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WASSER/009: Brasilien - Wasserwege als günstiges Transportnetz noch zu wenig genutzt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Januar 2011

Brasilien: Vorfahrt für Wasserwege - Als günstiges Transportnetz noch zu wenig genutzt

Vom Mario Osava


Brasilia, 24. Januar (IPS) - José Alex de Oliva hat einen Traum. Nach Ansicht des Chefs der brasilianischen Behörde für die Binnenschifffahrt (ANTAQ) bietet ein gut erschlossenes, von Venezuela bis Argentinien, vom Orinoco bis zum Rio de la Plata reichendes Wasserwegenetz eine kostengünstige Alternative zu Südamerikas aufwändigen Fernstraßen und Eisenbahnschienen. Der Brasilianer wirft den zuständigen Regierungsbehörden seines Landes, der mächtigen Lobby der Energiewirtschaft und bestimmten Interessengruppen vor, aus Ignoranz das Transportpotential der großen brasilianischen Ströme zu vernachlässigen.

Sein mehr als 30-jähriges hartnäckiges Engagement für die Nutzung der Wasserwege hat dem Experten den Spitznamen 'Don Quijote der Flüsse' eingebracht. Auf den nachhaltigen Erfolg seiner Vorschläge wartet er bislang vergeblich.

Im Gespräch mit IPS verwies der beamtete Aktivist auf die Schleusen am Tocantins-Fluss im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará. Es hatte mit einigen Unterbrechungen 29 Jahre gedauert, bis sie im November vergangenen Jahres in Betrieb genommen wurden. Wenn das Projekt mit dem Bau des 1984 fertig gestellten Wasserkraftwerks am Ufer des Tocantins koordiniert worden wäre, dann hätte man zwei Drittel der am Ende anfallenden Baukosten von einer Milliarde US-Dollar gespart, meinte Oliva. Inzwischen verbinden die letzten 700 schiffbaren Kilometer des Tocantins das wirtschaftlich florierende Zentralbrasilien mit einem Hafen im Norden.

Nach Angaben des Nationalverbandes der Getreideexporteure (ANEC) sind die Transportkosten für die Agrarwirtschaft zwischen 2003 und 2009 um 147 Prozent gestiegen. 70 Prozent des Getreides werden nach Schätzungen des Verbandes mit Lastwagen transportiert.


Mehr Wasserwege, weniger Transportkosten

Im größten Land Südamerikas werde zu wenig in den Transport auf dem Wasser investiert, obwohl in Brasilien Straßenbau und Nutzung weit mehr kosten, kritisierte Oliva. "Das muss man den Menschen beibringen und ihre Vorurteile bekämpfen."

Flussschiffe lassen sich ein halbes Jahrhundert lang nutzen, ihre Lebensdauer ist damit doppelt so hoch wie die von Schiffen, die die Meere befahren, betonte Oliva. "Alle Flüsse sind schiffbar, es kommt nur auf die Art der Ladung an, die transportiert werden soll. Und für den Sporttourismus lassen sich sogar Stromschnellen und Felsen vermarkten."

Wegen des knapp bemessenen Schienennetzes spielt sich Brasiliens Frachtverkehr kostspielig und umweltschädlich zu 60 Prozent auf der Straße ab. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte Brasilien bei der Entwicklung der Infrastruktur vor allem auf den Straßenbau. "Damals hatte sich kein Wirtschaftszweig für den Ausbau von Wasserstraßen stark gemacht", berichtete Olivier Girardi von der Unternehmensberatung 'Macrologística'. "Doch allmählich schlägt der Wind zugunsten der Wasserwege um."

Es sei höchste Zeit zum Umdenken, betonte der Experte. In Brasiliens Mittelwesten, aber auch in anderen, weit vom nächsten Atlantikhafen entfernten Regionen boomt die Agrarwirtschaft. Jetzt macht sich der Mangel an infrastruktureller Logistik bemerkbar. Eisenbahnen seien nur dort vonnöten, wo schwere Massengüter aus den Bergwerken nach Übersee exportiert werden müssten.

In einer für die brasilianische Wirtschaft erarbeiteten Studie ('Norte Competitivo'/'Konkurrenzfähiger Norden') empfehlen die Experten von 'Macrologística', die logistischen Probleme der Urwaldregion Amazoniens am ehesten mit der Nutzung von Wasserwegen zu entschärfen. "Eisenbahnen wären die zweitbeste Option", heißt es in dem Bericht. Damit sich die hohen Investitionskosten lohnen, müsse man einen entsprechend großen Bedarf an diesem Transportmittel garantieren.

Der 2007 vom brasilianischen Transportministerium aufgestellte Plan für Logistik und Transport prognostiziert bis 2025 einen Anstieg des Güterverkehrs auf Flüssen von13 Prozent (2005) auf 29 Prozent.


Energieministerium begünstigt Elektrizitätswirtschaft

Die Verantwortung für die bislang vernachlässigte Nutzung der Wasserläufe für den Frachttransport liegt nach Ansicht von Befürwortern der brasilianischen Binnenschifffahrt vor allem beim Bergbau- und Energieministerium, das von der Energieindustrie den möglichst schnellen Ausbau der Elektrizität erwartete. So blieben die neuen Staudämme der Wasserkraftwerke oft ohne die obligatorischen Schleusen, die nach Ansicht der sich um den Auftrag bemühenden Bauherren die Energiekosten verteuert hätten.

Gerardi empfiehlt den Behörden, vor der Planung neuer Wasserkraftwerke am Tapajós, einem Nebenfluss des Amazonas, zunächst für die Schiffbarkeit des Flusses zu sorgen. Die Kosten für später gebaute Schleusen dürften auch nicht auf die Elektrizitätsunternehmen abgewälzt werden.

Weil es in Brasilien keine eigene Behörde und keine getrennte Verwaltung für Fluss- und Seehäfen gab und die dezentralisierte Hafenverwaltung später den Staatsunternehmen überlassen blieb, fehlte jede Möglichkeit zum Aufbau einer nationalen Schifffahrtspolitik. ANTAQ-Chef Oliva berichtete, die Mittel für verbesserte Wasserwege seien durch verschiedene, nicht kooperierende Behörden und Institutionen geschleust worden, so dass das administrative Durcheinander mögliche Privatinvestoren abschreckte.

Die Regulierungsbehörde ANTAQ wurde 2001 etabliert und erhielt die Oberaufsicht für die Flussschifffahrt. Mangels präziser politischer Vorgaben versucht sie, in Seminaren den Wasserwegen als alternative Transportwege die Wege zu ebnen. Dabei stößt sie auch bei vielen Umweltaktivisten auf Widerstand. Sie bestehen auf dem Erhalt von natürlichen Wasserfällen und protestieren gegen die Regulierung von Flussläufen. Die Ökologen kritisieren, die Strömungsgeschwindigkeit bedrohe die biologische Artenvielfalt in den betroffenen Flussregionen. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2011