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LATEINAMERIKA/119: Ausbau von Open Data kommt nicht voran (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. November 2015

Lateinamerika: Ausbau von Open Data kommt nicht voran

von Emilio Godoy


Bild: © Emilio Godoy/IPS

Vertreter von NGOs diskutieren auf dem 'Open Government Partnership Global Summit' Ende Oktober in Mexiko-Stadt
Bild: © Emilio Godoy/IPS

MEXIKO-STADT (IPS) - Neue Ölquellen werden erschlossen, Bergbauprojekte genehmigt und Wasserkraftwerke errichtet, ohne dass die Bevölkerung in unmittelbarer Umgebung informiert - geschweige denn nach ihrer Meinung gefragt wird. Gängige Praxis ist dies in den meisten lateinamerikanischen Ländern. Mehr Transparenz sollen Offene Daten von Regierungsbehörden bringen. Doch damit geht es nur langsam voran.

Dass die Bevölkerung über Industrieprojekte, die in ihrer unmittelbaren Umgebung geplant sind, informiert werden soll, legten die UN-Mitgliedstaaten bereits beim Weltgipfel 1992 in Rio de Janeiro fest. In Grundsatz 10 der 'Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung' heißt es: "Umweltfragen sind am besten auf entsprechender Ebene unter Beteiligung aller betroffenen Bürger zu behandeln. Auf nationaler Ebene erhält jeder Einzelne angemessenen Zugang zu den im Besitz öffentlicher Stellen befindlichen Informationen über die Umwelt, einschließlich Informationen über Gefahrstoffe und gefährliche Tätigkeiten in ihren Gemeinden, sowie die Gelegenheit zur Teilhabe an Entscheidungsprozessen."

Die nationalen Regierungen sind der Deklaration zufolge dafür zuständig, "die öffentliche Bewusstseinsbildung und die Beteiligung der Öffentlichkeit" zu erleichtern und zu fördern, indem sie die notwendigen Informationen "in großem Umfang verfügbar machen". Dazu gehört auch der Zugang zu Gerichts- und Verwaltungsverfahren.

Doch dieses Recht wird nicht überall auf der Welt gewährt. "Fehlender Zugang zu Informationen ist in Lateinamerika ein weit verbreitetes Problem", sagt Tomás Severino, Leiter der Mexikanischen NGO 'Cultura Ecológica'. "Informationen sind häufig technischer Natur und nicht immer leicht zu verstehen. Frei verfügbare Daten ermöglichen es, Informationen nicht nur zu erhalten, sondern sie auch herunterzubrechen auf die lokale Ebene und sie weiterzuverbreiten."

Einem Bericht über Offene Daten der Zeppelin-Universität zufolge fallen unter den Terminus "sämtliche Datenbestände, die im Interesse der Allgemeinheit der Gesellschaft ohne jedwede Einschränkung zur freien Nutzung, zur Weiterverbreitung und zur freien Weiterverwendung frei zugänglich gemacht werden." Das können Geodaten, Statistiken, Verkehrsinformationen, wissenschaftliche Publikationen oder medizinische Forschungsergebnisse sein. Nicht nur die öffentliche Verwaltung kann Offene Daten zur Verfügung stellen, sondern auch privatwirtschaftlich agierende Unternehmen, Hochschulen und Rundfunksender sowie Non-Profit-Einrichtungen.

Die Frage, wie Offene Daten und großindustrielle Projekte zusammenhängen, die lokale Gemeinschaften beeinträchtigen können, wurde Ende Oktober auf dem 'Open Government Partnership Global Summit' in Mexiko-Stadt diskutiert. Unter den Teilnehmern waren Vertreter von Regierungen und der Zivilgesellschaft sowie Wissenschaftler aus 65 Ländern.


Nationale Aktionspläne verpuffen ohne Umsetzung in die Praxis

Die 15 vertretenen lateinamerikanischen Länder hatten die UN-Erklärung von Rio im Jahr 2012 unterzeichnet, als die Vereinten Nationen die Nachfolgekonferenz des Weltgipfels Rio+20 ausrichteten. Seitdem haben die Regierungen verschiedene Aktionspläne verabschiedet, doch auf lokaler Ebene hat sich nicht viel getan.

Mexiko hat bereits zwei Aktionspläne für Offene Daten verabschiedet. Der zweite Plan (2013 bis 2015) läuft gerade aus. Zur Zeit sammelt die Regierung Vorschläge für eine dritte Periode. Der Fokus soll auf dem Umgang mit natürlichen Ressourcen liegen, Thema sind der Klimawandel, fossile Energieträger, Bergbau, Ökosysteme und Wasser.

In Peru wird seit Mai eine Strategie diskutiert, um Daten, die der Regierung vorliegen, transparent und öffentlich zugänglich zu machen. Ergebnisse sollen noch in diesem Jahr vorliegen. Auch zu Umweltfragen sollen Daten zur Verfügung gestellt werden.

Im August stellte Argentinien den ersten Teil seines zweiten Planes für eine "offene Regierung von 2015 bis 2017" vor. Umweltfragen werden zwar auch hier aufgeworfen, aber nur in geringem Maße.

"Das Problem darf nicht kleingeredet werden: Einfach nur transparent sein reicht auch nicht", sagt Carlos Monge, Vertreter des peruanischen Zweigs der aus den USA kommenden NGO 'Natural Resource Governance Institute'. "Es geht auch um das richtige Timing. Wann sollen die Bürger die Informationen erhalten? Etwa erst nach der Entscheidung für ein Bauprojekt? Das ist doch Quatsch. Die Informationen müssen natürlich schon vorher herausgegeben werden. Zusammen mit Hinweisen, welche Auswirkungen die Entscheidungen haben können."


Umweltstandards stark aufgeweicht

Nicht nur habe es im vergangenen Jahr keine Verbesserungen gegeben, kritisiert Monge. Stattdessen sei es zu Rückschritten gekommen. "Seit 2014 haben Länder wie Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Peru ihre Gesetzgebung so reformiert, dass die Umweltstandards stark aufgeweicht wurden." Ziel sei es gewesen, mehr Investitionen für die Bergbau- und Ölindustrie an Land zu ziehen. Grund sei der weltweite Rückgang in der Nachfrage an Rohstoffen, die die Grundpfeiler der lateinamerikanischen Ökonomien ausmachen.

Der Atlas der Umweltgerechtigkeit listet 480 Umweltkonflikte in 16 lateinamerikanischen und karibischen Ländern auf. Einige beruhen auf Bergbauaktivitiäten, andere auf Abfall- oder Wassermanagement, wieder andere auf Fragen des Landbesitzes. Die meisten Konflikte zeigt der Atlas für Kolumbien (101), Brasilien (64), Ecuador (50), Peru (38), Argentinien (37) und Mexiko (36) auf.

Koordiniert wird der Atlas von der Universität von Barcelona. Insgesamt sind Experten von 23 Universitäten und Umweltorganisationen aus 18 Ländern beteiligt. Gefördert wird die Initiative vom EU-Projekt 'Environmental Justice Organizations, Liabilities and Trade'. (Ende/IPS/jk/05.11.2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/11/open-data-still-closed-to-latin-american-communities/
http://www.un.org/depts/german/conf/agenda21/rio.pdf
https://www.zu.de/info-de/institute/togi/assets/pdf/TICC-101203-OpenGovernmentData-V1.pdf
https://ejatlas.org/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 5. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2015

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