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LATEINAMERIKA/092: Chile - Bürgerinitiative in Aysén engagiert sich für nachhaltige Entwicklung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. August 2014

Chile: Natürliche Ressourcen im Süden schützen - Bürgerinitiative in Aysén engagiert sich für nachhaltige Entwicklung

von Marianela Jarroud


Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Stand auf einer Kunsthandwerksmesse in Coyhaique
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Coyhaique, Chile, 22. August (IPS) - Die Einwohner von Aysén im chilenischen Teil Patagoniens wollen die Region in ein 'Reservat des Lebens' verwandeln. Bei den Bemühungen, diese entlegene, ursprüngliche Landschaft zu entwickeln, ist der Nachbar Argentinien seit langem ein wichtiger Verbündeter.

Die riesige Bürgerinitiative 'Aysén Reserva de Vida' soll den Anstoß zu einem speziellen Modell für inklusive nachhaltige Entwicklung geben, wie der Koordinator des Projekts, Peter Hartmann, betont. "Manche werfen uns vor, die Region abriegeln zu wollen. Unser Ziel ist es aber, deren Vorzüge zu nutzen und sie den Megaprojekten der globalisierten Welt entgegenzustellen."

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Peter Hartmann, Koordinator des Projekts 'Aysén Reserva de Vida'
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Im kalten Süden Chiles gelegen, gehört Aysén mit etwa 105.000 Einwohnern zu den besonders dünnbesiedelten Regionen des Landes. Aysén ist zudem reich an Arten, Flüssen mit hoher Strömung, Seen, Gletschern und produktiven Böden. Große Fischereiunternehmen profitieren von den reichen Meeresressourcen.

"Innerhalb dieses riesigen Territoriums sind wir winzig und unbedeutend", sagt die Grafikerin Claudia Torres, die in Aysén geboren wurde und dort aufwuchs, mit sichtlichem Stolz. Patagonien erstreckt sich in der Südspitze von Lateinamerika über eine Fläche von insgesamt rund 800.000 Quadratkilometern. 75 Prozent des Gebiets liegen in Argentinien, der übrige Teil gehört zu Aysén und Chiles südlichster Region Magallanes.


Zahlreiche unentdeckte Arten

Patagonien besteht aus verschiedenen Ökosystemen und beherbergt zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, darunter Vögel, Reptilien und Amphibien, die bislang noch nicht wissenschaftlich erfasst sind. Die Landschaft ist außerdem der letzte Rückzugsort des akut gefährdeten Südandenhirsches ('huemul').

Auch wenn Coyhaique mitten in der Wildnis liegt, ist die Hauptstadt von Aysén, 1.629 Kilometer südlich von Santiago de Chile, die am stärksten verschmutzte Stadt des gesamten Landes. In dem Gebiet, in dem oft Frost herrscht, heizen und kochen die Einwohner mit Feuerholz. Häufig wird nasses, grünes oder moosbedecktes Holz verwendet, weil es besonders preisgünstig ist. In der Region, die zu den ärmsten Teilen Chiles zählt, leben 9,9 Prozent der Bevölkerung in relativer und 4,2 Prozent in absoluter Armut.

Laut Eduardo Montti, der in der Regionalverwaltung für den Bereich soziale Entwicklung zuständig ist, sagen diese Zahlen allein noch nichts über die Lebensbedingungen armer Familien aus. "Wir sind nicht so weit, dass wir allen einen halbwegs erträglichen Lebensstandard und Basisdienstleistungen garantieren können", sagt er. Im Mai habe Staatspräsidentin Michelle Bachelet allerdings einen Plan für abgelegene und verarmte Gebiete vorgelegt, der die Unterschiede im Verhältnis zu anderen Landesteilen herausstellt. Mit seiner Hilfe könnten die dringenden Bedürfnisse der Menschen besser ermittelt werden. Nach Ansicht von Montti ist es beispielsweise wichtig, dass der Tourismus in der Region vorangebracht wird.

Torres, die sich in dem Bürgerbündnis 'Aysén Reserva de Vida' engagiert, hält eine alternative Entwicklung für möglich. Aysén sei eine der wenigen Regionen der Welt, in denen die Natur größtenteils noch intakt sei. Weite Teile des Gebiets sind geschützt, darunter der Nationalpark 'Laguna San Rafael', den die Weltkulturorganisation UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt hat. Die gesamte Region bemüht sich zudem um eine Anerkennung als Weltnaturerbe.


Fluss- und Seewasser in Aysén naturrein

"Wir arbeiten an einem Modell, das die wirtschaftliche Entwicklung auf lokaler Ebene stärken soll. Und zwar auf demokratische Weise, ohne dass uns andere Vorbilder aufgenötigt werden. Wir denken an eine Entwicklung, die auf Zusammenarbeit basiert und wirtschaftlich sowie ökologisch nachhaltig ist", sagt Torres. Die Menschen wüssten, dass man in Aysén noch immer Wasser aus Flüssen und Seen trinken könne, ohne Probleme zu bekommen. Wie die Aktivistin erklärt, darf das Reservat des Lebens nicht der Großindustrie geöffnet werden.


Bergbauaktivitäten unerwünscht

Auch im argentinischen Teil Patagoniens wollen die Menschen die mit Chile geteilten Wasserquellen nicht der Bergbauindustrie zugänglich machen. Die Bindungen zwischen den Bewohnern Patagoniens in beiden Staaten sind historisch gewachsen. "Wir fühlen uns nicht als Chilenen, sondern als Patagonier", sagt Torres.

Hartmann erklärt, dass in Aysén drei gemeinschaftsbasierte Tourismusunternehmen gegründet wurden, die vom 'Fondo de las Américas' (FONDAM) finanziert werden. "Wir haben die Gemeinden darin ausgebildet, ihre Gebiete für den Tourismus zu erschließen. Daraus ist eine erfolgreiche Schule für Fremdenführer entstanden", erklärt er.

Darüber hinaus bemühen sich die kleinen Fischer in Puerto Aysén darum, ihre Arbeit nachhaltiger zu gestalten. Wie Hartmann schildert, sind außerdem richtungsweisende Müllsammlungsprojekte angelaufen. Kunsthandwerker verwenden häufig Materialien, die sie direkt am Ort erhalten. Das Gütesiegel 'Geschmack von Aysén' bürgt für Qualitätserzeugnisse, die die Identität der Region widerspiegeln. Eine Solarenergie-Kooperative gewinnt zudem immer mehr Mitglieder.

Das Reservat des Lebens eint die lokale Bevölkerung, die lange Zeit gespalten war. Grund war das riesige Wasserkraftwerk HidroAysén, das nach zehnjährigen Protesten im Juni von der Regierung aufgegeben wurde. Vergessen sind zudem die Zeiten, in denen die lokale Bevölkerung während der Amtszeit des Bachelet-Vorgängers Sebastián Piñera gegen die hohen Sprit- und Nahrungsmittelpreise im Jahr 2012 auf die Straße ging. (Ende/IPS/ck/2014)


Links:

http://www.ipsnews.net/2014/08/a-life-reserve-for-sustainable-development-in-chiles-patagonia/
http://www.ipsnoticias.net/2014/08/una-reserva-de-vida-para-hacer-sostenible-la-patagonia/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 22. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2014