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SOZIALES/018: Brasilien - Nichts wie weg, Opfer der Metallindustrie fordern ihre Umsiedlung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. April 2012

Brasilien: Nichts wie weg - Opfer der Metallindustrie fordern ihre Umsiedlung

von Fabiola Ortiz


Dorf im Giftstoffnebel - Bild: © Mit freundlicher Genehmigung der Vereinigung der Nachbarn von Piquiá de Baixo

Dorf im Giftstoffnebel
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung der Vereinigung der Nachbarn von Piquiá de Baixo

Rio de Janeiro, 26. April (IPS) - Die 380 Familien in Piquiá de Baixo, einer Ortschaft im nordostbrasilianischen Bundesstaat Maranhão, wünschen sich nichts sehnlicher, als endlich umgesiedelt zu werden. Sie wollen dem Eisen- und Kohlenstaub entkommen, den die Schlote der umliegenden Eisenhüttenwerke ausstoßen.

Ihren Namen verdankt das Dorf dem Piquiá-Baum (Brasil-Eiche), der längst aus der Region verschwunden ist. In unmittelbarer Nachbarschaft hat Brasiliens Bergbauriese 'Vale' in den letzten 25 Jahren fünf Fabriken hochgezogen, in denen jedes Jahr 500.000 Tonnen Roheisen für die Stahlproduktion hergestellt werden.

Mit fatalen Folgen für die Anrainer, wie einer Studie des Zentrums für Infektionskrankheiten der Bundesstaatlichen Universität von Maranhão zu entnehmen ist. Demnach leiden 40 Prozent der Dorfbewohner an Atemwegs-, Lungen- und Hauterkrankungen.


Landwirtschaft nicht mehr möglich

Piquiá de Baixo ist vor 50 Jahren als klassisches Bauerndorf entstanden. Doch die Landwirtschaft ist inzwischen nur noch in einer Entfernung von 200 Kilometern möglich. Für die dort lebenden Menschen ist diese Entwicklung eine Tragödie, die sich in vielen brasilianischen Bergbauregionen wiederholt.

"Wir sind in Gefahr", sagt Edvard Dantas Cardeal, Vorsitzender der Vereinigung der Nachbarn von Piquiá de Baixo, die sich bislang vergeblich um eine Umsiedlung und um Entschädigungszahlungen bemüht. Dem 68-Jährigen zufolge zehrt auch der Lärm an den Nerven der Dorfbewohner. "Jeden Tag werden hunderte Tonnen Eisen durch unser Dorf bewegt - und das rund um die Uhr", berichtet er.

Die Menschen hätten schon vor 25 Jahren umgesiedelt werden müssen, meint dazu Danilo Chammas, der Rechtsanwalt der Dorfbevölkerung. Das Leben im Umfeld der Anlagen sei aufgrund des Industriequalms und der anderen Rückstände, denen die Menschen Tag für Tag ausgesetzt sind, unmöglich geworden.

Vale weigert sich bislang, die Opfer der Umweltverschmutzung zu entschädigen und sich an dem Bau einer neuen Siedlung zu beteiligen. "Wir können aber nicht hierbleiben, denn die Gefahr, dass sich unsere Gesundheit weiter verschlechtert, ist groß", insistiert Cardeal. Für Vale biete sich eine einmalige Gelegenheit, etwas für sein angeschlagenes Image zu tun, so Chammas.


Vale in der Kritik

Tatsächlich steht der Konzern seit geraumer Zeit unter Beschuss internationaler Netzwerke. So werden dem Multi in einem 'Bericht über die Nichtnachhaltigkeit von Vale' Umweltschäden auf einer Fläche von 741,8 Quadratkilometern angelastet.

Ferner heißt es, das Unternehmen sei für die Freisetzung von 89 Millionen Tonnen Treibhausgasen 2010, 6.600 Tonnen Partikeln (29 Prozent mehr als 2009), 10.000 Tonnen Stickstoffoxid (plus 30 Prozent) und 403.000 Tonnen Schwefeloxid (plus 25 Prozent) verantwortlich. Die Angaben stammen von Vale selbst und wurden im letzten 'Nachhaltigkeitsbericht' des Unternehmens 2010 veröffentlicht.

Im Januar zeichneten Nichtregierungsorganisationen den Konzern mit dem 'Public Eye Award' aus, mit dem jedes Jahr die ökologisch und sozial "schändlichsten" Unternehmen gekürt werden. Vale stach sogar die japanische Firma 'Tepco' aus, den Betreiber der durch den Tsunami im März 2011 schwer beschädigten Atomreaktoren in Fukushima.

Der Konzern wollte sich gegenüber IPS nicht zur Situation in Piquiá de Baixos und den Forderungen der Dorfbewohner äußern, hatte aber auf den Nichtnachhaltigkeitsbericht der 30 Sozialbewegungen reagiert. "Uns ist bewusst, dass Bergbauaktivitäten Auswirkungen haben. Deshalb arbeiten wie mit den Gemeinden und den Regierungen zusammen, um Lösungen zu finden, die den Menschen Sicherheit und ein harmonisches und gesundes Zusammenleben garantieren", hieß es in einer Stellungnahme. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://amazonia.org.br/wp-content/uploads/2012/04/relatorio-insustentabilidade-vale-2012.pdf
http://www.publiceye.ch/en/ranking/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100601
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100626

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. April 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2012