Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → LANDWIRTSCHAFT


CHEMIE/324: Fungizid-Einsatz mit Kollateralschaden (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1078, vom 13. Dez. 2015 - 35. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

BAYER-Pestizid treibt Schweizer Landwirte in den Wahnsinn


Millionen-Einbußen müssen Schweizer Winzer im Herbst 2015 beklagen - die mühsame Arbeit eines ganzen Jahres in den Weinbergen ist futsch. Ein von den Weinbauern eingesetztes Pilzbekämpfungsmittel ("Fungizid") hat nicht nur die in Weinbau-Monokulturen grassierenden Pilzkrankheiten bekämpft - dummerweise sind auch gleich die Blätter der Weinstöcke mit eingegangen. BAYER gestand ein, dass es "untypische Symptome an Blättern und Gescheinen von Weinreben" gegeben habe. Wie der Schweizer Rundfunk (DRS) Mitte Oktober berichtete, hätte vor allem der Fungizid-Einsatz bei feuchter und nasser Witterung die Schäden begünstigt. Der unerwartete Kollateralschaden des BAYER-Fungizids "Moon Privilege" hat - soweit bislang bekannt - in erster Linie die Weinbauregionen in der Schweiz betroffen. Schadenmeldungen kamen aber auch von Weingütern in Österreich, Frankreich und Luxemburg. Allein in der Schweiz geht die Organisation "Swiss Wine" von einem Schaden von 73 Mio. Euro aus. Der Ernteverlust soll bei 6,65 Mio. Kilogramm Weintrauben liegen. Der landwirtschaftliche Nachrichtendienst agrar.com berichtete am 16.10.15, dass dies einem Weinminderertrag von etwa sechs Millionen Flaschen Wein entsprechen würde. Einige Winzer hätten einen Totalausfall gemeldet. In Deutschland ist das BAYER-Fungizid seit 2012 unter dem Handelsnamen "Luna Privilege" im Einsatz. BAYER rät bis auf Weiteres von der Anwendung des Fungizids ab. Außerdem prüfe man Entschädigungszahlungen "auf freiwilliger Basis" gegenüber den geschädigten Winzern in der Eidgenossenschaft.

[Nun könnte man eine polemische Frage stellen: Wenn die Fungizidhersteller nicht ein Mal prognostizieren können, wie sich ihre Pilzbekämpfungsmittel auf die Zielkultur - in dem Fall auf die Weinreben - auswirken, wie wollen dann die Pestizidproduzenten verlässlich die Effekte ihrer Mittel in den ungleich komplexeren Beziehungsnetzen in einem Fließgewässer voraussagen? Eine Antwort in der nächsten Notiz ...]


Fungizide schädigen die Gewässerökologie

Bereits am 25.02.15 hat ein Forschertermin an der Uni Koblenz-Landau darauf hingewiesen, dass das EU-Zulassungsverfahren für Fungizide "Schlüsselorganismen in Bachökosystemen nicht ausreichend schützen" würde. Denn die Pilzbekämpfungsmittel würden nicht nur die Pilzkrankheiten in den landwirtschaftlichen Kulturen bekämpfen. Gelangen die Fungizide in die Bäche, werden dort diejenigen Pilze geschädigt, die für die Zersetzung von eingewehtem Falllaub verantwortlich sind. Werden die an der Basis der aquatischen Nahrungsnetze stehenden Pilze durch Fungizide geschädigt, könnte dies Auswirkungen über mehrere ökologische Ebenen hinweg haben (siehe Kasten). Die Landauer Forscher konnten zeigen, dass bereits bei real vorkommenden Fungizid-Konzentrationen in Bächen die Besiedlung von Laub durch Pilze beeinträchtigt wird. Dies gilt übrigens nicht nur für synthetische Pilzbekämpfungsmittel, sondern auch für Kupferpräparate, wie sie im Bioweinbau eingesetzt werden - dort allerdings in erheblich niedrigeren Konzentrationen als im konventionellen Weinbau. Nach Darstellung der Landauer Forscher sind die bislang angewandten Testsysteme bei der Zulassung von Fungiziden ungeeignet, um die Schädigung der aquatischen Pilze zu erfassen. Die Landauer Forscher-Crew kritisiert, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit "bereits 2013 - als Reaktion auf eine frühere Landauer Studie - vorgeschlagen" habe, "geeignetere Testverfahren während des Zulassungsverfahrens von Fungiziden zu nutzen. Bislang ist das aber nicht verpflichtend und wird daher auch nicht praktiziert."

Die Studie über die synthetischen Fungizide ist in Environmental Science & Technology publiziert worden. Sie ist online abrufbar unter:
http://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/es5050453

Die Studie über die anorganischen Fungizide wurde im JOURNAL OF APPLIED ECOLOGY veröffentlicht. Sie ist online abrufbar unter:
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1365-2664.12393/abstract

Weitere Auskunft:
Universität Koblenz-Landau
Institut für Umweltwissenschaften
Jochen Zubrod (Erstautor der beiden Studien)
Tel.: (06341) 280-31361
E-Mail: zubrod[at]uni-landau.de


Warum Pilze für die Gewässerökologie wichtig sind.

Zur Bedeutung der Pilze als "Laubvorverdauer" für die Gewässerökologie schreiben die Landauer Wissenschaftler, dass das von den Pilzen zersetzte Falllaub in Bächen Energie und Nährstoffe für Wasserorganismen wie Insektenlarven oder Kleinkrebse liefern würde. Auch für die angrenzenden Landökosysteme würden Bäche viel Energie und Nährstoffe bereitstellen, "beispielsweise über den Schlupf von Insektenlarven, die ihrerseits Futter für Amphibien oder Fledermäuse sind". Wenn Fungizide die aquatischen Pilze so weit schädigen, dass sie das Falllaub - oder beispielsweise auch den Kot von ebenfalls Falllaub fressenden Bachflohkrebsen - nicht mehr zersetzen können, geraten die von der Laubzersetzung abhängigen Ökosysteme im Bach und darüber hinaus in Gefahr.

*

Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1078
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
Rennerstr. 10, 79106 Freiburg i. Br.
Tel.: 0761 / 27 56 93, 456 871 53
E-Mail: nik[at]akwasser.de
Internet: www.akwasser.de, www.regioWASSER.de
 
Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF kann abonniert werden durch Voreinzahlung
von 30 Euro für 30 Ausgaben auf das Postbankkonto Arbeitsgruppe
Wasser, Kto-Nr. 41952 757, Postbank Klrh., BLZ 660 100 75.
 
Meinungsbeiträge geben nicht in jedem Fall die Position des BBU wieder!
Die Weiterverwendung der Informationen in diesem RUNDBRIEF ist bei
Quellenangabe (!) erwünscht!
© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang