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ANBAU/146: Wie steht es um die Zukunft unserer Streuobstwiesen? (Vogelschutz)


Vogelschutz - 4/2011
Magazin für Arten- und Biotopschutz

Quo vadis, Streuobst?
Wie steht es um die Zukunft unserer Streuobstwiesen?

von Alexander Vorbeck


Streuobstwiesen prägen weite Teile der Landschaft in Unterfranken. Der Gartenrotschwanz, Vogel des Jahres 2011, ist hier zu Hause, und der Steinkauz hat in den Obstbäumen am Untermain eines der letzten Rückzugsgebiete in Bayern. In den letzten Jahrzehnten hat man mit Pflanzaktionen, Pflegeeinsätzen, Ausgleichsmaßnahmen und Vermarktungsprojekten versucht, den Niedergang der Streuobstkulturen zu verhindern. Doch können wir damit den landschaftsprägenden Streuobstbau langfristig erhalten?


Streuobst als Ausgleichsflächen

Streuobst wird aufgrund der, auf den ersten Blick, günstigen Investitionskosten gerne als Ausgleichsflächen angelegt. Die Erfolgsquote dieser Flächen ist allerdings ernüchternd. Es werden meist schon in der Planungsphase entscheidende Fehler gemacht und die Umsetzung lässt zu wünschen übrig. Häufige Fehler sind:

• Die Standortwahl ist ungeeignet (z. B. Feuchtwiesen oder Magerrasen).

• Die Sortenwahl ist nicht auf die spezifischen Standortverhältnisse zugeschnitten. Anstatt einer möglichst bunten Mischung sollte das Sortiment auf die spätere Nutzung z. B. als Kelterobst mit einheitlichen Reifezeiten abgestimmt sein.

• Die Pflanzabstände sind zu eng.
Spätestens wenn die Bäume in die Ertragsphase kommen, wachsen sie ineinander und es müssen einzelne Bäume entfernt werden. Der Pflanzabstand bei Hochstämmen sollte 10 Meter nicht unterschreiten.

• Ausschreibung, Vergabe und Umsetzung sind mangelhaft.
Neben dem fachgerechten Erziehungsschnitt sollte vor allem das Anlegen einer Baumscheibe in den ersten 5 Standjahren und die Düngung des Baumes mit Kompost ausgeschrieben werden. Den Zuschlag bekommt in der Regel der billigste Bieter. In der Praxis werden oft nicht einmal die elementaren Pflegemaßnahmen wie der jährliche Erziehungsschnitt umgesetzt.

• Kalkulation einer kurzfristigen Pflege
Bei den Ausschreibungen sind in der Regel nur drei-, im besten Fall fünfjährige Pflege für die Bäume enthalten. Bis die Obstbäume ein tragfähiges Gerüst aufgebaut haben, braucht es in der Regel aber mindestens einer 10-jährigen Pflege. Auch danach sind Überwachungsschnitte nötig.


Pflegezustand

Nach Erhebungen in Unterfranken sind ca. 60% der Streuobstbäume ungepflegt. Sowohl im privaten Bereich als auch bei Ausgleichsflächen wird geschätzt, dass gerade mal 50% der gepflanzten Bäume die Ertragsphase erreichen. Totalausfälle sind gerade bei Ausgleichsflächen keine Seltenheit. Neben der mangelnden Pflege der Bäume ist aber auch die falsche Pflege ein großes Problem. Die von Privatleuten und Landschaftsgärtnern angewandten Schnitttechniken stammen oft aus dem Niederstammanbau, bei dem keine oder sehr flache Leitäste gezogen werden. Diese Technik führt bei Hochstämmen zu übermäßigem Triebwachstum und damit zu erhöhtem Schnittaufwand.

Auch bei Altbäumen wird der streuobsttypische Kronenaufbau mit steil stehenden Leitästen oft nicht beachtet. Vielfach erfolgen die Pflegeschnitte zu intensiv. Werden mit der Motorsäge große Wunden im Starkastbereich verursacht, kann das zu einem früheren Absterben des Baumes führen. Das bedeutet, dass Fördermittel, die für den Erhalt der Obstwiesen gedacht sind, dafür ausgegeben werden, das Leben der Obstbäume zu verkürzen.


Vitalität der Obstbäume

Nur ca. ein Viertel der Obstbäume im Landkreis Würzburg wurde bei der Sortenkartierung 2008-2010 als vital eingestuft. Nach Untersuchungen in Baden Württemberg sind 94% der Obstbäume unterernährt. So sind die Bäume anfälliger für Trockenheit und Krankheiten. Zu diesem Missstand hat u. a. auch der Naturschutz beigetragen, der sich lange Zeit für einen absoluten Düngeverzicht auf Obstwiesen eingesetzt hat. Obstbäume brauchen für ihre gesunde Entwicklung eine ausgewogene Ernährung. Dazu gehören, gerade bei Jungbäumen, regelmäßige Gaben von Kompost oder reifem Mist auf die Baumscheibe.

Da gegenwärtig viele Bestände überaltert sind, ist trotz massiver Anstrengungen zum Erhalt der Obstwiesen davon auszugehen, dass von heute 100 Obstbäumen im Jahr 2030 nur noch etwa die Hälfte in der Landschaft steht. Daher muss massiv nachgepflanzt werden. Hierzu müssen auch die landwirtschaftlichen Förderprogramme genutzt werden.


Gesellschaftlicher Wandel

Bis in die siebziger Jahre haben Familien teilweise mehrere hundert Streuobstbäume gepflegt, sich damit selbst versorgt und sich durch den Verkauf ein Zubrot verdient. Heute ist es für die meisten "nur" noch ein Hobby, bei dem man sich auf wenige Bäume beschränkt. Durch den Preisverfall im Mostobstbereich sind die Streuobstbäume auch für Landwirte kaum noch interessant.

Die private Initiative in den Streuobstwiesen wird weiter abnehmen, da die älteren Generationen für die Pflege und Nutzung ausfallen. Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung von Ausgleichsflächen und öffentlicher Förderung für die Bestandssicherung der Streuobstbestände deutlich zunehmen. Den vielen lokalen und regionalen Streuobstprojekten wie z.B. dem Schlaraffenburger Projekt in Aschaffenburg oder dem LBV-Projekt Streuobstwiese in der Oberpfalz kommt dann eine zentrale Bedeutung zu, um die nötigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. So können auch künftig Kernbereiche in einem Biotopverbundsystem Streuobst erhalten und entwickelt werden. Ziel muss es sein, diese Kernbereiche in ausreichender Größe und Qualität zu erhalten. Durch gezielte Maßnahmen findet der Gartenrotschwanz auch in 20 Jahren dort noch ein reiches Höhlenangebot und wir können noch durch blühende Obstwiesen wandern.


Was ist zu tun?

• Um die begrenzten personellen und finanziellen Kapazitäten optimal zu nutzen, ist deutlich mehr Fachwissen bei Planern, Behörden und Verbänden notwendig.

• Bei der Pflege von Obstwiesen mit Fördermitteln sollten folgende Prioritäten gesetzt werden:
1. Fachgerechte Pflege der bereits gepflanzten Bäume
2. Massive Nachpflanzungen mit fachgerechter Pflege
3. Erhalt der Ertragsbäume durch fachgerechte Pflegeschnitte
4. Erhalt der Altbäume durch Stabilisierungsschnitte

• Nötig sind Qualitätsstandards und eine effektive Erfolgskontrolle bei der Anlage von Streuobstwiesen als Ausgleichsflächen, damit diese Flächen nicht nur auf dem Papier die Bilanzen aufbessern, sondern tatsächlich die ihnen zugedachte ökologische Wirkung entfalten.

• Die Wirtschaftlichkeit des Streuobstbaus muss auf breiter Ebene verbessert werden. Als tragfähiger Preis werden 20 EUR/100 kg angesehen.

• Die private Eigenverwertung von Streuobst muss wieder gestärkt werden.

• Der Vermittlung von Grundfertigkeiten in der Streuobstpflege bei Landschaftsgärtnern und Privatleuten kommt eine besondere Rolle zu, damit die geleistete Arbeit den Obstbäumen auch tatsächlich nutzt.


DER AUTOR
Alexander Vorbeck
Freiberuflicher Umweltingenieur
Schwerpunkt Streuobstpflege, nachhaltige Regionalentwicklung und immissionsbezogene Flechtenkartierungen
Projektleiter des Schlaraffenburger Streuobstprojektes
E-mail: alex.vorbeck[at]schlaraffenburger.de


Die Broschüre für Praktiker

Pflanzung und Pflege von Streuobstbäumen - Naturgemäßer Obstbaumschnitt für die Praxis

Diese Broschüre ist eine Hilfe für all jene, die hochstämmige Obstbäume pflanzen und pflegen. Es werden praxiserprobte Schnitttechniken empfohlen, deren Anwendung den Baum gesund erhalten und gleichzeitig den Arbeitsaufwand bei der Baumpflege minimieren. Besonderer Wert wurde auf anschauliche Grafiken und Fotos mit kurzen prägnanten Erläuterungstexten gelegt.

Die Broschüre mit 60 Seiten im Format DIN A 4 kostet 10 EUR und kann unter Best.-Nr. 210 211 50 im LBV-Naturshop bestellt werden. www.lbv-shop.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Oben: Frühlingstraum für den Menschen, wertvoller Lebensraum für die Tiere: Apfelblüte im Streuobstgarten

- Unten: Erntezeit: Bei sachgemäßer Pflege liefern die Bäume über lange Jahre bestes Obst zum Verzehr und für die Mosterei

- Fachgerechte Pflanzung und Pflege entscheiden über Lebensdauer und Ertrag der Bäume:
• Falscher Schnitt: Zu flache Leitäste bringen einen starken Trieb nach oben hervor und erzeugen unnötige Schnittarbeit, da der Baum versucht, sich durch unzählige Wasserschosser zu helfen. Diese Erziehungsform ist aus dem Niederstammobstbau abgeleitet und für die starkwüchsigen Hochstämme ungeeignet.
• Gut gepflegter Hochstamm mit harmonischem, lichten Kronenaufbau, der einen guten Ertrag verspricht

- Streuobstwiesen sind nicht nur schön anzusehen (oben), sie bieten neben dem Gartenrotschwanz (Vogel des Jahres 2011) vielen gefährdeten Arten wie Steinkauz, Wiedehopf (links) und Wendehals Lebensraum und Nahrung.


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Quelle:
Vogelschutz - 4/2011, S. 14-17
Magazin für Arten- und Biotopschutz
Herausgeber:
Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. -
Verband für Arten- und Biotopschutz
LBV-Landesgeschäftsstelle
Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein
Tel.: 09174 / 47 75-0, Fax: 09174 / 47 75-75
E-Mail: info@lbv.de
Internet: www.lbv.de

Vogelschutz ist das Mitgliedermagazin des LBV
und erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2011