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NAHOST/006: Syrien - Stilles Kriegsopfer Umwelt, lange Folgen für menschliche Gesundheit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. November 2015

Syrien: Stilles Kriegsopfer Umwelt - Lange Folgen für menschliche Gesundheit

von Tharanga Yakupitiyage


Foto: By Tech. Sgt. H. H. Deffner [gemeinfrei], via Wikimedia Commons

Syrischer Soldat mit ABC-Maske
Foto: By Tech. Sgt. H. H. Deffner [gemeinfrei], via Wikimedia Commons

NEW YORK (IPS) - Der verheerende Bürgerkrieg in Syrien hat in den vergangenen fünf Jahren nicht nur zu der größten Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg beigetragen. Zu den Kriegsopfern gehört auch die Umwelt, deren Zerstörung weitgehend unbeachtet fortschreitet.

Der kürzlich von der niederländischen Non-Profit-Organisation 'PAX' veröffentlichte Bericht 'Amidst the Debris' (Inmitten der Trümmer) dokumentiert die Folgen des im März 2011 begonnenen Konflikts für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. "Umweltverschmutzung, die noch von früheren Konflikten herrührt, sowie die derzeitigen Kämpfe und die unsichere Lage in Syrien lassen darauf schließen, dass auf breiter Ebene Umweltrisiken bestehen", erklärt der Autor Wim Zwijnenburg in der Studie.

Mit Hilfe von Satellitenbildern sowie Daten aus sozialen Netzwerken und UN-Berichten stellte Zwijnenburg fest, dass die massive Umweltzerstörung in dicht besiedelten Gebieten Syriens potenziell gefährlich für die menschliche Gesundheit ist.


Toxische Stoffe freigesetzt

Bis Dezember 2014 wurden zudem etwa 1,3 Millionen Millionen Häuser - ein Drittel aller Wohngebäude - dem Erdboden gleichgemacht. Millionen Zivilisten wurden vertrieben. Während des Einsatzes von Waffen wurden überdies giftige Schadstoffe wie Schwermetalle, polychlorierte Biphenyle (PCB) und Asbest freigesetzt, die auch aus den Trümmern austraten.

Zwijnenburg zog einen Vergleich zu den gesundheitlichen Folgen der Zerstörung des World Trade Centers am 11. September 2001 für die Einwohner von New York. Laut den US-Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) wurde bei mehr als 1.100 Personen, die während der Anschläge von 9/11 nahe dem WTO lebten oder arbeiteten, Krebs diagnostiziert.

In dem PAX-Report werden auch die Schäden an wichtiger Infrastruktur wie Erdölraffinerien und Anlagen untersucht, die Luft, Böden und Wasser erheblich belasten und somit weitere langfristige Gesundheitsschäden verursachen.

Bis September 2015 hat das US-geführte Militärbündnis bei Luftangriffen in Syrien 196 Erdölanlagen beschädigt. Weitere Ölraffinerien sind wiederholt von den Streitkräften unter Beschuss genommen worden. Laut dem Bericht haben die Kämpfe die Abfallentsorgung in dem Land völlig zum Erliegen gebracht. Die Ansammlung von Müll kann zu einer gravierenden Belastung von Luft, Böden und Wasser und beim Menschen zu Atemwegserkrankungen und Krebs führen.

Die Kontaminierung der Umwelt ist nicht nur für die Syrer ein Problem, die in ihrem Land geblieben sind, sondern auch für diejenigen, die zurückkehren wollen. Wie PAX kritisiert, werden dennoch die möglichen Folgen militärischer Aktivitäten für Mensch und Umwelt weitgehend ignoriert.

"In Friedenszeiten gelten strenge Auflagen für den Umweltschutz, die uns vor dem Kontakt mit gefährlichen Stoffen schützen", sagt Zwijnenburg. "In Kriegszeiten bricht dieses System jedoch zusammen, oder die Regelungen werden missachtet, weil sie keinen militärischen Zwecken dienen."


Keine Umweltpolitik in Kriegszeiten

Der Zusammenbruch des Umweltmanagements ist nicht nur während des Bürgerkrieges in Syrien zu beobachten. Von den brennenden Ölfeldern in Kuwait und im Irak während des Golfkrieges 1991 bis zu den zerstörten Fabriken und Bergwerken während der weiter andauernden Unruhen in der Ukraine haben militärische Konflikte von der Umwelt und der menschlichen Gesundheit hohe Tribute gefordert.

Nach drei Jahrzehnten Krieg ist Syriens Nachbar Irak eines der am stärksten kontaminierten Länder der Welt. Das abgereicherte Uran, das während des Kriegs 1991 und der US-Invasion 2003 verwendet wurde, gibt immer noch radioaktive Strahlen ab. Auch andere toxische Substanzen sind als Hinterlassenschaften der Kriege zurückgeblieben.

Infolgedessen haben Geburtsfehler und Krebserkrankungen im Irak deutlich zugenommen. Offiziellen Statistiken zufolge waren im Irak vor dem ersten Golfkrieg etwa 40 von jeweils 100.000 Menschen von Krebs betroffen. Bis 2015 erhöhte sich der Anteil auf mindestens 1.600 pro 100.000. Ein weiterer Anstieg wird erwartet.

Das UN-Umweltprogramm UNEP hat die gefährlichen langfristigen Auswirkungen von Konflikten auf Mensch und Umwelt in den Vordergrund gerückt. "Die Folgen von Schäden an der Umwelt und an den natürlichen Ressourcen in Zeiten von Kriegen und bewaffneten Konflikten reichen weit über deren Dauer hinaus", heißt es in einer UNEP-Erklärung anlässlich des Internationalen Tages zur Verhütung der Umweltausbeutung in Kriegs- und Konfliktzeiten. "Bewaffnete Konflikte können die Entwicklung um Jahre zurückwerfen und Existenzen vernichten."


Mangelnde Finanzierung bremst Hilfsprogramme aus

UNEP hat bereits Analysen durchgeführt, um Regierungen im Umgang mit Umweltschäden nach Kriegen zu unterstützen. Die Finanzierung sei jedoch ein Problem, erklärte Hassan Partow, der als Umweltexperte für das Programm tätig ist. Es gebe bisher keinen speziellen Fonds zur Finanzierung derartiger Analysen. "In jedem einzelnen Fall müssen interessierte Geber gefunden werden."

Nach einem Kriegsjahrzehnt in Liberia war UNEP nicht in der Lage, Finanzmittel zum Wiederaufbau nationaler Kapazitäten für Ressourcenmanagement und Umweltpolitik aufzubringen. Da nur 37,5 Prozent des Programms hätten finanziert werden können, war UNEP gezwungen, sich aus dem afrikanischen Land zurückzuziehen. Auch für ein Programm zum Abbau von Müllbergen im Libanon nach dem kurzen, aber verheerenden Krieg mit Israel 2006 konnten lediglich 40 Prozent des erforderlichen Geldes gesammelt werden.

In dem PAX-Bericht werden Syrien und andere Staaten dazu aufgerufen, sich mit Umweltrisiken zu befassen und den Schutz der Umwelt in Kriegszeiten zu verstärken. Zudem wird angemahnt, das Sammeln relevanter Daten und deren Austausch voranzutreiben. "Eines Tages wird der Krieg in Syrien vorbei sein", sagt Zwijnenburg. "Der Wiederaufbau wird aber entschlossene Maßnahmen erfordern, mit denen angemessen auf die durch den Konflikt verursachten Umweltgefahren reagiert werden kann." (Ende/IPS/ck/24.11.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/11/environment-a-silent-victim-of-the-syrian-conflict/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2015

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