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LATEINAMERIKA/018: Haiti - Mit kleinen Projekten gegen die Zerstörung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. September 2010

Haiti: Auf das Erdbeben folgen die Stürme - Mit kleinen Projekten gegen die Zerstörung

Von Peter Costantini


Marigot, Haiti, 20. September (IPS) - In Haiti sind die Aufräumarbeiten nach dem schweren Erdbeben im Januar noch lange nicht abgeschlossen, da droht schon die Hurrikan-Saison. In den jahrzehntelang ausgebeuteten und vernachlässigten ländlichen Regionen versuchen die Menschen nun mit kleinen Projekten zu retten, was zu retten ist.

Die ländlichen Gebiete Haitis hatten in den letzten Jahrzehnten noch mehr zu leiden als die Städte. Durch eine Reihe von Diktaturen geschwächt und durch einen gnadenlosen Raubbau verwüstet und erodiert, bieten sie den Menschen kaum noch Möglichkeiten zum Überleben.

Die wenigen verbliebenen Bäume wurden fast alle nach dem Erdbeben vom 12. Januar abgeholzt, um dringend benötigten Brennstoff zu liefern. Keine vier Prozent der Landesfläche Haitis sind noch bewaldet. Ohne die Wurzeln der Bäume trägt der Wind die dünne Krume ab, Landwirtschaft ist kaum noch möglich.


Kampf der Erosion

Frisnel Désir ist dabei, das zu ändern. Der junge haitianische Agronom kämpft sich an diesem Morgen in seinem Geländewagen den Fluss Felse hinauf. Eine Straße gibt es nicht. Das Wasser reicht bis über die Stoßstangen. Noch vor zwei Jahren war der Fluss gerade mal zehn Meter breit. Dann kamen vier Wirbelstürme kurz hintereinander, jetzt ist der Felse ein tosendes 300 Meter breites Meer von Wasser und Geröll. Tonnenweise sind Felsen von den steil aufragenden Bergen ins Meer gerissen worden.


Kaum Geld auf dem Land

Désir ist im Auftrag der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) unterwegs. Er will oben am Berg den Menschen in den Dörfern helfen, aus dem Land genug zum Überleben herauszuholen. Zwei Drittel der Haitianer leben nach wie vor auf dem Land, eine Million Familien, die sich gerade so von den Erträgen ernähren können. Mehr als 80 Prozent verdienen weniger als zwei Dollar am Tag.

Doch hier oben am Anfang des Felse-Tals soll die Wende eingeleitet werden. Désir klettert über Natursteinmauern, die Terrassen abstützen. Fünf Kilometer entlang des Flusses haben die Bauern unter seiner Anleitung Stein für Stein die Mauern hochgezogen, die entstandenen Räume mit guter Erde aufgefüllt, die jetzt nicht mehr abgeschwemmt wird.

Jede Stufe ist etwa zehn Meter breit, zwischen vereinzelten Bäumen wachsen Getreide, Bohnen, Zuckerrohr und anderes. In einem eigenen Zuchtbetrieb werden Samen und Setzlinge gezüchtet. Ein einfaches Bewässerungssystem sammelt Regenwasser und bringt es auf die Felder.


Synergieeffekte zwischen Berg und Küste

Den Blick ins Tal gerichtet, erinnert sich Désir an früher. "Hier wuchs nichts, also zeigten wir den Leuten, wie man Terrassen baut. Wir gaben ihnen das erste Saatgut und sie legten los. Jetzt haben sie nicht nur fruchtbares Land geschaffen, sondern die Dörfer unten im Tal sind vor Überflutungen geschützt."

In der Region Marigot fördert die FAO 17 dieser Landrückgewinnungsprojekte, weitere sollen folgen. Auch weiter unten an der Küste ist sie aktiv. Frisnel Désir fährt uns hinunter. 200 Meter vor dem Strand dümpelt ein Ruderboot in den Wellen. Zwei Männer werfen ein Netz aus. So weit müssen sie hinausfahren, weil der Fluss soviel Erde und Gestein ins Meer gespült hat, dass die Küstenfische kaum noch Lebensraum haben.

Nur wenige Fischer besitzen Boote, mit denen sie den Fischen raus aufs Meer folgen können. Die FAO hat den Fischern geholfen, Genossenschaften zu bilden. Mithilfe einer Vier-Millionen-Spende aus Spanien und 375.000 Dollar der haitianischen Regierung konnten sie Boote und Ausrüstung kaufen, um auf dem offenen Meer fischen zu können. Das Projekt steht noch ganz am Anfang; im Moment müssen sich rund 150 Fischer ein Boot teilen, das sie abwechselnd nutzen.


Schicksal in den eigenen Händen

Désir betont, dass alle Arbeit bei den Projekten von Haitianern gemacht wird. FAO und internationale NGO beraten und leisten Starthilfe mit Material und Geld. Die Haitianer werden im laufenden Projekt ausgebildet, bis sie es alleine koordinieren und weiterführen können. Bei den Terrassierungsprojekten zum Beispiel werden die Koordinatoren vom Landwirtschaftsministerium in Port au Prince bezahlt, sie leiten die lokale Bevölkerung an.

Über die Bewältigung der Sturmschäden hinaus lernen die haitianischen Bauern, dass sie ihr Schicksal langfristig selbst in die Hand nehmen und ihre Lebensgrundlage selbst schaffen und sichern können. Die Dorfgemeinschaften wachsen daran und werden stärker, die Landflucht nimmt ab. Glück haben sie auch gehabt: Hurrikan Earl machte einen Bogen um ihre Insel. Jetzt werden sie noch mehr Glück brauchen, denn die Wirbelsturmsaison dauert noch bis November. (Ende/IPS/sv/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2010