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LATEINAMERIKA/125: Brasilien - Indigener Lebensraum durch neuen Staudamm bedroht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2015

Brasilien: Indigener Lebensraum durch neuen Staudamm bedroht

von Fabiana Frayssinet


SAWRÉ MUYBU, Brasilien (IPS) - In der Sprache der Mundurukú gab es das Wort "Wasserkraftwerk" bis vor kurzem noch gar nicht. Die Mundurukú sind Indigene, die am Ufer des Flusses Tapajós im brasilianischen Bundesstaat Pará leben. Wasserkraftwerke gab es in ihrem angestammten Gebiet rund um den Tapajós-Fluss bisher nicht. Doch jetzt soll das 'Sao Luiz do Tapajós' gebaut werden - das erste von sieben solcher Kraftwerke, die die brasilianische Regierung hier im Amazonasgebiet bis zum Jahr 2024 bauen will.

Als die Indigenen verstanden, was auf sie zukam, gaben sie dem Bauvorhaben einen Namen, der aus einem Wort besteht, das in ihrer Sprache durchaus geläufig ist: "Juruparí" - Geist des Bösen. "Staudamm und Kraftwerk werden den Fluss überfluten. Die Fische, die Tiere an seinen Ufern werden alle verschwinden", fürchtet Delsiano Saw, Mitglied der Mundurukú.

Starten sollte das Kraftwerk zunächst mit einer installierten Leistung von rund 8000 Megawatt und bereits im Jahr 2014 Energie liefern, doch der Bau wurde wegen ungeklärter Umweltfragen immer wieder verschoben.

"Die Auswirkungen des Staudamms auf Menschen und Umwelt werden so verheerend sein, dass sie durch nichts kompensiert werden können", sagt Mauricio Torres, Soziologe der Universität von West-Pará. "Ökologen sagen das Ende des Flusses voraus. Kein Gewässer könnte einem solch großen Kraftwerk standhalten."

Der Tapajós ist einer der größten Nebenflüsse des Amazonas. Nach 810 Kilometern durch kaum erschlossenes Gebiet fließt er schließlich in den größten Fluss der Erde. An seinen Ufern leben rund 12.000 Indigene und weitere 2.500 Menschen, die sich hauptsächlich von Fischen ernähren.

Der Staudamm würde den Fluss über seine Ufer treten lassen und rund 330 Quadratkilometer Land überschwemmen, auf dem die Indigenen beheimatet sind. "Seit Generationen leben wir hier", sagt Fabiano Karo, einer der Mundurukú-Indigenen, gegenüber IPS. "Mit dem Staudamm wäre das vorbei." Der Staudamm würde nicht nur die Menschen vertreiben, sondern auch dem Wald und dem Fluss schaden. "Das tut mir im Herzen weh."


"Angst vor der Überschwemmung"

Maria Parawa weiß nicht, wie alt sie ist. Aber sie weiß, dass sie ihr ganzes Leben am Ufer dieses Flusses zugebracht hat. "Ich habe Angst vor der Überschwemmung, weil ich nicht weiß, wo ich hingehen sollte. Ich habe viele Kinder und Enkel, die ich durchfüttern muss, aber womit, wenn ich den Fluss nicht mehr zur Verfügung habe?" fragt die alte Frau, die im Dorf Sawré Muybu lebt.

Die Indigenen beklagen, dass sie in die Planungen zum Bau des Kraftwerkes nicht einbezogen wurden. Und das, obwohl ihnen laut Abkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO ein Mitspracherecht zusteht. Das 'Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern' ist die bis heute einzige internationale Norm, die den indigenen Völkern der Erde rechtsverbindlichen Schutz und Anspruch auf eine Vielzahl von Grundrechten garantiert. Das Übereinkommen wurde am 27. Juni 1989 von der Generalversammlung der ILO verabschiedet und trat am 5. September 1991 in Kraft. Brasilien hat es unterschrieben und im Jahr 2002 auch ratifiziert.

Die Indigenen im brasilianischen Bundesstaat Pará kämpfen seit Jahren darum, dass sie Landrechte für das Territorium erhalten, auf dem sie seit mehr als hundert Jahren angesiedelt sind. Mit dem Bau des Staudamms wurde dieser Prozess nun aufgehalten. "Wir lassen uns nicht von unserem Land vertreiben", sagt Häuptling Juarez Saw aus dem Dorf Sawré Muybu. "Das Gesetz verbietet die Umsiedelung gegen den Willen der Betroffenen." Daran halte er sich fest.

"Die Gegend hier ist für uns Mundurukú heilig", erklärt der Häuptling. Die Indigenen sind abhängig von den Früchten des Waldes, dem Fischfang und der Jagd. Wenn das Wasserkraftwerk fertig gebaut ist, würde von ihrem Stammesgebiet voraussichtlich nicht mehr als eine kleine Insel übrig bleiben. Für die Mundurukú würde das das Ende ihrer bisherigen Lebensweise bedeuten.


Bedrohung für Artenvielfalt

Der Tapajós und die angrenzenden Wälder sind Heimat einer großen Vielfalt an Flora und Fauna. Zehn Naturschutz- und 19 Indigenen- Gebiete liegen hier verteilt. Von diesen sind allerdings lediglich vier offiziell ausgewiesen und bieten somit nur unzureichenden Schutz.

Eine Untersuchung der Umweltorganisation Greenpeace hat ergeben, dass bei der offiziellen Prüfung der möglichen Umweltauswirkungen des Mega-Damms unseriös gearbeitet wurde. In Auftrag gegeben wurde die Umweltverträglichkeitsprüfung für das Sao-Luiz-do-Tapajós-Wasserkraftwerk von dem Konzern, der maximales Interesse am Projekt hat: Eletrobas, eine der größten Energiefirmen Lateinamerikas. Sie legte der brasilianischen Umweltbehörde IBAMA die zweifelhafte UVP im August 2014 vor.

Diese ließ Greenpeace nun untersuchen. Das Ergebnis legt schwere Mängel der Umweltverträglichkeitsprüfung offen. So sollte diese eigentlich die direkten und indirekten Auswirkungen des Kraftwerkbaus auf Wasser, Luft, Klima, Böden, Flora und Fauna beleuchten; sie sollte die Konsequenzen für die natürlichen Ressourcen kritisch begutachten. Tatsächlich verschweigt die Prüfung laut der Umweltorganisation jedoch die wahren Auswirkungen auf Mensch und Natur. So erfasse die UVP beispielsweise nicht die Arten der Uferzonen, Inseln und des Flussbettes, obwohl genau diese Bereiche am meisten von der dann zu erwartenden Überflutung betroffen wären. Die aktuelle Version der Prüfung zeige auch nicht, welche Arten auf lokaler, regionaler oder globaler Ebene durch den Bau des Kraftwerks gefährdet werden.

Der Teil der UVP, der sich mit den Auswirkungen des Kraftwerkbaus auf die in der Region lebende indigene Bevölkerung beschäftigt, sei viel zu spät und lediglich als Anhang beigefügt worden. Für Greenpeace ist dies ein klares Indiz dafür, dass die Rechte der Indigenen hier nicht ernst genommen werden. Um die Umsiedelung der indigenen Bevölkerungsgruppen zu rechtfertigen, die die Ufer des Tapajós bewohnen, ignoriere die UVP auch die brasilianische Verfassung: Die schreibt vor, dass indigene Gruppen nur dann umgesiedelt werden dürfen, wenn Katastrophen oder Seuchen die Bevölkerung gefährden könnten. Das ist hier nicht der Fall.

Die Mundurukú sollen rund 20 Kilometer von ihrem angestammten Territorium entfernt angesiedelt werden - ohne Autos ist das ein weiter Weg zum Fluss und den darin schwimmenden Fischen. Für die Indigenen ist das fatal. "Der Fluss ist wie unsere Mutter. Wie uns eine Mutter mit ihrer Milch ernährt, ernährt uns der Fluss mit seinen Fischen", sagt Häuptling Saw. (Ende/IPS/jk/17.12.2015)

Video:
https://vimeo.com/147820647


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/12/rio-amazonico-de-tapajos-historia-bajo-aguas-de-una-represa/
http://www.ipsnoticias.net/2015/12/la-soja-un-fruto-exotico-de-la-amazonia-brasilena/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2015

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