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SOZIALES/020: Verlorene Zeit und Schimmer von Zuversicht bei den Dayak auf Borneo (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 113/2.2012

tropenwald
Entwurzelte Hoffnung
Von verlorener Zeit und dem Schimmer von Zuversicht bei den Dayak auf Borneo

von Christian Offer



Mitte September: Früher Morgen in Pasir Panjang - dem Dorf der Dayak-Ureinwohner auf dem "langen Sand" zwischen zwei Sumpfregionen im Süden Borneos. Ich schaue durchs Schlafzimmerfenster ins Zwielicht, es sieht aus wie Frühnebel - aber wo soll der herkommen? Es ist ausgehende Trockenzeit, und es hat drei Monate lang nicht geregnet, der Klimawandel macht`s möglich. Meine triefende Nase und die brennenden Augen verraten es mir: Es ist kein Nebel, es ist beißender Rauch ... Waldbrand-Zeit!

Jeden Tag erhält die städtische Feuerwehr des benachbarten Pangkalan Bun mehr als ein Dutzend besorgter Anrufe von Menschen, deren Häuser Gefahr laufen von den Flammen verschlungen zu werden. Feuerwehrmann Lino erzählt: "Mit Handschaufeln heben wir in unmittelbarer Nähe der Brände Gräben aus, die die Ausbreitung der Feuer verhindern sollen. Maximal vier Brände können wir pro Nacht bekämpfen - mal mehr, mal weniger erfolgreich. Die übrigen Brände fressen sich weiter durchs Land, bis sie keinen Wald mehr finden oder nach Tagen endlich gestoppt werden können. Wir setzen uns bei der Arbeit der Gefahr einer Rauchvergiftung aus. Mehr als zehn Jahre hält das hier niemand durch."

Die meisten Feuer werden illegal gelegt, um das Land für die Anlage von Ölpalmplantagen frei zu machen. Die Brandstifter sind zufrieden, wenn die Flammen auf intakte Waldgebiete übergreifen. Denn per Gesetz darf nur ökologisch geschädigter Wald in Plantagen umgewandelt werden. Nordin Abah von der Naturschutz-Organisation Save Our Borneo hat die Zahlen: "Wenn es hoch kommt, sind in Zentral-Kalimantan gerade einmal noch drei Prozent intakte Primärwälder vorhanden - und das nur in den Gebirgsregionen in der Nähe der Malaysischen Grenze. Wenn ihr hier im Süden Waldreste entdeckt, handelt es sich ausschließlich um ökologisch verarmte Sekundärwälder, die von der Palmöl-, Kautschuk-, Papier- und Teakholzindustrie beansprucht werden."

Krankheit und Armut - Unterpfand der Moderne

Fatal für die einheimische Bevölkerung ist, dass diese Entwicklung sie geradezu überrollt hat; noch vor 25 Jahren waren die meisten Tiefland-Regenwälder Borneos erhalten - heute sind es maximal noch 15 Prozent. Alleine zwischen 2003 und 2007 verlor die Insel 1,15 Millionen Hektar Wald pro Jahr - das entspricht einer Fläche von 100 mal 100 Kilometern. Hinter diesen nüchternen Zahlen stehen Hunderttausende von menschlichen Tragödien sowie eine gigantische Vernichtung von Natur- und Kulturerbe.

Die junge Dayak-Frau Riti aus Pasir Panjang erzählt: "Als ich zehn Jahre alt war, lebte ich mit meinen Eltern und meinen beiden Schwestern noch in einer kleinen Holzhütte mitten im Wald. Täglich gingen wir jagen, fischen und den Waldgarten bestellen." Die spärlichen Waldreste in der unmittelbaren Nähe des Dorfes geben heutzutage nicht einmal mehr genügend Früchte für den Eigenbedarf her. Die Fleischversorgung ist durch eine eigene Hühnerzucht gesichert. Gemästet wird das Federvieh mit industriellem Kraftfutter, getränkt wird es mit Antibiotika-Wasser Marke "Broiler".

Im Dorf zurück hat sich mittlerweile die Rauch-Suppe der Waldbrände mit dem Rauch des noch schwelenden Feuerhaufens vor dem Haus, auf dem am Vortag die allgegenwärtigen Plastikverpackungen der modernen Zeit verbrannt wurden, zu einem hochgiftigen Gasgemisch verdichtet. Aus beinahe jedem Haus ist in dieser Zeit Husten zu vernehmen - die Arztpraxen und Krankenhäuser quellen über von Asthmapatienten. Der Waldbrandrauch und die Dioxine aus den Plastikfeuern rufen hier unbekannte Erkrankungen hervor, gegen die kein traditionelles Heilmittel gewachsen ist. Allein in den vergangenen fünf Jahren sind in der 300-köpfigen Sippschaft der Dayak mindestens zehn Menschen an Krämpfen, blutigem Husten oder Hirnanfällen gestorben. Eine weitere Quelle, über die sich neuartige Umweltgifte in die Nahrungskette der Dorfbewohner einschleichen, sind Haushaltsabwässer, die ungeklärt im Boden versickern. Früher gab es nur Seife, die sich - aus Pflanzen gewonnen - in der Natur zu unschädlichen Fettsäuren auflöste. Heute leistet die Fernsehwerbung ganze Arbeit. Je giftiger eine Haushalts-Chemikalie, desto reißender ist ihr Absatz: denn was Bakterien und Ungeziefer tötet, muss gut für die Familien-Hygiene sein! Skrupel oder Verantwortung sind Fremdwörter für die Vorstände internationaler Großkonzerne wie Unilever, die in Indonesien jährlich Millionen von Tonnen Chemikalien verhökern. Allein die Ausfuhr Deutschlands von chemischen Produkten nach Indonesien belief sich im Jahr 2008 auf über 70 Millionen US-Dollar. Die ungebildete ländliche Bevölkerung sei schuld an der Misere, nicht die Produkte, so das Credo der Imageabteilungen der Konzerne. Dass es auf Borneo überhaupt keine Kanalisation gibt, scheint ihnen entgangen zu sein.

Wer sich informiert hat und weder seinen Wald noch sein Plastik abfackelt, vielleicht sogar auf traditionelle Waschsubstanzen zurückgreift, wird von der Realität eingeholt: Ölpalmplantagen fressen sich bis dicht an die letzten verbliebenen Gemeinde-Wälder der Dayak-Dörfer heran - und dies sogar meist ganz legal. Mit Leichtigkeit gelingt es Palmöl-Konzernen wie Wilmar, die einheimische Bevölkerung vom Segen der Palmfrüchte zu überzeugen. Pflanzen, Düngemittel und Pflanzenschutzmittel fürs erste Jahr werden kostenlos gestellt. Eine lebenslange Abnahmegarantie für die Palmfrüchte ködert die letzten Zweifler; der Gewinn pro Hektar werde verzehnfacht, so das vollmundige Versprechen der Spekulanten.

Dass Wälder nicht nur einen monetären, sondern auch einen subsistenten Wert entfalten, geht nicht in die Rechnung mit ein: Früher hat der Wald alles geliefert, was zum (Über-)Leben benötigt wurde - bei behutsamer Nutzung für alle Ewigkeiten. Medizin, Brenn- und Bauholz, Gerbstoffe, Seifen, Harze, Früchte, Fleisch, Trinkwasser - all dies sind bleibende, nichtgeldliche Werte eines intakten Naturwaldes. Seine Vernichtung stellt einen realen finanziellen Verlust dar, denn all diese Dinge müssen nach der Waldvernichtung teuer gekauft werden. Hinzu kommt, dass es durchschnittlich drei Jahre dauert, bis die Ölpalmen die ersten spärlichen Ernten erbringen. Ab dem zweiten Jahr müssen bereits Agrarchemikalien teuer nachgekauft werden. Produkte, mit denen sich die Kleinbauern ihr eigenes Wasser verseuchen und damit sich selbst und ihre Kinder vergiften. Krankheit und Armut - ein schweres Unterpfand für vermeintlichen Fortschritt!

Letzte Hoffnung

Aber bei den Dayak in Pasir Panjang gibt es Hoffnung: Erfolgreich haben sie bisher alle Versuche des Landraubs durch die Palmölindustrie in den Wind geschlagen und ihre Gemeindewälder zumindest auf einem Gebiet von etwa 1.000 Hektar erhalten können. Dafür gibt es einen simplen Grund: Seit nunmehr gut 30 Jahren arbeitet die gesamte Gemeinschaft in der lokalen Naturschutz-Organisation Orangutan Foundation International (OFI).

Vor 40 Jahren kam eine Deutsch-Kanadierin griechischer Abstammung, Dr. Birute Galdikas, als erste Primatologin zur Erforschung wilder Orang-Utans auf die große Insel, auf der es zu der Zeit kaum Straßen und so gut wie keine Elektrizität gab. Sie bereitete sämtlicher heute existierender Orang-Utan-Forschung den Weg. Als sie hautnah erfuhr, wie die Waldvernichtung sich immer mehr in die Landschaft fraß, führte Galdikas bahnbrechende Entscheidungen für den Naturschutz auf Borneo herbei. Ihr Engagement mündete vor 30 Jahren in die Gründung des ersten Nationalparks im indonesischen Teil Borneos - dem Taman National Tanjung Puting. Dort befindet sich bis heute das so genannte Camp Leakey, eine Forschungs-und Auswilderungsstation für gerettete Orang-Utan-Waisen. Als irgendwann der Park zur Betreuung der zunehmenden Zahl der Tiere nicht mehr ausreichte, wurde in etwa 20 Kilometer Entfernung vom Park in dem Waldgebiet der Dayak-Gemeinde vom "Langen Sand" eine weitere Klinik-, Quarantäne- und Aufzuchtstation für Orang-Utan-Waisen geschaffen. Mit ihr entstand die Organisation OFI.

Inzwischen warten über 350 Tiere in der Station auf ihre Auswilderung: allein, es fehlt der Wald dafür. Verzweifelt werden Flächen gesucht, aber entweder ist der Wald in den potenziellen Schutzgebieten zu sehr biologisch verarmt, oder es sind Naturwälder, in denen die natürlichen Orang-Utan-Populationen den Neu-Ankömmlingen zu große Konkurrenz machen würden.

Immerhin: In der Naturschutz-Organisation erleben die Dayak von Pasir Panjang, wie jedes Jahr weitere Flächen von Sekundärwald unter dauerhaften Schutz gestellt werden. Hier beschäftigen sie sich mit den Tieren des Waldes - ihres Waldes. Das Engagement für ihre angestammten Wälder hat bei den Dayak ihr traditionelles Verständnis für die Bedeutung des Waldes erhalten und sie stark gemacht im Kampf gegen eine veränderte Landnutzung, die ihnen von den Neusiedlern übergestülpt zu werden droht, die von nachhaltiger Waldnutzung noch nie etwas gehört haben.

Eine viel versprechende Zukunftsvision wäre, wenn die Dayak in Bildungs- und Öffentlichkeitsprojekten, Initiativen oder Kooperativen als MultiplikatorInnen fungieren könnten, um NeusiedlerInnen die Bedeutung der Wälder als Lebensgrundlage näher zu bringen und ihnen traditionelle angepasste Nutzungsformen zu erläutern, die die Wälder nutzen und gleichzeitig erhalten. Gemeinsam mit ihnen könnten sie alternative, ökologisch-soziale Landnutzungssysteme entwickeln, die gesellschaftlich stark genug sind, gegen die internationale Agrarlobby dauerhaft zu bestehen. Ein hehres Ziel, gewiss! Dass diese Hoffnung momentan nur vage sein kann, zeigt der Alltag der Dayak: So werden Familien­angehörige bei schweren Erkrankungen zwar ins Krankenhaus gebracht, jedoch niemals, ohne vorher vom spirituellen Heiler behandelt worden zu sein, der Heilpflanzen nur zur Unterstützung der Kraft der Naturgeister heranzieht. Die Zeremonien erscheinen vielschichtig und wohl durchdacht. Fragt man jedoch nach den Hintergründen der einzelnen Abläufe, so erntet man nur freundliches Schulterzucken. Beispiel Heilpflanzen: Selbst die jungen Dayak können bei einem Spaziergang durch den Waldgarten noch die Wirkung oder Anwendung aller Teile der Pflanzen beschreiben. Erkrankt aber eine Person, gehen sie nicht mehr in den Garten, um Medizin zu holen, sondern in die Apotheke. Und dort wird keine Naturmedizin gekauft, sondern die Produkte von Bayer und Co.

Noch kennen auch die jungen Dayak die Wirkung der Heilpflanzen

Die Dayaks sind sehr tolerant gegenüber verschiedenen Glauben und Lebenseinstellungen. Nachdem nur noch etwa die Hälfte der vor allem älteren Familienmitglieder ihre animistische Naturreligion behalten haben und eine Mehrheit der anderen Hälfte mehr oder weniger sanft christlich missioniert wurde, werden die anderen großen Religionen seit mehr als drei Generationen innerhalb der Familie toleriert - es gibt Muslime, Hindus und Buddhisten.

Wie alles hat aber auch diese Entwicklung ihre Kehrseite, denn mit der christlichen Missionierung hat die Entwurzelung der Dayak überhaupt erst ihren Anfang genommen: Die bis zu 500 Meter langen und bis zu 10 Meter hoch auf Stämmen von Urwaldriesen aufgeständerten Langhäuser, in denen die gesamte Sippschaft in abgetrennten Wohnungseinheiten lebte, wurde zwangsweise aufgelöst. Die Kleinfamilien wurden zum Leben in eigenen kleinen Häusern verpflichtet. Damit fielen die wichtigsten Teile des kulturellen Gemeinschaftslebens flach: Der intensive Austausch untereinander wie das Geschichtenerzählen, die gemeinsame Nahrungsbeschaffung, Vorratshaltung und Zubereitung der Nahrungsmittel. Heutzutage gehört selbst in den entlegensten Waldgebieten das ausschließliche Leben im Langhaus der Vergangenheit an. Die riesige Waldinsel Borneo hat den Mega-Boom Südostasiens spät abbekommen - dafür aber mit voller Breitseite. In weniger als zwei Jahrzehnten wurden die Dayak von der Moderne überrollt - vom analogen Waldbewohner zum digitalen Globalbürger. Diese Entwicklung wurde massiv vom Umsiedlungsprogramm der indonesischen Regierung befördert. Menschen aus dem überbevölkerten Java, die seit Generationen schon verlernt hatten, den Wald ökologisch zu nutzen, wurden mitsamt ihren Motorrädern und Fernsehern in der Natur ausgesetzt. Dass dabei Natur, Kultur, Religion und Lebensweise der Dayak auf der Strecke bleiben, war vorprogrammiert.

Christian Offer ist Waldökologe und setzt sich unter anderem für Naturschutz und Menschenrechte in Indonesien ein. Seine Frau entstammt einer Dayak-Gemeinde aus Süd-Borneo.
Kontakt: christian.offer@gmx.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- In diesem Heiligtum der Dayak im Süden Borneos, dem so genannten Schrein der Ahnen - Sependu, verbindet sich die Menschenseele mit beschützenden Geistwesen der Natur
Im Waldgarten der Dayak werden Pflanzenarten gefördert, die dem Menschen nutzen. Die Struktur des natürlichen Waldes wird beibehalten. Dadurch erhält sich das System von selbst - mitsamt der ökologischen Funktionen und der biologischen Vielfalt des Naturwaldes - Früher das artenreichste Ökosystem der Erde - heute eine Agrarindustrie-Wüste. In nur 25 Jahren wurden 85 Prozent des Waldes der Dayak auf Borneo vernichtet: zur Holzgewinnung, für die Papierindustrie sowie zum Aufbau von Palmöl-, Papier-, Gummi- und Teak-Plantagen (Foto: SOB/Abah Nordin) - Erwachsene Orang-Utans, die sich in die Plantagen retten konnten, werden erschossen - im Jahr 2009 alleine siebentausend Tiere. Ihre Babys werden häufig als Haustiere an reiche Stadtfamilien verkauft. Ein kleiner Teil der Orang-Utan-Waisen wird von MitarbeiterInnen der Naturschutz-Organisationen in jahrelanger liebevoller Arbeit auf das Leben im Wald vorbereitet. Leider fehlen inzwischen die Wälder für die Auswilderung
Auch heute noch kennen die Dayak die Geheimnisse der Pflanzen und Tiere: hier eine Knospe und eine Blüte der Lucu-Pflanze, deren Teile allesamt unterschiedliche heilende oder gesundheitsfördernde Wirkungen entfalten
Typisch für Fruchtbäume in den Waldgärten der Tropen: stammbürtige Früchte. Hier die Jackfruit, bei den Dayak Cempedak genannt
Die Gemeinschaft der Dayak funktioniert auch heute noch ähnlich wie vor Jahrhunderten, vor allem dann, wenn die bis zu 300 Menschen umfassende Sippschaft für Feste zusammenkommt. Hier bei den Vorbereitungen für eine Hochzeit
Zwar gibt es in den Dayak-Dörfern keine echten Langhäuser mehr, die früher bis zu 500 Meter lang und zwei Stockwerke hoch waren, aber die geständerte Bauweise wurde beibehalten. Sie schützt gegen Überschwemmung und Raubtiere
(Fotos, wenn nicht anders genannt: Christian Offer)

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 113/2.2012, Seite 18-20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2012