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WASSER/039: Kasachstan - Fische, Vögel und Ried, ein Stück Aralsee wird erfolgreich renaturiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. November 2011

Kasachstan: Fische, Vögel und Ried - Ein Stück Aralsee wird erfolgreich renaturiert

von Christopher Pala


Akbaste, Kasachstan, 3. November (IPS) - Als ausgewiesener Experte für die Entwicklung des Aralsees ist Philip Micklin von dem Tempo beeindruckt, mit dem Fauna und Flora an den nördlichen Teil des Gewässers, dem Kleinen Aralsee, zurückkehren. Dank eines vor sechs Jahren fertig gestellten Deichs ist der Wasserspiegel des vom Syrdaria gespeisten Sees um zwei Meter gestiegen. Gleichzeitig ging der Salzgehalt des Gewässers um zwei Drittel zurück. Einheimische Fischer ziehen wieder gefüllte Netze an Land, und am Ufer wächst ausreichend Schilf, in dem Millionen Wasservögel wie Enten, Strandläufer, Schwäne und Flamingos nisten.

Der Geographieprofessor Micklin von der Universität von West-Michigan in Kalamazoo verfolgt seit vielen Jahren die Entwicklung des Aralsees. Auf einer zweiwöchigen Expedition konnte er sich vor Ort davon überzeugen, wie das Ökosystem am Kleinen Aralsee allmählich die katastrophalen Umweltschäden der vergangenen Jahrzehnte verkraftet. "Der Salzgehalt des Wassers ist geringer als erwartet", sagte er IPS, während er dem klaren Seewasser Proben entnahm. "Es ist erstaunlich, wie rasch es sich erholt."

Als die Sowjetregierung in den 60er Jahren begann, den größten Teil des Wassers aus den beiden Flüssen Amudaria und Syrdaria, die in den abflusslosen Aralsee mündeten, in Bewässerungsanlagen für riesige Baumwollplantagen abzuleiten, war das Schicksal des damals mit 60.000 Quadratkilometer viertgrößten Binnensees besiegelt. "Sie hatten sich ganz bewusst für die Baumwolle und gegen die Fische entschieden", stellte Micklin fest. Um auf den Plantagen möglichst hohe Erträge zu erzielen, wurden sie mit einem gigantischen Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden bewirtschaftet. "Die Baumwolle wurde vor allem für Militäruniformen und die Produktion von Schießpulver verwendet", betonte der Wissenschaftler.

Auch Usbekistan, dem nach seiner Unabhängigkeit 1991 der südliche Teil des Aralsees samt dem Amudaria zufiel, dem im Pamirgebirge entspringenden Fluss, setzte ungeachtet der Umweltschäden weiter auf Baumwolle. Ihr Export ist für die Regierung des zentralasiatischen Landes der wichtigste Devisenbringer.

Inzwischen ist der Aralsee auf zehn Prozent seiner früheren Fläche geschrumpft und in drei Teile zerfallen. Die Versalzung stieg so stark an, dass Fische nur noch im Mündungsdelta der Flüsse überleben konnten. Sandstürme fegten über die ohnehin arme zentralasiatische Region hinweg und verursachten nach Auskunft einheimischer Ärzte bei den Einheimischen schwere Atemwegserkrankungen.

In dem am wenigsten mit Salz belasteten nördlichen Teilstück, dem Kleinen Aralsee, bemühte sich Kasachstan zur Versorgung der betroffenen Landbevölkerung um die Ansiedlung einer salzresistenten Flunderart. Im usbekischen Teil des verbliebenen Aralsees ist der Salzgehalt viermal so hoch wie der von Meerwasser. Hier überleben nur Garnelen.

Mit der zunehmenden Verlandung des Aralsees wurde aus Aralsk, der ehemaligen Hafenstadt am Nordufer mit eigenem Flughafen und einer florierenden Fischindustrie, ein verlassener Ort, ebenso trostlos wie die rund 200 Schiffswracks, die 30 Kilometer vom Ufer entfernt in der Wüste vor sich hin rosteten. Jahrzehnte lang dienten sie Falken als Nistplätze und als Schattenspender für Pferde, Kühe und Kamele. Inzwischen wurden die meisten auseinander geschweißt und als Schrott nach China verkauft.

2005 begann Kasachstan am Kleinen Aralsee, in den der Syrdaria mündet, mit finanzieller Unterstützung der Weltbank mit dem Bau eines 86 Millionen US-Dollar teuren und 13 Kilometer langen Damms. Er soll das Abfließen des Wassers verhindern und den Verlust durch verdunstendes Oberflächenwasser einschränken. Inzwischen hat sich das Seegebiet, in dem auch wieder Süßwasserfische gedeihen, um 18 Prozent ausgedehnt.

Die erfolgreiche Renaturierung hat den Anwohnern des Kleinen Aralsees einen spektakulären Fischzuwachs beschert. Mehr als zwölf Fischarten haben ihr Rückzugsgebiet im Mündungsdelta des Syrdaria verlassen und sind in den See zurück gewandert. Im Schilf der seichten Ufergebiete, das auch Millionen von Vögeln als neuer Lebensraum dient, haben sie sich in atemberaubendem Tempo vermehrt.

Auch wenn einheimische Fischer jetzt jährlich etwa 5.000 Tonnen Fisch in ihren Netzen haben, schätzen Experten, dass sich der Fischbestand im Kleinen Aralsee in knapp sechs Jahren von 3.500 auf 18.000 Tonnen vergrößert hat. "Und er wächst weiter", erklärte Zaualchan Jermachanow, der für die regionale Fischerei zuständige Direktor. Er untersucht in einer wissenschaftlichen Studie die mit so genannten Kiemennetzen erzielten Fangerträge. "Ich würde mich nicht wundern, wenn der Fischbestand in fünf Jahren auf 40.000 Tonnen ansteigen würde", meinte er zuversichtlich.

Nicht nur in den Fischerdörfern, auch in der Umgebung macht sich inzwischen der wirtschaftliche Aufschwung bemerkbar. In Aralsk hat sich wieder eine Fischfabrik mit 41 Arbeitsplätzen angesiedelt, die Zander und andere Fische verarbeitet und weiter entfernte Städte beliefert. Der Fabrikleiter denkt bereits über Exporte in die Europäische Union nach. Eine weitere Fischfabrik wird in der Nähe von Aralsk gebaut.

Im Fischerdorf Akbaste sind am Abend mehr als zwölf kleine Boote unterwegs, um prall gefüllte Kiemennetze einzuholen. Fischereimanager Jermachanow schätzt, dass ein einheimischer Fischer im Monat umgerechnet bis zu 2.000 US-Dollar verdienen kann.

"Der Damm hat unser Leben verändert, die Menschen kehren hierher zurück", berichtete der 79-jährige Fischer Nargali Demeiuow. Sein Sohn besitzt einen Nissan-Pickup. Sein Enkel, der seit 16 Jahren die Dorfkinder unterrichtet, hat festgestellt, dass seine Schüler jetzt besser ernährt und deshalb aufmerksamer sind.

Micklin betonte: "Aus der Erfahrung lernen wir, dass sich selbst der Rest eines Ökosystems renaturieren lässt, wenn sein Artenbestand dort überleben konnte." (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2011