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WASSER/144: Mongolei - Staudammprojekt bedroht indigene Hirten, Wasser aus dem Orkhon wird umgeleitet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Juli 2013

Mongolei: Staudammprojekt bedroht indigene Hirten - Wasser aus dem Orkhon wird umgeleitet

von Michelle Tolson


Bild: © Michelle Tolson/IPS

Der Orkhon-Fluss
Bild: © Michelle Tolson/IPS

Provinz Selenge, Mongolei, 22. Juli (IPS) - Die Hirtin Tsetseghkorol lebt seit 40 Jahren am Orkhon-Fluss, dem mit 1.124 Kilometern längsten Strom der Mongolei. "1992 war der Fluss noch breit, tief und sauber", berichtet die die fünffache Mutter. "Jetzt ist er schmutzig und schmal."

Tsetseghkorols Nachbarin Dashdavaa, die im Verlauf ihres über 60-jährigen Lebens neun Kinder zur Welt gebracht hat, ist nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem dadurch bedingten Verlust ihres Arbeitsplatzes als Kindergärtnerin 1992 in die Provinz Selenge gezogen. Auch sie ist eine Subsistenz-Hirtin, die auf das Wasser des Orkhon angewiesen ist.

Gewiss, der Klimawandel fordert seinen Preis. Doch geht die derzeit größte Gefahr für die lokalen Hirten von einem Staudammprojekt aus, das nach Angaben der Umweltorganisation 'Rivers without Boundaries' von der Weltbank finanziert wird. Die Menschen hatten so sehr gehofft, dass das Vorhaben aufgrund ihres jahrelangen Widerstands ad acta gelegt wurde.

Das Orkhon-Becken, das sich über 343.000 Quadratkilometer erstreckt, bietet 55 Prozent der insgesamt 2,9 Millionen Einwohner der Mongolei eine Existenzgrundlage, Trotz der Auswirkungen des Klimawandels ist das Flussbecken im Vergleich zum Rest des Landes nach wie vor grün. 72 Prozent des zentralasiatischen Landes bestehen aus Wüste. Das Flusstal wurde von der Weltkulturorganisation UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt.


Pipeline soll Wasser in die Gobi-Wüste bringen

Gefahr droht der Idylle in Gestalt des 35 Kilometer südwestlich der Stadt Bulgan geplanten Staudammprojekts. Von dort aus soll Wasser durch eine 900 Kilometer lange unterirdische Pipeline in die südliche Gobi-Region gepumpt werden. Das Grundwasser in diesem Gebiet droht in den kommenden zehn Jahren komplett zu versiegen, wenn nicht umgehend zusätzliche Quellen erschlossen werden.

Der 2008 im Westen der Mongolei am Zavkhan-Fluss angelegte Taishir-Damm hat bereits verheerende Folgen für die dort lebenden Nomaden gehabt und den Fortbestand bedrohter heimischer Fischarten weiter gefährdet.

Einer Webseite über das Orkhon-Projekt ist zu entnehmen, dass ein Staubecken mit einem Fassungsvermögen von 700 bis 800 Millionen Kubikmeter Wasser sowie ein Kraftwerk mit einer Leistung von 25 bis 30 Megawatt vorgesehen sind. Die Projektverantwortlichen versichern, dass lediglich fünf Prozent des Flusswassers umgeleitet werden.

Doch Experten zufolge wird die Menge je nach Jahreszeit variieren. Von November bis April ist der Orkhon immer zugefroren. Der Druck auf den Fluss wird also in den Monaten am größten sein, in denen der Wasserstand niedrig ist. "Da der Orkhon und sein Nebenfluss Tuul ohnehin schon die am stärksten ausgebeuteten Flüsse der Mongolei sind, könnte bereits die Umleitung weiterer fünf Prozent Wasser ernsthafte Probleme hervorrufen", warnte Eugene Simonov von Rivers without Boundaries.

Bild: © Michelle Tolson/IPS

Tausende von Hirten sind auf die Flüsse angewiesen, um ihre Viehherden zu tränken
Bild: © Michelle Tolson/IPS

Wie aus einem Bericht des mongolischen Wasserzentrums hervorgeht, wird das Wasser durch acht Städte geleitet, bevor es das Gebiet erreicht, in dem sich die staatliche Tavan-Tolgoi-Kohle- und die Oyu-Tolgoi-Kupfermine befinden. Die Kupfermine liegt 350 Kilometer von der Hauptstadt Ulaan Bator entfernt. Die Regierung hofft durch die Förderung des Metalls das Bruttoinlandsprodukt der Mongolei um 30 Prozent zu steigern. Ihr Wert wird derzeit auf rund 6,6 Milliarden US-Dollar geschätzt.


Bergbau verbraucht riesige Mengen Wasser

Der Bergbau ist bereits eine starke Belastung für die Umwelt in der Region. Hirten in der Gobi-Wüste berichten, dass ihre Brunnen aufgrund der Förderaktivitäten austrocknen. Die Minen verbrauchen täglich etwa 191.000 Kubikmeter Wasser, wie die Weltbank in einer 2010 veröffentlichten Untersuchung über die südliche Gobi-Region feststellte. Die Hirten verbrauchen zusammen genommen nur 31.600 Kubikmeter Wasser und die Haushalte weitere 10.000 Kubikmeter.

Nach Angaben des mongolischen Umweltministeriums werden die Hirten und die übrigen Einwohner der Gobi-Region am meisten von dem Staudammprojekt profitieren. Doch Machbarkeitsstudien zeigen, dass die Bergbauindustrie 50 Prozent des Wassers verbrauchen wird, während 30 Prozent für die Bewässerung der Felder und lediglich 20 Prozent für die Herden und die Haushalte zur Verfügung stehen werden. Dabei liefert die Region bisher 40 Prozent des in der Mongolei benötigten Weizens. Etwa 100.000 Menschen brauchen das Wasser aus dem Orkhon, um ihre Felder zu bewässern und die rund 1,3 Millionen Nutztiere am Leben zu erhalten.

Die Regierung ist auf die finanzielle Beteiligung der Minenbetreiber angewiesen, um die exorbitanten Baukosten aufbringen zu können. Zunächst war das Dammprojekt als nicht rentabel beurteilt worden, doch die enormen Preissteigerungen für Grundwasser in den vergangenen Jahren haben die Erschließung neuer Wasserquellen zunehmend attraktiv gemacht. Die Kosten für Grundwasser sind von acht US-Cent pro Kubikmeter inzwischen auf 1,07 bis 6,74 Dollar in die Höhe geschnellt - je nach Qualität des Wassers.

Die Preiserhöhung, die Industriebetriebe von einer übermäßigen Nutzung des knappen Grundwassers abhalten soll, trifft auch die Oyu-Tolgoi-Kupfermine, die von den mongolischen Regierung (Anteile von 34 Prozent) und dem kanadischen Konzern Rio Tinto (Anteile von 66 Prozent) betrieben wird.

Der ursprüngliche Vertrag sah vor, dass Rio Tinto seinen Wasserbedarf aus einem Salzwasser-Aquifer decken kann, das 2003 etwa 35 Kilometer von der Mine entfernt entdeckt worden war. Nach Angaben des Bergbauministeriums darf der Konzern 40 Jahre lang 20 Prozent der Quelle nutzen. Nach Angaben von Mark Newby, der die Kupfermine in Wasserfragen berät, liegen die Wasserkosten für das Unternehmen aufgrund der Preisanstiege inzwischen aber "40 mal so hoch wie ursprünglich vereinbart". Von der geplanten Flussumleitung werde die Mine aber keinen Nutzen ziehen, versicherte er.

Die beiden Hirtinnen Dashdavaa und Tsetseghkorol verstehen zwar, dass die Menschen in Gobi Wasser brauchen. Doch fürchten sie um ihre eigene Existenz, sollte das Projekt realisiert werden. "Dann könnte unsere Region zu einem zweiten Gobi werden." (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.minis.mn/eng/procurement/bids/bids-under-evaluation/104-request-for-expression-of-interest-selection-of-individual-local-consultant-for-qorkhon-gobiq-project
http://www.transrivers.org/about/
http://siteresources.worldbank.org/INTMONGOLIA/Resources/Tsedenbaljir_Presentation.pdf
http://en.cgs.gov.cn/Achievement/The34thCongress/Ecology/18243.htm
http://www.ipsnews.net/2013/07/river-diversion-project-spells-disaster/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 22. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2013