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INITIATIVE/118: Germanwatch-Informationsdienst KlimaKompakt Nr. 63 (GW)


Germanwatch e. V.

KlimaKompakt Spezial Nr. 63 / Dezember 2008


Editorial
Auf ein spannendes Klimajahr!

Klimagipfel in Posen
Industriestaaten unentschlossen

Klimapaket setzt nicht die notwendige Führungsrolle der EU im globalen Klimaschutz um
Der Abschied von der Umsetzung des 2-Grad-Limits?

Gefährdet Gletscherschmelze im Himalaja Wasserversorgung für 500 Millionen Menschen?
Rückzug von Eis auf dem Dach der Welt


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Editorial

Auf ein spannendes Klimajahr!

Es wäre so schön gewesen: Erstens eine neue US-Regierung, die durch neues Personal und neue Politik ein neues Paradigma der Klimapolitik eröffnet. Zweitens eine chinesische Regierung, die Monat für Monat durch neue Gesetze deutlicher macht, dass die Bereitschaft zur klimapolitischen Wende wächst. Und dann eine EU, die Ernst mit der Umsetzung ihrer international wegweisenden Beschlüsse vom März 2007 macht. Doch die EU strauchelte.

Viele in der deutschen Regierung - von der Kanzlerin über den Umwelt- hin zum Außenminister - wollen jetzt den Kniefall vor der Industrie als Erfolg und die Bürger für dumm verkaufen. Das Argument ist so schlicht wie falsch: "Wir haben an den Zielen doch nicht gerüttelt: 20 Prozent Reduktion der Treibhausgase bis 2020 - und wenn es zum Kopenhagenabkommen kommt, sogar 30 Prozent. Warum also die Aufregung?" Erstens: Deutlich mehr als die Hälfte des notwendigen Klimaschutzes der EU zwischen 2005 und 2020 kann jetzt gemäß den neuen EU-Beschlüssen in Entwicklungsländern getätigt werden - und zwar statt und nicht zusätzlich zu dem notwendigen Klimaschutz zuhause.

Zweitens: Die Anreize für neue Kohlekraftwerke unterminieren die erforderlichen viel ehrgeizigeren Klimaziele nach 2020. Beides ist mit der aus gutem Grund selbst gesetzten Messlatte, dem Zwei-Grad-Limit für den globalen Temperaturanstieg, nicht vereinbar. Ein spannendes Klimajahr liegt vor uns, in dem sich zeigt, wer Rückgrat hat.

Christoph Bals


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Klimagipfel in Posen

Industriestaaten unentschlossen

Der internationale Klimazug hat in Posen zwar die formalen Voraussetzungen dafür geschaffen, um in zwölf Monaten in Kopenhagen ein ambitioniertes globales Abkommen für die Zeit nach 2012 zu erreichen. Zugleich wurde aber deutlich, dass es bei zentralen Akteuren am politischen Willen mangelt, um ein solch weit reichendes internationales Abkommen auch wirklich zu erreichen.

Es folgt ein kurzes Resümmee von Germanwatch.

Insbesondere fehlte bei den Industriestaaten - mit wenigen Ausnahmen - die Bereitschaft, ernsthaft über eine Verringerung ihrer Emissionen bis 2020 um 25-40% gegenüber 1990 zu verhandeln. Dies entspricht den Empfehlungen des IPCC, um zumindest in Reichweite des 2°C-Limits zu bleiben.

Außerdem fehlt bei allen Industriestaaten die Bereitwilligkeit, in die notwendige groß angelegte Finanz- und Technologiekooperation einzusteigen. Diese ist aber dringend notwendig, da im Mandat des Klimagipfels von Bali 2007 das Ausmaß der Klimaschutzaktivitäten der Schwellen- und Entwicklungsländer an die Größenordnung dieser Kooperation geknüpft wurde.

Den Entwicklungsländern gelang es weder Verhandlungen über zusätzliche Finanzen bis 2012 für den Anpassungsfonds zu starten noch Verhandlungsbereitschaft für einen großen Finanzmechanismus für die Zeit nach 2012 in der Abschlusserklärung zu verankern. Neben mangelndem politischen Willen der Industrieländer waren für das Scheitern dieser Initiativen jedoch auch strategische Schwächen des Vorgehens der Entwicklungs- und Schwellenländer eine Ursache.

Fortschritte gab es im Bereich Anpassung. Es gelang, den Anpassungsfonds arbeitsfähig zu machen. Dieser ist, was seine Entscheidungs-Struktur, Finanzierung, und Geldvergabe angeht, ein äußerst innovativer Fonds. Derzeit ist er nur mit relativ wenig Geld bestückt, aber viele Beobachter erwarten, dass er zum wesentlichen Präzedenzfall für die viel größere Finanzarchitektur des Kopenhagen-Abkommens wird.

Außerdem gab es sehr konstruktive Vorschläge für Risikomanagement und internationale Absicherungsmodelle für die besonders Betroffenen. Das Modell der Munich Climate Insurance Initiative (MCII) zur Absicherung von Entwicklungsländern gegen große Wetterrisiken nach dem Verursacherprinzip findet sich in der Ideensammlung für den Verhandlungstext wieder.

Das gilt auch für den Vorschlag eines menschenrechtsbasierten Ansatzes der Anpassung, der die prozeduralen und inhaltlichen Aspekte des Menschenrechts auf Nahrung und Wasser nutzen will, um einen Fokus der Anpassungsaktivitäten auf die besonders Betroffenen zu gewährleisten, ohne eine zusätzliche Konditionalität einzuführen.

Nach diesem Gipfel liegt auf der Hand: Der internationale Klimazug ist nicht mit der notwendigen Ambition und Geschwindigkeit auf der richtigen Spur. Dies könnte sich allerdings ändern, wenn jetzt die USA, China und die EU, aber auch etwa Australien tatsächlich einen 'Green Deal' zur Rettung der Wirtschaft und des Klimas organisieren. Massive Investitionen in Energieeffizienz, Erneuerbare Energien und die dafür notwendige Infrastruktur könnten nun eine dreifache Dividende abwerfen. Erstens schaffen sie Arbeitsplätze und kurbeln die Wirtschaft an. Zweitens lässt sich das bei der Öl-, Gas- und Kohlerechnung eingesparte Geld sinnvoll nutzen. Drittens wäre das der Einstieg in ernsthaften Klimaschutz. Wenn diese Hunderten von Milliarden Euro jedoch nicht für, sondern gegen den Klimaschutz investiert werden, ist der Zug "abgefahren".

Ausführlicheres Germanwatch-Hintergrundpapier mit den Ergebnissen des Klimagipfels:
www.germanwatch.org/klima/c14res.htm


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Klimapaket setzt nicht die notwendige Führungsrolle der EU im globalen Klimaschutz um

Der Abschied von der Umsetzung des 2-Grad-Limits?

Die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs vom 12. Dezember zum EU-Klimapaket bringen die EU nicht auf den Pfad, um die international verkündeten Klimaziele zu erreichen. Selbst wenn die Ziele nach Abschluss eines Abkommens in Kopenhagen auf 30 Prozent erhöht und alle Industrieländer entsprechendes beschließen würden - die jetzt beschlossenen Regeln untergraben das Zwei-Grad-Limit. Erstens wird erlaubt, dass die Hälfte des Klimaschutzes im Strom- und Industriesektor und mehr als zwei Drittel bei den anderen Sektoren außerhalb der EU erbracht werden können. Zweitens sind - ohne verbindlich CCS vorzuschreiben - Anreize für neue Kohlekraftwerke möglich, die die künftig notwendigen weit ehrgeizigeren Ziele unterminieren.

Es folgt die Pressemitteilung des Rates für Nachhaltige Entwicklung.

"Europas Klimapolitik ist mit einem blauen Auge davon gekommen. Diese Bilanz ziehen Volker Hauff und Klaus Töpfer, Vorsitzende des Nachhaltigkeitsrates der Bundesregierung, angesichts des Klima- Beschlusses des Europäischen Rates vom 12.12.2008. Sie bewerten ihn kritisch. Der Europäische Rat habe die unter der deutschen Präsidentschaft vereinbarten Klimaziele "bestenfalls verwaltet, aber leider ein mutiges Zeichen in der Wirtschaftskrise verfehlt." Zwar seien Europas Klimaziele weltweit Spitze, so Volker Hauff, "aber nur deswegen, weil die anderen noch weniger tun. Vorreiter zu sein ist leicht, wenn man keine Konkurrenz hat. Wenn erst die neue US-Regierung ernst macht, wird das anders aussehen. Die jetzt eingeführten Ausnahmen und Sonderregelungen der Europäischen Klimapolitik widersprechen einer klaren Vorreiterrolle."

Europa hält zwar Kurs auf die angestrebte Verringerung der klimaschädlichen Treibhausgase um 20 Prozent bis zum Jahr 2020, lobt Klaus Töpfer, "aber der Konjunkturrabatt, den man aktuell mit Blick auf die Wirtschaftskrise eingeräumt hat, geht fehl und macht angesichts der schon jetzt sichtbaren Schäden an der Natur und der Lebensgrundlage der Menschen Abstriche an einer ambitionierten Klimapolitik, die viel ruinöser sind als die Finanzkrise." In der Wirtschaftkrise wäre es stattdessen sinnvoll und möglich, so Töpfer weiter, "mit einer ambitionierten Klimapolitik den Start zu einem umfassenden Energie-Erneuerungs-Investitionsprogramm zu geben". Die Ausnahmeregelungen für die energieintensiven Industrien und den stark kohlebasierten osteuropäischen Kraftwerkspark werfen die Frage auf, wie man die tatsächliche Erreichung der Ziele sicherstellt. "Hier wäre ein Zeichen von mehr Verantwortung besser gewesen, für Europa, für die industrielle Kompetenz Europas, für das Klima und um den Menschen zu zeigen, dass es darum geht, neue Technologien einzusetzen, Arbeitsplätze zu schaffen und Kosten zu sparen."

Die Impulse für Investitionen in die Kohlenstoffabscheidung und -lagerung (CCS) sind zu schwach, kritisiert Volker Hauff. "Die Deckelung der finanziellen Förderung von 12 Pilotanlagen schafft allein jedenfalls nicht das nötige Momentum zum Aufbau einer klimakompatiblen Kohlenutzung". Hier sei jetzt der nationale Gesetzgeber gefragt, der im Genehmigungsrecht die erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen muss.

Der Nachhaltigkeitsrat hat in seiner Stellungnahme zur Energie- und Klimapolitik vom Oktober 2008 betont, dass es für den immer noch ausstehenden Durchbruch in der globalen Klimadiplomatie zwingend erforderlich ist, saubere Energietechnologien in großem Maßstab an den Markt zu bringen und den Schwellenländern Zugang zu neuen Klimalösungen zu gewähren. So lange diese ausbleiben oder nur vage in Aussicht stehen, tritt die Klimadiplomatie auf der Stelle. Dies hat die UN-Verhandlungsrunde in Posen sehr eindrucksvoll unterstrichen."

Quelle: www.nachhaltigkeitsrat.de/news-termine/presseinformationen/pressemitteilungen/hauff-toepfer-klima-13-12-2008/?blstr=0

Im Folgenden geben wir zentrale Aussagen einer vorläufigen Analyse des Climate Action Network Europe wieder.

Zwei Drittel der Reduktionen werden bis 2020 durch den EU-Emissionshandel erbracht, ein Drittel durch die Sektoren, die nicht dem Emissionshandel unterliegen. Starke Kritik erfährt die Regelung im Nicht-Emissionshandelsbereich, die zulässt, dass fast drei Viertel der Reduktionsmengen durch den CDM kommen.

Es wird vermisst, dass die Einnahmen aus den Auktionierungserlösen nicht bindend für Klimaschutz (Emissionsminderung und Anpassung) in Entwicklungsländern ausgegeben werden müssen.

Begrüßt wird der Sachverhalt, dass im Emissionshandelsbereich die Obergrenzen EU-weit (und nicht wie bisher national) gesetzt werden und dass in den meisten Mitgliedsstaaten der Stromsektor 100 Prozent seiner Emissionserlaubnisse über Auktionierung beschaffen muss.


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Gefährdet Gletscherschmelze im Himalaja Wasserversorgung für 500 Millionen Menschen?

Rückzug von Eis auf dem Dach der Welt

Mit einer neuen Bohrkernuntersuchung liegen weitere Fakten zum Rückgang der Himalajagletscher vor. Die von einem internatioalen Team um Natalie Kehrwald von der Ohio State Universität durchgeführten Untersuchungen reihen sich damit in aktuelle Studien zur Situation der Hochgebirgsgletscher ein. Die Ergebnisse der Eisbohrkernuntersuchungen stammen von einem der mächtigsten Himalajagletscher, und vieles spricht dafür, dass sich unter vergleichbaren klimatischen Bedingungen die anderen Gletscher ähnlich verhalten.

Germanwatch übersetzt Auszüge:

"Eisbohrkerne aus Gletschern zeigen weltweit zwei Schichten erhöhter Beta-Radioaktivität, resultierend aus den Atombombentests der 1950er und 1960er Jahre. Eisbohrkernen des Naimona'nyi Gletschers im Himalaja in Tibet von 2006 fehlen diese besonderen horizontalen Merkmale. Möglicher Grund ist ein Massenverlust an Eis seit den späten 1950er Jahren. Der Naimona'nyi ist einer der höchsten Gletscher (6050mNN), bei dem jährlicher Massenverlust dokumentiert wurde. Dies legt einen Massenverlust auch bei anderen hochgelegenen Gletschern der niedrigen und mittleren Breiten bei den gegebenen ErdErwärmungsszenarien nahe. Wenn die Klimabedingungen, welche die Massenentwicklung des Naimona'nyi-Gletschers bestimmen, ähnliche Auswirkungen auf die anderen nahegelegenen Gletscher haben, können die Auswirkungen auf die Wasserversorgung ernst sein, da diese Gletscher den Oberlauf des Indus, Ganges und Brahmaputra speisen, eine der am dichtesten bevölkerten Regionen der Welt. (...)

Der gegenwärtige Rückzug der Gletscher des Tibetanischen Hochplateaus betrifft etwa eine halbe Milliarde Menschen. (...) Für Regionen, deren Wasserversorgung von Schmelzwässern (Schnee/Eis) dominiert wird, können Unterbrechungen der Wasserversorgung aufgrund der gegenwärtigen Erwärmung vorhergesagt werden. Die Entwicklung der Massenbilanz von Gletschern im Himalaja ist hinsichtlich der umfangreichen gesellschaftlichen Auswirkungen besorgniserregend. (...)

Geographische Regionen, in denen die Wasserversorgung durch Schmelzwasser erfolgt, werden unter der globalen Erwärmung besonders leiden. Negative Auswirkungen wie saisonale Schwankungen der Wasserversorgung, Flutrisiken und höhere Niederschlagsvariabilität werden eventuelle Vorteile durch kurzfristig höhere Abflussmengen überkompensieren. Eisfelder des tibetanischen Hochplateaus sind eine kritische Wasserressource für ein Sechstel der Menschheit, da sie während der Trockenzeit Schmelzwasser in bedeutende Flüsse speisen. (...) Indus und Ganges haben wenig Wasser in der Trockenzeit und drohen bei fortschreitendem Klimawandel und steigendem Wasserbedarf zu saisonalen Flüssen zu werden. Prognosen der Oberfläche der tibetanischen Hochlandgletscher sehen einen Rückgang von 500.000 km² im Jahr 1995 auf 100.000 km² bis 2030. (...)"

Quelle: Kehrwald et al. 2008: Mass loss on Himalayan glacier endangers water resources, Geophys. Res. Lett., 35, L22503, doi:10.1029/2008GL035556

Abstract: www.agu.org/pubs/crossref/2008/2008GL035556.shtml

Volltext (kostenpflichtig): www.agu.org/journals/gl/gl0822/2008GL035556/

Kommentare:
http://gristmill.grist.org/story/2008/11/26/123048/46
www.abc.net.au/science/articles/2008/11/25/2428885.htm?site=science&topic=latest


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KlimaKompakt Spezial Nr. 63, 31. Dezember 2008
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2009