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UNO/109: Ernsthafte Verhandlungen, aber keine politischen Durchbrüche in Bonn (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2010
Wohlstand durch Wachstum? Wohlstand ohne Wachstum? Wohlstand statt Wachstum?

Endlich ernsthafte Verhandlungen - aber keine politischen Durchbrüche

Technische Fortschritte der Bonner Klimaverhandlungen bringen Politik in Zugzwang

Von Christoph Bals und Sven Harmeling


Im Juni 2010 trafen sich die UN-Klimaverhandler zum zweiten Mal nach dem mageren Ergebnis von Kopenhagen. Bei den Sitzungen der Nebenorgane der Klimarahmenkonvention und der Verhandlungsgruppen unter der Konvention und dem Kyoto-Protokoll vom 31.5. bis zum 11. Juni in Bonn stand im Mittelpunkt die Diskussion über den Entwurf eines Textes zur Unterstützung von Verhandlungen, der die verschiedenen Ergebnisse von Kopenhagen integrieren sollte.


Dort war ja zum einen von einer Gruppe von Staaten, die nach Kopenhagen auf über 120 Länder angewachsen ist, der so genannte Kopenhagen-Akkord vereinbart worden, der durch die Unterstützung der Staats- und Regierungschefs eher den Charakter einer politischen Willenserklärung hatte als den eines Rechtstextes. Zum anderen waren auf technischer Verhandlerebene zumindest in einigen thematischen Teilbereichen durchaus beachtliche Fortschritte erzielt worden. Angesichts der Kontroversen um den Kopenhagen-Akkord verlief die Entgegennahme dieses neuen Textes durch die Mitgliedsstaaten der Konvention relativ glimpflich ab. Die Verhandlungen konzentrierten sich weit mehr als jemals seit Bali (2007) darauf, wirklich Substanz zu diskutieren und sich über die Vorstellungen des jeweils Anderen ein klareres Bild zu verschaffen.

Dabei wurde aber auch deutlich, wie weit die politischen Mandate von Schlüsselakteuren noch auseinanderklaffen. Es gibt noch zahlreiche kontroverse Themen. Dies gilt nicht nur für die nicht ausreichenden Klimaziele der Industrieländer, bei denen er derzeit, wenn überhaupt, eher Bewegung nach unten gibt. Darüber hinaus hängt natürlich nach wie vor vieles an der Frage der Finanzierung, in welcher Größenordnung neue Mittel aufgebracht werden - der Kopenhagen-Akkord benennt hier nur vage die Größenordnung von 100 Mrd. Dollar jährlich an öffentlichen und privaten Geldern bis 2020 - und wie sie institutionell umgesetzt werden. Hinsichtlich der Finanzarchitektur gab es jetzt einige konstruktive Diskussionen.

Eine über allem stehende Frage ist die, was bis zu der nächsten großen Klimakonferenz im Dezember im mexikanischen Cancún erreicht werden kann und soll. Die kleinen Inselstaaten halten nach wie vor die Verabschiedung eines umfassenden rechtlich verbindlichen Abkommens für möglich. Bei den meisten Ländern überwiegt jedoch die Skepsis, ob man dies als realistische Forderung ansehen kann. Auch konstruktive Akteure folgen zunehmend der Überlegung, ob es nicht hilfreicher sein kann, die Ambitionen hinsichtlich Cancún nicht zu hoch zu hängen, um ein erneutes Scheitern, gemessen an zu hohen Erwartungen zu vermeiden. Dies wird so auch unter den Entwicklungsländern diskutiert. Ein erneutes Scheitern könnte tatsächlich das Ende der Relevanz des UNFCCC-Prozesses bedeuten. Nichtsdestotrotz gibt es einen großen Spielraum zwischen dem Maximalziel - einem umfassenden rechtlich verbindlichen Abkommen - und einem Nullergebnis. Zum Beispiel durch ein Paket von Einzelentscheidungen in progressiven Bereichen - Anpassung, REDD+, Technologie, möglicherweise mit einer Grundentscheidung für einen neuen Finanzmechanismus [1] - sowie ein eindeutiges Mandat für ein rechtlich verbindliches Abkommen in Südafrika 2011. Der Rio-Plus-20-Gipfel im September 2012 in Rio de Janeiro könnte dann das Abkommen um eine internationale Rahmensetzung für "grünes Wachstum" ergänzen. Eventuell könnte dann auch eine umfassende Reform der internationalen Entwicklungs- und Klimafinanzierungsarchitektur beschlossen werden.

Solch eine nüchternere und vielleicht realistischere Herangehensweise an den UNFCCC-Prozess ist keineswegs befriedigend angesichts der Dringlichkeit des Klimaproblems. Deshalb muss parallel zum Verhandeln das Handeln intensiviert werden. Kommen die großen Industrieländer in ihren nationalen Klimagesetzgebungen nicht weiter, kann die internationale Ebene dem kaum eine drastische Richtungsänderung geben. Die Grundlage für internationale Ambition muss zuhause gelegt werden. Für die EU heißt das, in diesem Jahr, unilateral das 30%-Ziel zu beschließen.

Dabei geht es nicht nur um die internationale Verantwortung der EU. Vielmehr belegen zahlreiche Studien mittlerweile, dass die EU ohne eine solche Rahmensetzung Gefahr läuft, von anderen Ländern technologisch abgehängt zu werden, weil die Investitionsanreize in grüne Technologien fehlen. Gleichzeitig sollte die in Kopenhagen versprochene Kurzfristfinanzierung so genutzt werden, dass sie nicht in einer Kleinprojektitis endet, sondern Initiativen mit strategischer Relevanz auch für die Verhandlungen voranbringt. Der Doppelansatz "Handeln und Verhandeln" kann insbesondere dann Dynamik entfalten, wenn er zum Aufbau von strategischen Allianzen genutzt wird. Dazu gehören aus Sicht der EU engere Kooperationen mit den besonders verletzlichen Entwicklungsländern, von denen immer mehr Eigeninitiative auf dem Weg zu klimaneutralen Gesellschaften zeigen. Aber gerade auch Allianzen mit Schwellenländern könnten ein dynamisches Gegengewicht zu den nach wie vor in klimapolitischer Stagnation befindlichen USA bzw. den im Rückwärtsgang befindlichen Ländern wie Kanada, Australien oder Russland schaffen. Insbesondere die EU und China müssen sich demnächst entscheiden, ob sie gemeinsam bereit sind, klimapolitische Dynamik zu entwickeln, auch wenn die USA in der Zukunftsselbstblockade verharrt.

Vor Cancún wird es noch zwei weitere Verhandlungswochen geben, eine Anfang August in Bonn, und eine Woche im Oktober in China. Optimal wäre es, wenn gerade letztere Sitzung neben Fortschritten auf technischer Ebene durch eine sichtbare Allianzbildung der EU mit großen Schwellenländern und kleinen Entwicklungsländern auf hoher politischer Ebene ergänzt würde. So könnte allmählich aus den Scherben von Kopenhagen ein neues brauchbares Mosaik entstehen - aus einer Kombination von Handeln, Verhandeln und neuen Allianzen.


Christoph Bals ist Politischer Geschäftsführer, Sven Harmeling Referent für Klima und Entwicklung bei Germanwatch. Beide sind Mitglied der politischen Koordination des Climate Action Network International.


Anmerkungen

[1] S. z.B. Harmeling, S. et al., 2010: International Action on adaptation to climate change. What roads from Copenhagen to Cancun? Briefing paper. Germanwatch and WWF.

http://www.germanwatch.org/klima/ad-cph-canc.pdf


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2010, S. 24
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2010