, mit denen sie Kosten von 40 bis 50 Cent je Liter nicht decken können.

Die Umwelt- und Tierschutzorganisationen unterstützen den Bauernprotest gegen Dumping-Preise. Sie erarbeiten aktuell ihrerseits neue Wege, um im Vorfeld der Wahl 2017 Druck für Reformen zu entfalten. Im Mittelpunkt steht das Ziel, die schon jetzt möglichen Umverteilungsmöglichkeiten bei Direktzahlungen durchzusetzen. Darin wird eine Voraussetzung gesehen, dass die Bundesregierung für die EU-Finanzperiode 2021-2018 weitergehende Reformen befürworten kann, statt sie auszubremsen wie bisher. Dabei wird die Demonstration "Wir haben es satt" am 21. Januar 2017 sicher eine große Rolle spielen. Sie bietet wieder Anlass, um die Missstände in Megamastanlagen, Gesundheitsrisiken in Folge der Industrialisierung der Landwirtschaft und die gesellschaftliche Solidarität mit den Milchbäuerinnen und Kleinbauern in Ländern des Südens eindrucksvoll auf die Straße zu tragen.

Laut Eurobarometer-Umfrage fordern 65 Prozent der Europäer, dass Brüssel das Geld umweltfreundlich für die Sicherstellung von Klima- und Tierschutz in der Landwirtschaft verteilt. Ein klarer und ein pro-europäischer Auftrag. Für EU-Agrarkommissar Phil Hogan bietet diese Meinung trotz der EU-Krise jedoch bisher keinen Anlass für ambitionierte Reformvorschläge zur Halbzeitbilanz der laufenden Finanzperiode.

Nach den guten Erfahrungen mit der Mobilisierung gegen das Unterlaufen von Standards durch TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) und CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) und dem Erfolg der selbstorganisierten Europäischen Bürgerinitiative (EBI) stellt sich die Frage, ob die Zukunft des Essens vielleicht einen ebenso guten Anlass für eine Mobilisierung zur Reform der Agrarpolitik bietet.

55 Milliarden Euro im EU-Agrarhaushalt suchen eine neue Legitimation

In Deutschland erhalten 2 Prozent der Subventionsempfänger knapp 30 Prozent der Direktzahlungen. Die von Umwelt-, Tierschutz- und Entwicklungsverbänden geforderte Umverteilung träfe also nur wenige Großprofiteure. Entscheidet sich die Bundesregierung für eine Umverteilung von 15 Prozent der Direktzahlungen für die ländliche Entwicklung, so muss sie dies der Kommission bis zum August 2017 mitteilen. Eine Studie des EU-Parlamentes(1) hat nachgewiesen, dass diese pauschal mit der Gießkanne über die Hektare verteilten Millionen-Subventionen Landgrabbing fördern und kleinen und mittleren Betrieben oft die Existenzgrundlage rauben. Davon können viele Betriebe in Deutschland ein Lied singen, deren Flächen dem Flächenfraß der KTG Agrar zum Opfer fielen, einem börsennotierten Agrarkonzern, der rechnerisch Anspruch auf über 10 Millionen Euro Direktzahlungen pro Jahr geltend machen kann. Die aktuelle Insolvenzanmeldung der KTG Agrar wird dieser Praxis keinen Riegel vorschieben, weil viele Tochterunternehmen weiter wirtschaften und weiter Direktzahlungen erhalten.

Deutschland trägt zusätzlich zur Schwächung der Gemeinsamkeiten der EU-Regeln für die Landwirtschaft bei, indem die Bundesregierung das Düngerecht so stark aufgeweicht hat, bis über die Hälfte der Grundwassermessstellen Nitratalarm anzeigten und Deutschland damit gegen die gemeinsam beschlossene EU-Richtlinie zum Schutz der Gewässer vor Nitrat aus der Landwirtschaft verstößt. Vor diesem Hintergrund sind sich die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Deutschland auch einig, dass das Ordnungsrecht deutlich verbessert werden muss. Der Tierschutz muss insgesamt nach Ansicht der meisten NGOs auf 3 Ebenen in den EU-Regeln verankert werden: Eine bessere Kennzeichnung muss Verbrauchern ermöglichen, Fleisch aus Massentierhaltung ebenso leicht zu erkennen, wie das Ei mit der 3 aus dem Käfig. Zudem muss das Ordnungsrecht so greifen, dass Verstümmelungen am Tier geahndet und nicht per Ausnahme erlaubt werden. Und selbstverständlich gilt es, die Vergabe der EU-Agrarsubventionen streng an Tierschutzstandards oberhalb der Mindestanforderungen auszurichten.

"Greening" der Direktzahlungen bisher noch unwirksam

70 Prozent der Gelder, rund 200 Euro je Hektar und Jahr, sind an das Kriterium geknüpft, ob der Bauer oder die Bäuerin dokumentiert, dass er oder sie die Gesetze einhält. Für das restliche Drittel der Direktzahlungen, knapp 100 Euro jährlich pro Hektar, muss der oder die EmpfängerIn die sogenannte Greening-Prämie beantragen zum Nachweis, dass er oder sie maximal auf 95 Prozent der Agrarflächen eines Betriebes Monokulturen anbaut. Diese sogenannte Greening-Regel hat jedoch keinen sichtbaren Artenschutzeffekt, solange Pestizide und Kunstdünger auf 100 Prozent der Flächen erlaubt sind. Auch in diesem Punkt sind die NGOs sich weitgehend einig.

Wer dagegen echte Umweltleistungen auf dem Hof verwirklicht, wie Ökolandbau oder Vertragsnaturschutz, hat so viel Papierkram zu erledigen, dass Bauern und Bäuerinnen diese gesellschaftlichen Leistungen nicht wegen der Prämien, sondern in vielen Fällen trotz der Prozeduren um die Gelder erbringen. Diese Umstände nutzt der Deutsche Bauernverband und fordert weniger Bürokratie bei der Auszahlung der bedingungslosen Basiszahlungen, statt die Bürokratie im Bereich der Umwelt- und Naturschutzleistungen erleichtern zu wollen. Alles hängt also davon ab, ob es den NGOs gelingt, den Teufelskreis von Überproduktion für Exporte, Tierleid, Umweltbelastungen und Gesundheitsrisiken in Wahlkampfzeiten nicht untergehen zu lassen, sondern den notwendigen Reformdruck zum Wahlprüfstein zu gestalten.


Autorin Reinhild Benning ist Agrarexpertin bei Germanwatch mit Schwerpunkt Tierhaltung und Antibiotikareduktion.


Fußnote

(1) Transnational Institute (2015): Extent of Farmland Grabbing in the EU.
http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2015/540369/IPOL_STU%282015%29540369_EN.pdf


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2016, Seite 7-8
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2016

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