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MEER/148: Zivilgesellschaftliche Tagung zum Einfluss des Menschen auf die Meere (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

Zerstörerische Abhängigkeit
Eine zivilgesellschaftliche Tagung diskutiert den Einfluss des Menschen auf die Meere

von Marie-Luise Abshagen



Vom 15. bis 17. Mai kamen in Bremen MeeresexpertInnen aus Zivilgesellschaft und Forschung sowie interessierte Öffentlichkeit zusammen, um gemeinsam die Herausforderungen, Chancen und Probleme unserer derzeitigen Meerespolitik zu diskutieren. Anlass der Konferenz bildete der von der Europäischen Kommission veranstaltete "Europäische Tag der Meere", welcher am 19. und 20. Mai stattfand und die größte meerespolitische Veranstaltung Europas darstellt. Während sich die Tagung der Kommission in erster Linie auf eine intensivere Nutzung der Meere konzentrierte, legten die TeilnehmerInnen der zivilgesellschaftlichen Konferenz unter dem Titel "Ein anderes Meer ist möglich!" die schwerwiegenden Einflüsse des Menschen auf die Meere dar und formulierten Kernforderungen gegen Übernutzung, Ausbeutung und für gerechte Verteilung.

Wir leben auf einem blauen Planeten, der zu 70% mit Wasser bedeckt ist, und sind grundlegend abhängig von diesen Meeren und Ozeanen. 50% der Menschen weltweit leben an Küsten, in vielen Ländern gehört Fisch zu den wichtigsten Grundnahrungsmitteln. Meere sind ein integraler Teil unseres planetarischen Ökosystems, 50% unseres Sauerstoffs wird im Meer generiert. 90% des Welthandels wird über den Seeweg abgewickelt, für Millionen von Menschen ist ihre Arbeit direkt mit den Meeren verwoben. Trotz dieser engen Verflechtung zeigt sich: der Einfluss des Menschen auf das Meer hat katastrophale Folgen.

Hunger auf Fisch führt zu leeren Ozeanen

Der weltweite Fischhandel illustriert beispielhaft die extreme Übernutzung der Meeresressourcen. Hundert Millionen Tonnen Fisch kommen weltweit pro Jahr auf die Teller und durchschnittlich isst jeder Mensch fast 19,2 Kilogramm jährlich.[1] Dieser Hunger auf Fisch, insbesondere in der globalen Konsumentenklasse, hat dazu geführt, dass die Weltmeere mittlerweile chronisch überfischt sind und sich Fischbestände weltweit auf ein kritisches Maß reduziert haben. Obwohl die industrielle Fischerei auch für große Fischereibetriebe aufgrund der immer geringeren Erträge und steigenden Kosten für die Fangflotten immer weniger Gewinn einbringe, wie Rainer Froese von Geomar auf der Konferenz veranschaulichte, sind es die großangelegten Subventionen beispielsweise des europäischen Fischereimarktes, die dieses nicht nachhaltige Verhalten weiter fördern. Verstärkt wird der Druck auf Fischbestände auch dadurch, dass gerade kleine Fische, die gerade in Entwicklungsländern als Nahrungsgrundlage dienen, in ihrer Mehrheit zu Fischmehl verarbeitet werden. Bei Sprotten liegt der Prozentsatz beispielsweise bei 90%. Das Fischmehl oder auch -öl dient schließlich als Futter für Tiere in Aquakulturen, die in erster Linie den Konsumbedürfnissen von Menschen in Ländern des Globalen Nordens zugute kommen.

Goldrausch in den Ozeanen

Nicht nur Meerestiere, sondern auch Rohstoffe kommen aus den Meeren. Riesige Mengen an Öl und Gas sowie Seltene Erden befinden sich auf dem Meeresboden. Diese werden bereits abgebaut oder werden angesichts unseres wachsenden Ressourcenhungers und knapper werdender Vorkommen an Land immer attraktiver, nicht zuletzt weil dort Gewinne in Milliardenhöhe schlummern. Zahlreiche Länder wie Kanada, Japan, Südkorea, China, Großbritannien, aber auch Deutschland haben bereits Forschungslizenzen von der Internationalen Meeresbodenbehörde erhalten, die der Vorbereitung des Abbaus von Tiefseeressourcen dienen.

Während ForscherInnen wie Prof. Dr. Antje Boetius, Meeresforscherin am Alfred-Wegener-Institut, argumentieren, dass auch im Hinblick auf die menschenunwürdigen Abbaubedingungen an Land der Umfang von Ressourcen insbesondere in der Tiefsee wenigstens erforscht werden sollte, befürchten Vertreter von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Thilo Maack von Greenpeace oder Francisco Mari von Brot für die Welt, dass ein Abbau von Ressourcen zwangsläufig zur Gefährdung ganzer Ökosysteme führen könnte. Unter anderem da die Folgen bisher weder abschätzbar noch beherrschbar seien. Sie fordern die Durchsetzung eines internationalen Verbots zur Förderung von Öl und Gas aus der Tiefsee und Arktis sowie alternative Rohstoffstrategien, die vorrangig auf Einsparung und ein effektives Recycling setzen.

Müllinseln und Mikroplastikverseuchung im Meer

Ein besonders eindrucksvolles Bild des negativen Einflusses vom Menschen auf die See zeigt sich im Blick auf die enormen Müllberge, die sich mittlerweile im Meer befinden. Laut Nadja Ziebarth vom BUND werden pro Jahr rund 64 Millionen Tonnen Müll ins Meer getragen, alleine 200.000 Tonnen in die Nordsee. Dabei verteilen sich rund 15% an Stränden, 15% sammeln sich auf der Wasseroberfläche und 70% sinken auf den Meeresboden. Die Zersetzungsgeschwindigkeit von Plastik im Meer lässt sich schwer kalkulieren. Eine eindrucksvolle Graphik der National Oceanic and Athmospheric Administration [2] schätzt den Kompostierungsgrad von beispielsweise Plastiktüten auf mehr als 20 Jahre, den von Aluminiumdosen auf 200 Jahre und den von Fischleinen auf gut 600 Jahre. Riesige Müllinseln haben sich schon im Meer angesammelt, teilweise in der Größe von Mitteleuropa, und stellen eine akute Gefahr für Meeresbewohner dar. Häufig wird Plastik von Tieren für Nahrung gehalten oder versehentlich eingenommen. Neben den großen, sichtbaren Plastikprodukten schwimmen auch Mikroplastikteile von weniger als fünf Millimeter Größe in Meeren und Flüssen. Diese beispielsweise in der Kosmetikindustrie verwendeten Teilchen werden aufgrund ihrer Größe nicht von Filteranlagen erfasst und gelangen so in den Wasserkreislauf. Zusätzlich reichern sich aufgrund ihrer Oberflächenstruktur sehr leicht Umweltgifte an diese an und führen nicht nur zu Krankheiten bei Tieren, sondern landen über die Nahrungskette schließlich auch im menschlichen Körper.[3]

Meere als Bühne für Umwelt- oder Klimaschutz-Dilemma

Ein weiterer Aspekt unserer Nutzung der Meere findet sich in der Energiegewinnung durch die Aufstellung großer Offshore-Windanlagen. Weltweit gibt es umfangreiche Pläne, diese auszubauen. Allein in Deutschland sollen 21,7% der deutschen Meeresgebiete (das heißt der Allgemeinen Wirtschaftszone) zu Offshore-Windparks ausgebaut werden. Dieses Thema ist dabei ein gutes Beispiel für den internen Konflikt zwischen Klima- und Naturschutz. Während die saubere Windenergie der schmutzigen Kohleund Atomenergie eindeutig vorgezogen werden sollte, schaffen die Bauten solcher Mega-Projekte gleichzeitig zahlreiche Umweltprobleme, unter anderem weil die ökologischen Folgekosten von Windparks aufgrund der relativen Unerfahrenheit mit den Projekten nicht abzusehen und kaum erforscht sind. Zwar hat sich bei der Setzung von Standards in den letzten Jahren viel getan, aber noch immer führt der Bau von Offshore-Anlagen durch die Bohrungen für das Fundament zu Schwerhörigkeit bei Walen, Tausende von Vögeln sterben aufgrund von Kollision im Flug, das Vorsorgeprinzip findet keine Anwendung und die Windparks sowie ihre Fundamente verändern Ökosysteme großflächig. Des Weiteren müssen ca. 3.500 km Netze gebaut werden, um diesen Strom überhaupt in den Markt einspeisen zu können. Der Weg an Land führt jedoch im Falle der Nordsee-Anlagen zwangsläufig durch die Nationalparks Wattenmeer. Zwar sind diese Offshore-Windparks Bestandteil der deutschen Energiewende, sollten aber, wie Kim Detloff vom NABU erläuterte, auf wenige Parks beschränkt und strengen Standards und Kontrollen unterworfen werden.

Völkerrecht und Meeres-Governance

Im Angesicht all dieser Herausforderungen und sich verschärfender Probleme stellte die Konferenz auch die Frage, wie eine nachhaltige Nutzung der Meere aussehen könnte und wer dies kontrollieren sollte. Bisher ist die internationale Meerespolitik extrem fragmentiert, so dass für so gut wie jedes meerespolitische Thema mindestens eine internationale Organisation existiert. Gleichzeitig sind zahlreiche Bereiche gar nicht oder nur unzureichend reglementiert. Ideen zur besseren Regulierung der Meere gibt es bis hin zur Ebene der Vereinten Nationen. Dort wurde 2012 entschieden das UN-Seerechtsübereinkommen im Bereich der Governance der Hohen See weiterzuentwickeln und derzeit wird die Möglichkeit der Einbindung eines Meeresziels in die neue Entwicklungsund Nachhaltigkeitsagenda nach 2015 diskutiert.

Für die TeilnehmerInnen der zivilgesellschaftlichen Konferenz sind fünf Kernpunkte besonders prioritär: die Überfischung beenden, den Meeresschutz ausbauen, die Vermüllung der Meere stoppen, die Tiefsee mit ihren Ressourcen unangetastet lassen sowie Menschen- und Arbeitsrechte auf See durchsetzen.[4] Diese Forderungen wurden vom Organisator der Konferenz Kai Kaschinski von Fair Oceans auf dem Europäischen Tag der Meere an die EU-Kommissarin Maria Damanaki übergeben.

Die Autorin ist Redakteurin des Rundbriefs.


[1] SOFIA 2014, www.fao.org/3/a-i3720e/index.html2
[2] http://infographics.ws/how-long-until-itsgone/
[3] http://www.bund.net/themen_und_projekte/meeresschutz/muellkampagne/mikroplastik/
[4] http://www.forumue.de/fileadmin/userupload/publikationen/Ein_anderes_Meer_ist_moeglich_-_Abschlusserklaerung_01.pdf

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014, Seite 4-5
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2014