Universität Hohenheim - 20.04.2015
DFG verlängert Förderung: In Ba-Wü entsteht Klimamodell mit nie dagewesener Präzision
2 Mio. Euro für weltweit einmaligen Ansatz: Deutsche Forschungsgemeinschaft bewilligt weitere 3 Jahre Förderung für Forschergruppe der Universität Hohenheim
Was wächst auf welchem Acker, wie unterscheidet sich das Klima in Tal- und Hanglage und wie wirken sich die neuen Klimaverhältnisse auf Arbeitsbedingungen, Produktqualität und Einkommen der Landwirte aus: In Baden-Württemberg rechnet ein Hochleistungsrechnern derzeit an einer Zukunftsprognose der Universität Hohenheim, die Fragen wie diese auf den Quadratkilometer genau beantworten soll. Möglich wird dies, weil die Forschergruppe "Regionaler Klimawandel" (FOR 1695) Physiker, Bodenwissenschaftler, Pflanzenwissenschaftler und Agrarökonomen zu einem Team zusammenschweißt. Ein weltweit einmaliger Ansatz, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG jetzt für weitere 3 Jahre mit 2 Mio. Euro unterstützt. 2018 soll das Projekt abgeschlossen sein.
Es ist feuchtschwül im Jahr 2030. 50% der Landwirte bei Pforzheim haben sich auf Soja-Anbau spezialisiert. Die Landwirte bei Nellingen auf der Schwäbischen Alb setzen auf den wärmeliebenden Hartweizen.Oder wird es heißtrocken, sehr wechselhaft und die Landwirte verhalten sich ganz anders? Mit ihren Hochleistungsrechnern bohren die Forscher der Universität Hohenheim derzeit einen Tunnel in die Zukunft, um einen unerreicht scharfen Blick auf zwei Modellregionen im Kraichgau und auf der Schwäbischen Alb zu werfen. Geerdet wird das Computermodell durch Wetterbeobachtungen, Bodenmessungen, Betriebsumfragen und Laborexperimente. 1.400 Quadratkilometer umfasst das Versuchsgebiet "Kraichgau" bei Sinsheim. 1.300 Quadratkilometer das Versuchsgebiet "Mittlere Schwäbische Alb" bei Münsingen.
"Eine Projektion" nennen die Forscher eine solche Prognose mit genau festgelegten Randbedingungen. Im Gegensatz zu bisherigen Prognosen enthält der Ansatz der Universität Hohenheim jedoch einige entscheidende Neuerungen. "Für globale Trends sind unsere heutigen Klimamodelle geeignet. Aber sie vereinfachen die Welt und sind für regionale und lokale Analysen zu ungenau", erklärt Prof. Dr. Thilo Streck, Sprecher der Forschergruppe an der Universität Hohenheim. In dem aktuellen Projekt geht es der Forschergruppe deshalb vor allem um Grundlagenforschung. Ihr Ziel: die aktuellen Klimamodelle so zu verfeinern, dass regionale Prognosen fundamental verbessert werden können.
Es sind vor allem 3 Unschärfen, bei denen es die Forscher der Universität Hohenheim künftig genau nehmen wollen:
Die Arbeitsgruppe der Universität Hohenheim verschmilzt deshalb mehrere Computermodelle zu einem neuen, das es mit diesen Punkten wirklich genau nimmt. Den Kraichgau und die schwäbische Alb wählten die Forscher als Beispiel für ihre Entwicklung, weil beide jetzt schon ein sehr unterschiedliches Regionalklima haben. Konkret koppeln die Forscher derzeit Schritt für Schritt verschiedene Einzelmodelle für Klima, Pflanzenwachstum und Landnutzung. Für jede Verfeinerung müssen die Hochleistungscomputer mehrere Monate lang rechnen.
Die Wechselwirkungen zwischen Bodeneigenschaften, Vegetation und der
Wolken- und Niederschlagsbildung in der Atmosphäre sind besonders
komplexe Prozesse. Vollständig verstanden sind sie bis heute nicht.
Jede Vereinfachung verstärkt deshalb die Ungenauigkeit des
Ergebnisses, betont Prof. Dr. Volker Wulfmeyer. "Was nutzt einem
Landwirt oder Tourismus-Manager der durchschnittliche Niederschlag
seiner Gemeinde, wenn der tatsächliche Niederschlag auf einer Talseite
doppelt so hoch ist wie auf der anderen", fragt er als Leiter des
meteorologischen Teils des Projektes.
Sein bevorzugtes Messgerät ist deshalb das Lidar: Ein weltweit
einzigartiger Speziallaser, der Luftfeuchtigkeit und
Feuchtigkeitsströme dreidimensional in der Atmosphäre misst. Vor 8
Jahren initiierte er ein UN-Projekt, bei dem 8 Nationen mit 10
Forschungsflugzeugen und dem jeweils besten Equipment ihres Landes die
Wetterprozesse über dem Schwarzwald erstmals genau analysierten.
Wissenschaftlich war das Neuland, denn kleine Mittelgebirge sind bei
den Atmosphärenprozessen besonders trickreich. Erkenntnisse aus diesem
und anderen Projekten fließen nun in sein physikalisch-
meteorologiesches Klimamodell ein. Dieses Modell bildet die Basis für
die Forschergruppe der Universität Hohenheim. Für Westeuropa sagt es
das Klima auf 12 Kilometer genau voraus. Für Deutschland wird die
Genauigkeit der Prognose bei 3 km liegen. In den Modellregionen wird
sie das Klima auf 1 km genau projizieren.
Weizen, Raps, Grünland, Mais und Gerste: All diese Pflanzen arbeiten
als Pumpe, die Feuchtigkeit aus dem Boden ziehen und in die Atmosphäre
verdunsten. Außerdem wirken ihre Blätter als Spiegel, die Teile des
Sonnenlichts ins All reflektieren. Und das sind nur zwei Beispiele für
den Einfluss, den Pflanzen auf Wetter und Klima ausüben.
Um diesen Effekt zu berechnen, arbeiten die Forscher um Prof. Dr.
Streck mit einem eigenen Computermodell. Darin sind nicht nur die
derzeit gängigen Ackerfrüchte enthalten. "Wir rechnen damit, dass
durch den Klimawandel bald auch Ackerfrüchte angebaut werden, die hier
bislang noch nicht wirklich heimisch sind. Dazu gehören zum Beispiel
Durum, Soja oder in verstärktem Maße die Sonnenblume", meint der
Leiter des Teilbereiches für Boden und Pflanze und Sprecher der
gesamten Forschergruppe. Erste Ergebnisse kann Prof. Dr. Streck schon
nennen: "Unsere Berechnungen zeigen schon jetzt, dass es einen enormen
Einfluss hat, ob ein Acker Feldfrüchte wie Winterweizen trägt, der den
Boden bereits im Frühjahr bedeckt, oder ob Landwirte z.B. Mais
anbauen, der den Boden erst im Spätjahr bedeckt." Aktuell sind die
Forscher dabei das Klimamodell von Prof. Dr. Wulfmeyer mit dem
Pflanzenmodell zu verfeinern. "Damit wäre der biophysikalische Teil
des Modells bereits wesentlich verbessert und wir können den Faktor
Mensch hinzufügen."
Welche Pflanzen in Zukunft auf welchem Acker wachsen ist jedoch nicht
dem Zufall geschuldet, sondern eine bewusste Entscheidung der
Landwirte. Und diese fällen ihre Entscheidungen hauptsächlich nach
betriebswirtschaftlichen Aspekten. Der vielleicht ambitionierteste
Teil des Projektes ist es, auch diese Entscheidungen mit in die
Klimamodellierung aufzunehmen.
In sein agrarökonomisches
Computermodell ließ Agrarökonom Prof. Dr. Thomas Berger deshalb die
anonymisierten Daten von 3.700 landwirtschaftlichen Betrieben aus
Baden-Württemberg aus der amtlichen Agrarstatistik aufbereiten. Dazu
gehörten zum Beispiel detaillierte Angaben zu Betriebsstruktur,
Maschinenausstattung und Vermarktungswegen. Um zusätzliche Daten zu
gewinnen wie Landwirte mit unsicheren Wettererwartungen umgehen, führt
Prof. Dr. Berger mit seinem Team spezielle ökonomische
Laborexperimente durch. Im Computerlabor konfrontieren sie Landwirte
aus der Region mit möglichen Zukunftsszenarien wie Extremwetter und
hohe Ernteverluste und zeichnen auf, wie sie sich in diesen
Situationen entscheiden.
Mit diesen Ergebnissen soll das Computermodell abschätzen können, wie
sich die Landwirte an den Klimawandel anpassen. Dass diese innovative
Kombination von Agrardaten und Laborexperimenten funktioniert, bewies
Prof. Dr. Berger bereits mit einem Praxistest: Auf einem Workshop
präsentierte er 30 Landwirten verschiedene typische Betriebe aus der
Agrarstatistik und legte ihnen eine Reihe Vorschläge für die
Bewirtschaftung im kommenden Jahr vor.
Jeweils einen Bewirtschaftungsplan für den Betrieb hatten "reale"
Landwirte konzipiert, die anderen fünf Pläne stammten von "virtuellen"
Landwirten aus dem Computermodell. Ergebnis: Selbst die erfahrenen
Praktiker aus Baden-Württemberg konnten nicht unterscheiden, welcher
Betriebsplan von Menschen und welcher vom Computer aufgestellt worden
war. Möglich macht dies eine sogenannte Multi-Agententechnologie, bei
der viele kleine Computerprogramme mit künstlicher Intelligenz
ausgestattet werden, um Fragen wie die Anbauplanung autonom zu
analysieren und betriebliche Maßnahmen zur Klimaanpassung zu
entwickeln. Auch politische Rahmenbedingungen wie EU-Subventionen o.ä.
werden bei diesem Ansatz berücksichtigt.
Was immer die Forscher für die kommenden Jahre berechnen: In den
Klimakammern von Prof. Dr. Fangmeier ist jedes Klima der Zukunft schon
heute Möglichkeit. Die mannshohen Versuchsschränke des Agrarbiologen
sind voll mit feinster Regelungstechnik. Darin stehen Töpfe mit Weizen
und einem genau geregelten Tagesablauf: ob Sonnenauf- und -untergang,
ob Regenzeiten und -menge, sogar die Zusammensetzung der Luft und ihr
CO2-Gehalt: alle Umweltbedingungen sind computergesteuert und lassen
sich jedem Szenario anpassen.
Was den Leiter des Teilprojektes "Produktqualität" interessiert, sind
die Auswirkungen des Klimawandels auf die Pflanzen. Bringen sie mehr
Ertrag oder weniger? Und wie verändert sich die Qualität? Denn: wenn
Treibhausgase zunehmen, ändert sich auch die chemische Zusammensetzung
im Korn. "Das hat zum Beispiel Auswirkungen auf die Klebeeigenschaften
von Weizen beim Brotbacken oder auf die Fettsäurezusammensetzung und
den Energieertrag von Raps", so Prof. Dr. Fangmeier. Auf diese Weise
ergänzt der Agrarbiologe die zentrale Entwicklungsarbeit der
Forschergruppe. Und auch diese Änderungen könnten klimarelevant sein,
denn sie beeinflussen den Strahlungshaushalt im System
Boden-Pflanze-Atmosphäre. Doch diese Fragen sind beim aktuellen
Projekt - noch - ausgespart.
In den nächsten 2 Jahren will die Forschergruppe die biophysikalischen und agrarökonomischen Einzelmodelle zu einem Gesamtmodell verschmelzen und auf dem Hochleistungsrechner Simulationen rechnen. "Für unser Projekt ist der Weg das Ziel", erklärt Sprecher Prof. Dr. Streck: "Wir wollen erkennen, welche Effekte von den aktuellen Klimamodellen vernachlässigt werden, wie stark sich das vor Ort auswirkt und wie sich diese Schärfen ausmerzen lassen."
Ziel der Forschergruppe ist die Folgen des globalen Klimawandels für Agrarlandschaften am Beispiel zweier unterschiedlicher Modellregionen in Südwestdeutschland auf einer regionalen Skala zu untersuchen und Prognosen für ihre Entwicklung bis 2030 abzuleiten. Mit ihrer hohen räumlichen Auflösung auf 1 km und ihrer interdisziplinären Konstellation besitzt die Forschergruppe im Vergleich zu zahlreichen anderen Verbünden im Bereich der Klimaanpassungsforschung ein Alleinstellungsmerkmal. Die Gutachter der DFG bescheinigen der Forschergruppe ein "sehr ambitioniertes Gesamtvorhaben" mit "ausgesprochen großem wissenschaftlichen Anspruch". Nach einer ersten Förderphase von 2012 bis 2015 mit 2,5 Mio. Euro Förderung verlängerte die DFG deshalb jetzt um weitere drei Jahre mit einer Förderung von 2 Mio. Euro.
Text: Klebs
Die gesamte Pressemitteilung erhalten Sie unter:
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Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution234
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Hohenheim, Florian Klebs, 20.04.2015
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E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2015
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